Willi Knecht: Poker um die letzten Ressourcen - Kritische Stellungnahme zum geplanten

Freihandelsabkommen TTIP zwischen EU und USA - aus der Sicht der armen Kirchen

Selbstverständlich ist es längst überfällig, dass zwei weltweit bestimmende Handelsblöcke viele Hindernisse untereinander aus dem Weg räumen, damit Handel und Wandel besser funktionieren. Zu viele nationale Eigenheiten, Vorschriften, Einschränkungen und staatliche Eingriffe bremsen die Dynamik des freien Handels und die Wachstumskräfte, die notwendig sind, um auch in Zukunft im Wettbewerb mit aufstrebenden Mächten bestehen zu können. Zudem sind bessere Bedingungen für den freien Handel deshalb notwendig, um das stetige Wachstum generieren zu können, ohne das diese Art des Wirtschaftens nicht funktionieren kann. Und solange die Mehrheit unserer Bevölkerung noch Spargel, Mangos und Bananen zu jeder Jahreszeit und möglichst billig auf dem täglich schon überreich gedeckten Tisch haben will, wird diese Spirale sich weiterdrehen können. Und die Flüchtlingsströme werden noch weiter zunehmen, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden.

Vor dem in "imprimatur", 2/2016 veröffentlichten Beitrag, ein Auszug aus der podiumsdiskussion zu TTIP auf dem Katholikentag in Leipzig, Samstag, 28. Mai: 

Öttinger: (systemimmanent, aber darin sehr geschickt!)

Warum ausgerechnet in Deutschland so sehr umstritten? Seine Antwort: Aus antiamerikanischen Reflexen. Doch:

- Unsere Freiheit, Demokratie, Wiederaufbau und Wohlstand verdanken wir den USA

- BRD größte Volkswirtschaft in EU

Für TTIP: In USA höherer Verbraucherschutz (FIFA, VW-Abgase, etc.); wir brauchen Handelsregeln (wie schon vor 150 Jahren), sonst  Willkür; insgesamt haben wir 120 Abkommen mit 120 Ländern - nicht aber mit USA; WTO stockt bzw. ist gescheitert, deshalb bilaterale Abkommen notwendig; BRD ist DIE Exportnation, USA inzwischen wichtigster Handelspartner, fördert Export – gerade auch für den Mittelstand notwendig!; gemeinsame Standards erleichtern vieles.  Unsere Beamten (Kommission) in Brüssel verhandeln konsequent im Interesse Europas. Zu Schiedsgerichten: USA vertrauen lieber „unabhängigen Experten“ als Gerichten z.B. in Rumänien oder Sizilien.

Hauptgrund des Widerstands gegen TTIP: Antiamerikanismus, Minderwertigkeitskomplexe; doch gerade nach 1945 und dann 1989 Freiheit in der BRD dank USA (Bush). Wenn wir nicht handeln, wird Europa zum Wurmfortsatz Asiens.

Schaden für Drittländer (arme Länder): Die Nato hat schon Afrika vor dem Zusammenbruch gerettet. Ein Abkommen USA - EU kann doch Dritten nie Schaden zufügen - im Gegenteil: diese können sich dann in aller Freiheit anschließen und dadurch selbst in den Genuss zuverlässiger Rechtsprechung und Handelsregeln kommen, gegen Korruption. (Dies sagte auch der Präsident der BKU, und: TTIP steigert auch den Wohlstand in den armen Ländern – mehr Investitionen, neue Chancen, etc. )

Kortmann: Ja, es geht um Förderung unseres Wohlstands, aber: Geheimhaltung, Menschenrechte, soziale und ökologische  Standards, etc.  Als Katholiken müssen wir auch an unsere Partner im Süden denken! Die USA erkennen die sozialen Menschenrechte nicht an;

Öttinger: Die deutsche Regierung wird NIE der Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge (TISA) zustimmen („als MP habe ich dies selbst erfahren, wie wichtig das ist - ich bin doch nicht so blöd dies aufs Spiel zu setzen…!“) Zudem: Privatisierung ist kein Thema von TTIP, Beispiel Telekom: Ob der Bund dort 30% der Aktien besitzt oder nicht, ob er sie verkauft oder nicht, das ist TTIP egal. 

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Willi Knecht: Poker um die letzten Ressourcen   -  Kritische Stellungnahme zum geplanten FreihandelsabkommenTTIP zwischen EU und USA - aus der Sicht der armen Kirchen  (Veröffentlicht in "imprimatur, 2/2016)

Selbstverständlich ist es längst überfällig, dass zwei weltweit bestimmende Handelsblöcke viele Hindernisse untereinander aus dem Weg räumen, damit Handel und Wandel besser funktionieren. Zu viele nationale Eigenheiten, Vorschriften, Einschränkungen und staatliche Eingriffe bremsen die Dynamik des freien Handels und die Wachstumskräfte, die notwendig sind, um auch in Zukunft im Wettbewerb mit aufstrebenden Mächten bestehen zu können. Zudem sind bessere Bedingungen für den freien Handel deshalb notwendig, um das stetige Wachstum generieren zu können, ohne das diese Art des Wirtschaftens nicht funktionieren kann. Und solange die Mehrheit unserer Bevölkerung noch Spargel, Mangos und Bananen zu jeder Jahreszeit und möglichst billig auf dem täglich schon überreich gedeckten Tisch haben will, wird diese Spirale sich weiterdrehen können. Und die Flüchtlingsströme werden noch weiter zunehmen, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden.

Mit der zu Beginn der Neuzeit um 1500 beginnenden Eroberung der Welt durch die Europäer wurde auch deren Kosmovision zum Leitbild für alle anderen Völker und Kulturen erklärt. Der abendländischen Christenheit, ausgehend von griechischer Philosophie und römischem Recht auf unbeschränktes Privateigentum fiel es daher nicht schwer, die Eroberung fremder Völker und jahrhundertelange Sklaverei zu rechtfertigen. Auch die daraus entstandene Wirtschaftsordnung mit dem absoluten Vorrang des Kapitals - das Geld als Gott, wie Papst Franziskus dies nennt - wurde nun globalisiert. Nachdem spätestens seit den 1980-er Jahren und verstärkt seit 1990 das Kapital und der freie Handel von den letzten Fesseln sozialer Verantwortung befreit wurden, nehmen die Verwüstung der Erde und die Vertreibung der Menschen exponentiell zu. 

Die EU hat bereits Freihandelsabkommen mit Mexiko, Chile, Kolumbien, Peru sowie Zentralamerika geschlossen. Den „Entwicklungsländern“ wird angeboten, im Welthandel mitspielen zu dürfen. Die Spielregeln aber bestimmen die reichen Länder. An bereits bestehenden Freihandelsabkommen wie zum Beispiel zwischen den USA und Mexiko (NAFTA, 1994) lassen sich grundlegende Mechanismen des Freihandels aufzeigen:

1. Die EU und noch mehr die USA schotten ihre eigenen Märkte ab, subventionieren ihre eigenen Produkte und zwingen die armen Länder, ihrerseits ihre Märkte zu öffnen. Sie zerstören damit die einheimischen Märkte und die Ernährungssouveränität der armen Länder. 

2. Vorläufer und Vorbild sind die Strukturanpassungsmaßnahmen seit Ende der 70er Jahre, die von  IWF und Weltbank den arm gemachten Ländern aufgezwungen wurden: Abbau von Schutzzöllen; freier Zugang von Auslandsinvestitionen; eine rein am Export orientierte Landwirtschaft; drastischer Abbau staatlicher Leistungen u.a. im Bildungs- und Gesundheitswesen; Privatisierung von Staatsbetrieben; Aufhebung staatlicher Vorschriften zum Arbeits- und Umweltschutz, u.v.m.

3. Die Rechte und Freiheiten von Konzernen und Finanzinvestoren werden geschützt. Sie stehen über dem Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Staaten. Die armen Länder werden auf ihre Rolle als „Vorratslager der Welt“ reduziert (Rohstoffe, Landflächen, Viehfutter usw.), auf das beliebig und in „voller Freiheit“ zugegriffen werden kann.  

In Mexiko sprechen Bauernverbände und Indigena - Organisationen bereits von einer Zweiten Conquista: Den indigenen Völkern wird nun auch noch der letzte Wert geraubt: Das Recht auf eigene Ernährung, d.h. das Recht auf ihre heimischen Pflanzen. Mais ist nicht nur ein Grundnahrungsmittel, sondern hat einen sehr hohen kulturellen-religiösen Wert und ist Teil ihrer Identität. Ihre Angst: Wenige Konzerne werden das weltweite Monopol auf Nutzpflanzen und Tiere besitzen und können so die ganze Weltbevölkerung kontrollieren. Mexiko kann als Versuchslabor bzw. Modell verstanden werden, wie durch Freihandelsabkommen die Vormachtstellung „des Westens“ und seiner Werte stabilisiert  werden kann. Konkreter: Der Staat hat lediglich die Funktion, „die Freiheit der Märkte“ zu garantieren und die Interessen der Investoren zu schützen. Die Interessen des Kapitals haben absoluten Vorrang. Zu dieser Wirtschaft und Politik gibt es keine Alternative, sie ist absolut. 

Diese Maßnahmen und Verhaltensweisen sind das Ergebnis und die logische Folge der etablierten Weltordnung. Das Fundament ist eine ganz bestimmte Weltsicht (Ideologie, Glaube), die als absolut verstanden wird. „Freiheit“ ist einer ihrer Schlüsselbegriffe. Es gibt aber keine Freiheit „an sich“, wie es auch den Menschen „an sich“ nicht gibt. Ein Sklave versteht unter Freiheit etwas anderes als sein Besitzer, der für sich in Anspruch nimmt, frei über seinen Besitz verfügen zu können.

Im Rahmen der bestehenden Welt- und Werteordnung haben einige wenige Menschen Startvorteile, die andere nicht werden aufholen können. Im so genannten „Freien Wettbewerb“ werden sie keine Chance haben. Das Reden von einer Chancengleichheit - sowohl für Einzelne als auch für ganze Völker - dient dazu, all denen, die es zu "nichts bringen", als Versager abzustempeln und ihnen auch noch einzuimpfen, selbst schuld an ihrem Schicksal zu sein. Dieser Glaube (Religion) ist der am weitest verbreitete Glaube (Religion) unserer Zeit. Er ist inzwischen bis in die letzten Winkel unserer Erde und unserer Seelen vorgedrungen und vergiftet zunehmend das menschliche Zusammenleben. 

Der vom Evangelium ausgehende Widerstand gegen eine solche Weltordnung und Geisteshaltung kann ebenfalls als Ideologie oder Glaube bezeichnet werden. Christen aber, wenn sie Christen sind, bekennen sich zu diesem Glauben. Die Option für die Armen – für die Opfer und nicht für die Sieger – ist nicht beliebig. Sie bildet den Kern der Worte und Taten Jesu, dem Christus.

Von dieser christlichen Perspektive aus ist das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und EU zu deuten. Katholische Basisgruppen in Lateinamerika bezeichnen daher Freihandelsabkommen als„das Betriebssystem und das Instrument der neoliberalen Weltordnung“. Von deren Standpunkt aus bedeutet das nun geplante Freihandelsabkommen USA – EU eine weitere Verschlechterung für die Menschen in Lateinamerika (und Afrika, Asien). Es bedeutet noch mehr Extraktivismus, noch mehr industrielle und rein exportorientierte Landwirtschaft und damit noch mehr Vertreibung, noch mehr Zerstören der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, noch mehr prekäre Arbeitsverhältnisse, noch mehr Sozialabbau und mehr Ausplünderung der natürlichen Lebensgrundlagen von Mensch und Natur. 

Was bisher schon USA und EU jeder für sich praktiziert haben, soll nun u.a. durch die Einführung einheitlicher Standards besser abgestimmt und somit noch effektiver werden. Wenn aber ein System, das schon jetzt wachsende Ungleichheit produziert, sowohl global als auch innerhalb der einzelnen Länder in Nord und Süd, optimiert werden soll, werden auch die Ungleichheiten optimiert. Die Kluft zwischen arm und reich, lokal wie global, wird noch größer als bisher.  TTIP kann für die Wirtschaft und Finanzinvestoren in den USA und der EU zum Segen werden. Für die Menschen in der globalen und lokalen Peripherie wird sie zum Fluch. Sie suchen Zuflucht, aber wir verriegeln unsere Türen und Herzen.  

Diese authentisch christlich-biblische Perspektive ist ansatzweise schon im Konzil, dann aber vor allem von der lateinamerikanischen Kirche wiederentdeckt worden. Das bedeutet, aus der Perspektive derer, die unter die Räuber gefallen und ausgeschlossen sind, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu analysieren und im Lichte der Botschaft und der Praxis Jesu Christi neu zu deuten.  „Wir befinden uns mitten im Dritten Weltkrieg, aber auf Raten. Es gibt Wirtschaftssysteme, die Krieg führen müssen um überleben zu können. Damit sanieren sie die Bilanzen einer Wirtschaftsweise, die Menschenopfer darbringt, um ihren Götzen zu huldigen. … Sie denken nicht an die hungernden Kinder, sie denken nicht an die zwangsweise Umgesiedelten, nicht an die zerstörten Wohnungen und nicht an so viele Menschen, denen ein würdiges Leben verweigert wird.“  (Papst Franziskus, Ansprache an die Volksbewegungen am 28. 10. 2014, eigene Übersetzung). 

Beim Transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen den USA und der EU geht es – das kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden - um mehr als ein bloßes Handelsabkommen. Es geht um die Frage, wie und nach welchen Werten wir in Zukunft leben wollen. Es geht um unser Verhältnis zu Natur und Umwelt, zur Art und Weise unseres Wirtschaftens und unseres Zusammenlebens in Gesellschaft und Staat. 

Dazu ein „winziges“ Beispiel: Am 1. April 2015 trat in Baden-Württemberg - fast unbeachtet - eine Verordnung für nachhaltige Beschaffung in Kraft. Land und Kommunen dürfen und sollen bei öffentlichen Ausschreibungen Sozial- und Umweltstandards berücksichtigen, z.B. keine Produkte aus Kinderarbeit. Dies ist ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft, deren Vorschläge für neue „Entwicklungspolitische Leitlinien des Landes Baden-Württemberg“ nahezu identisch vom Landtag übernommen wurden. Die beiden großen Kirchen leisteten einen großen Beitrag. Aber ein solches Engagement widerspricht dem „Geist von TTIP“ und könnte in Zukunft ins Leere laufen. 

Auch in Kommunen und Landkreisen formiert sich daher der Widerstand gegen TIPP. Denn die USA und europäische Konzerne wollen ungehinderten Zugang zur öffentlichen und kommunalen Wasser-, Energie- und Verkehrswirtschaft in Europa. Das liegt in der Konsequenz einer Ideologie, die wie ein Mantra heruntergebetet wird: Immer mehr Privatisierung und immer weniger Staat. Wenn aber die öffentliche Daseinsfürsorge und öffentliche Güter, die dem Gemeinwohl aller dienen, vorrangig der Profitmaximierung privater Konzerne unterworfen sind, werden sie zum Spielball von Spekulationen und der Interessen von einigen Wenigen. Das, was eine Gemeinschaft im Grunde zusammenhält, gerät in Gefahr zu verschwinden bzw. zerstört zu werden. Die Gesellschaft wird noch mehr gespalten. 

Im geplanten Handelsabkommen bestimmen allein die Konzerne, wie, wo und unter welchen Kriterien sie investieren. Die Mitsprache der Bürger in ihren ureigenen Angelegenheiten wäre in Gefahr. Die „Freiheit der Märkte“ und die Interessen der Konzerne (Wirtschaft) sind sakrosankt, denn nur sie garantieren – so die herrschende Lehre – Wachstum, Wohlstand und Sicherheit. Inzwischen gibt es zahlreiche Stellungnahmen zum geplanten Handelsabkommen. Bürgerinitiativen, Kirchen, Verbände und Kommunen äußeren darin ihre Überlegungen, Bedenken und Kritikpunkte. Daher hier die zehn am meisten genannten Kritikpunkte, vornehmlich aus kirchlichen Kreisen (Basisgruppen): 

  1. Schiedsgerichte: Konzerne könnten Staaten auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagen, wenn ihre Gewinnpläne von demokratischen Entscheidungen durchkreuzt werden.
  2. Verbraucherschützer befürchten einen Wettlauf zum Abbau der Anforderungen an Sicherheitstests von Gebrauchsgütern und Lebensmitteln. 
  3. Abbau von sinnvollen Regelungen und Subventionen, die dem Ziel einer Wirtschaft im Dienste des Menschen und einer Lebensweise im Einklang mit Natur und Mitmensch dienen.
  4. Zunehmende Privatisierung von lebenswichtigen Leistungen wie Wasserversorgung, Energie, Abfall, Verkehr, Gesundheitsversorgung und Bildung.
  5. Ausbau der industriellen Landwirtschaft zu Lasten der kleinbäuerlichen (Bio-) Landwirtschaft. 
  6. Einseitige Bevorzugung von Gentechnologie und Extraktivismus (u.a. Fracking). 
  7. Weitere Deregulierung von Finanzdienstleistungen (u.a. Gefahr für Genossenschaftsbanken) und Abbau sozialer Standards für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. 
  8. Patentierung (Eigentumsrechte) von genmanipulierten Pflanzen und Medikamenten.
  9. Einschränkungen demokratischer Grundrechte und demokratischer Selbstbestimmung. Auswirkungen auf arme Länder und deren Ernährungssouveränität (Landraub, Bergbau etc.).
  10. Agrarkonzerne der USA und EU werden ihre globale Vormachtstellung ausbauen können.

Grundsätzlich wird befürchtet, dass die demokratische Willensbildung der „Freiheit der Konzerne“ untergeordnet wird. Kultur (Literatur, Musik), Bildung und Datenschutz werden rein ökonomischen Kriterien („muss Gewinn bringen“) unterworfen. Bio- und andere Labels gelten als Behinderung des freien Wettbewerbs. Einem aus Lobbyisten gebildeten Regulierungsrat wird das letztgültige Entscheidungsrecht übertragen. Unternehmen werden quasi zu „Gesetzgebern“. Widerstand dagegen wird als Rückfall in eine unfreie Gesellschaft diffamiert. Auffallend ist, dass die Auswirkungen auf die arm gemachten Länder fast nicht thematisiert werden, am ehesten aber noch in kirchlichen Stellungnahmen. 

„Dies alles geschieht, wenn im Zentrum der Wirtschaft nicht der Mensch steht, sondern Mammon, das Geld als Gott. Im Zentrum der gesamten Gesellschaft muss aber die menschliche Person stehen, das Ebenbild Gottes - geschaffen, um dem Universum einen Sinn zu geben. Wenn der Mensch zur Seite gedrängt und Mammon an seine Stelle gesetzt wird, dann kommt es zur Umkehr aller Werte.“ 

Die staatstragenden Parteien befürworten das Handelsabkommen, wenn auch mit Einschränkungen und dem Vorbehalt von Korrekturen. Sie befürchten den Abstieg Europas im Wettbewerb mit den Schwellenländern. Sie fürchten um Wachstum und Wohlstand. Es geht ihnen zudem um die „Verteidigung unserer Werteordnung“, die seit 500 Jahren darin besteht, andere Völker „in aller Freiheit“ ausbeuten zu dürfen. 

Auch die deutschen Kirchen (-leitungen) setzen immer noch auf Wachstum. Für Kardinal Marx ist ein allerdings erheblich verbessertes TTIP notwendig, um besser und nachhaltiger wachsen zu können und um die europäische Wirtschaft in Partnerschaft mit den USA konkurrenzfähig zu halten. 

Sind wir als deutsche Kirche vielleicht doch noch zu sehr von wirtschaftlichem Wachstum abhängig? Es ist höchste Zeit (ein Zeichen der Zeit), wieder den Anschluss zu finden, anschlussfähig nicht zum herrschenden Mainstream der herrschenden Weltordnung, sondern anschlussfähig an eine „Kirche der Armen“, an Papst Franziskus und an alle Bewegungen, die im Widerstand gegen die „Götzen dieser Welt“ aufstehen. Eine Kirche, die ihr Vertrauen – de facto – vorrangig in ihren Besitz und irdische Güter und Werte setzt, kann nicht die Kirche Jesu Christi sein.

Auf der Zweiten Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín (1968) wurde der Geist des Konzils konkret auf die Lebenswirklichkeit der Menschen angewandt. Die Bischöfe kamen zu dem Schluss: So wie die Menschen in Lateinamerika leben, als arm Gemachte, das ist nicht der Wille Gottes. Das ist eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit. Gott will nicht, dass Kinder verhungern, obwohl es Nahrungsmittel im Überfluss gibt. Diese theologische und gesellschaftspolitische Analyse wurde so in Europa und speziell in Deutschland nicht durchgeführt. Wäre dem so gewesen, hätte man sich vielleicht als eine Kirche entdeckt, die selbst in ein ausbeuterisches System eingebunden ist und von den herrschenden Verhältnissen mit profitiert. Das wäre eine sehr bittere Selbsterkenntnis gewesen. Aber gerade diese Einsicht ist notwendig, sonst kann es keine Umkehr geben. Als Christen sind wir nicht von dieser Welt, aber mitten in diese Welt gesandt, um sie im Geist Jesu Christi zu verwandeln. 

„Einige von euch haben es so ausgedrückt: Dieses System kann man nicht mehr ertragen. Wir müssen es ändern. Wir müssen die Würde des Menschen wieder ins Zentrum rücken und dann auf diesem Pfeiler die alternativen gesellschaftlichen Strukturen errichten, die wir brauchen. Hartnäckig sein, aber ohne Fanatismus. Leidenschaftlich, aber ohne Gewalt. Wir brauchen dazu viel Mut, aber auch Intelligenz. Wir Christen haben etwas sehr Schönes, eine ´Gebrauchsanweisung´, ein revolutionäres Programm gewissermaßen. Ich rate euch sehr, es zu lesen….!“ (Beide Zitate aus der Ansprache des Papstes auf dem „Welttreffen der Volksbewegungen“, 28. 10. 14, eig. Übersetzung).  

Dr. Willi Knecht ist promovierter Theologe. Von 1976 bis 1980 arbeitete er als Pastoralreferent in Cajamarca/Peru. Danach war er bis zu seiner Pensionierung 2010 als Religionslehrer, wiss. Mitarbeiter an den kath. Fakultäten in Würzburg und Tübingen und als Referent in der kirchlichen Erwachsenenbildung tätig. Die kritische Stellungnahme zum geplanten TTIP resultiert aus zwei Kommentaren, die unser Autor zuerst für weltkirchliche Publikationen des Bistums Rottenburg-Stuttgart verfasste (Juli 2015, in "Der geteilte Mantel" und drs.global).

Freihandelsabkommen - Instrument der neoliberalen Weltordnung

TTIP - Zum Segen für wen?