Ausgangspunkt der Theologie der Befreiung ist das Evangelium, die gute und befreiende Botschaft für alle Menschen, besonders aber für die 2/3 der Menschheit, die das Opfer der Gewalt, das Opfer der Reichen und Mächtigen dieser Erde sind. Das Evangelium ist die Grundlage unseres Glaubens an Jesus den Christus. Jesus Christus und sein Leben, sein Leiden, Tod und Auferstehung, sind der Ausgangspunkt jeder christlichen Theologie. Das ist eigentlich selbstverständlich, muss aber dennoch gelegentlich betont werden. Ist aber das Evangelium zuerst eine frohe Botschaft zuerst für die Armen und Unterdrückten dieser Erde, und wenn es stimmt, dass das Evangelium den Menschen auch für das diesseitige Leben etwas zu sagen hat, so muss jede Art von Theologie und Verkündigung von der Situation ausgehen, in der diese 2/3 der Menschheit leben. "Wenn die historische Situation der Abhängigkeit und Beherrschung von 2/3 der Menschheit mit ihren 30 Millionen Toten, die jährlich an Hunger und Unterernährung sterben, nicht zum Ausgangspunkt jedweder christlichen Theologie von heute wird, so wird die Theologie ihre fundamentalen Themen nicht in die Geschichte einbringen und konkretisieren können. Ihre Fragen werden keine wirklichen Fragen sein. Sie werden am wirklichen Menschen vorbei gehen“. Alle mir bekannten Vertreter der Theologie der Befreiung stimmen der Aussagen von Assmann zu: „Es gibt fast eine Einstimmigkeit in den bisher veröffentlichten Texten: der Ausgangspunkt der Theologie der Befreiung ist die historische Situation der Abhängigkeit und Beherrschung, in der sich die Völker der Dritten Welt befinden“.[2]

Auszug aus meiner Seminararbeit im WS 73/74 in Frankfurt- St. Georgen, SJ): Von einer Praxis der Herrschaft zu einer Praxis der Befreiung - eine "barbarische Theologie" (ausgehend von den "Barbaren").

PS: Im SS 1972 hatte sich in St. Georgen der erste "Studienkreis Theologie der Befreiung" in Deutschland gebildet, noch vor Erscheinen der deutschen Ausgabe des Buches "Theologie der Befreiung" von Gustavo Gutiérrez. Er wurde von lateinamerikanischen Mitstudenten (Doktoranden, mit konkreten Erfahrungen aus LA) initiiert und getragen. Einzige deutsche Mitarbeiter waren Christian Herwartz (heute Obdachlosenpriester in Berlin) und ich. Pater Semmelroth und Pater Grillmeier waren kritische Begleiter.

Aber auch das eine Drittel der Menschheit, das weniger arm ist oder das auf Kosten der Armen weltweit immer reicher wird, muss von der herrschenden Situation ausgehen, die sie ja selbst nach ihren Interessen gestaltet haben. Wenn diese Menschen zudem noch Christen sein wollen, so können sie dies nur, wenn sie ihre Situation und ihren Standpunkt als unvereinbar mit der Botschaft Jesu erkennen und umkehren. Gerade sie bedürfen der Befreiung, denn sonst verfehlten sie ihr Menschsein und erst recht ihre Berufung, Kinder Gottes zu sein.

Die bisherige europäische Theologie (und es gab ja nie eine andere Theologie, die hellenistische Theologie in Alexandria und anderswo war ja auch europäisch) ging und geht nicht von den Armen aus, geschweige dass sie sich ihren Standpunkt zu Eigen machen kann. Sie kann das so lange nicht, wie Theologie und „Wahrheit“ von denen gemacht werden, die in dem reichen und herrschenden Teil der Welt wohnen, der die Mehrheit der Menschheit beherrscht und aussaugt. Mehr noch: sie wohnen nicht nur in diesem Teil der Welt, sondern sie sind tragendes und stützendes Teil dieses unmenschlichen Systems. Sie profitieren selbst davon und sind wie die europäische Kirche als Institution Garant und „Schutzpatron“ eines wirtschaftlichen und militärischen Systems, das spätestens seit Beginn der Neuzeit die ganze Erde erobert und dabei viele Völker vollkommen ausgerottet hat.[3]

Die Theologie der Befreiung dagegen ist der erste größere Versuch, in dem sowohl die Vertreter der armen und unterdrückten Völker selbst zu Wort kommen, als auch in dem die Lebenssituation und die geschichtliche Realität, in diese Menschen leben müssen, ausreichend berücksichtigt wird. Die Untersuchung und Analyse der bestehenden Situation in Lateinamerika, der Dritten Welt allgemein[4] und gleichzeitig in den reichen Ländern – da zusammengehörende Pole derselben Entwicklung – wird mit Hilfe der Humanwissenschaften durchgeführt,, ist aber bereits Bestandteil der Theologie. Das Elend in der Welt, zumindest so wie es ist, ist keine unveränderliche Naturgegebenheit und erstrecht kein Zufall, sonders das geschichtliche Ergebnis ganz bestimmter und so gewollter wirtschaftlich – politischer – sozialer Prozesse, so geplant und gemacht von Menschen mit einem ganz bestimmten Interesse.

Um keine Sisyphos – Arbeit zu leisten, was weiterhin den gewaltsamen Tod von Millionen Menschen bedeuten würde, müssen Menschen, die sich aus ihrem Elend befreien wollen, die wahren Gründe ihres Elends und die Funktionsweise der Unterdrückung kennen lernen. Ohne Analyse der bestehenden Verhältnisse geht das nicht. Weiterhin bloße „europäische Theologie“ treiben zu wollen, wäre blanker Zynismus gegenüber dem zum Himmel schreienden Elend der Menschen – und gegenüber Gott in den Menschen.

Bis in die Mitte der 60er Jahre glaubte man, die Probleme Lateinamerikas mit den Mitteln einer Entwicklungsstrategie meistern zu können, anders formuliert: man bracht nur genügend Geld in die Dritte Welt hinein zu pumpen, um den Patienten zu heilen. Diese Entwicklungsideologie, ein anderer Name für die Schaffung neuer Abhängigkeiten und für die bewusste Verschleierung der wahren Ursachen, hat sich aber als total unfähig erwiesen, die echten Probleme und die Ursachen des Elends in Lateinamerika zu sehen, geschweige denn zu beseitigen. Eine Entwicklung innerhalb des derzeit bestehenden Weltsystems ist nicht möglich, sondern führt zu immer größerer Abhängigkeit und Armut. „Seit einiger Zeit setzt sich in Lateinamerika ein anderer Gesichtspunkt durch. Man sieht immer klarer, dass die Situation der Unterentwicklung das Ergebnis eines Prozesses ist und deshalb in einer geschichtlichen Perspektive, d.h. im Verhältnis zu Entwicklung und Expansion der großen kapitalistischen Länder studiert werden muss. Die Unterentwicklung der armen Völker als globaler sozialer Tatbestand zeigt dann erst sein wahres Gesicht. Er ist ein geschichtliches Subprodukt der Entwicklung anderer Länder. Denn in der Tat führt die Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft zur Errichtung eines Zentrums und einer Peripherie und bringt zur gleichen Zeit Fortschritt und Reichtum für die Minderheit und soziale Unausgeglichenheit, politische Spannungen und Armut für die Mehrheit. In einem solchen Kontext wurde Lateinamerika geboren und nimmt seinen Lauf. … Die Situation der Abhängigkeit und Unterdrückung ist also der Ausgangspunkt für ein sachgemäßes Verstehen der Unterentwicklung in Lateinamerika“.[6] Würde man daher christliche Praxis und Theologie betreiben wollen, ohne diese Tatsache der Abhängigkeit und Unterdrückung in Lateinamerika und weltweit zu berücksichtigen, liefe man Gefahr, eine heidnische Praxis und eine heidnische Theologie zu betreiben. Denn zum Wesen des Christentums gehört der Glaube, dass Gott inmitten der unterdrückten Mehrheit Mensch geworden ist und sich zuerst mit denen solidarisiert, die in der Folge von Menschen errichteten sündhaften Strukturen unter die Räder kommen. Es kann hier nicht im Ganzen dargestellt werden, wie diese Abhängigkeit im Einzelnen funktioniert, auch nicht, wie es zu den Ergebnissen kommt, die die Dependenztheorie gefunden hat. Deshalb seien hier nur einige Grundaussagen dieser Theorie genannt, die unumstritten bei allen Vertretern der Dependenztheorie sind – seien sie liberal, nationalistisch oder marxistisch eingestellt.[7]

a) Die wirtschaftliche Situation der Entwicklungsländer kann nur verstanden werden, wenn der Faktor der äußeren Abhängigkeit berücksichtigt wird. Denn die Sozialstrukturen in Lateinamerika sind wesentlich geprägt durch die Dominanz ausländischer Mächte. In Lateinamerika begann die Abhängigkeit, als der erste Spanier amerikanischen Boden betrat. In der Folgezeit wurde Lateinamerika in das bestehende Weltsystem zwangsintegriert und musste von nun an ausschließlich den wirtschaftlichen und politischen Interessenseiner „Herren“ dienen. (Rolle der USA anders….). Die Unabhängigkeit von Spanien und Portugal brachte für Lateinamerika nur die Abhängigkeit von noch stärkeren Mächten. Lateinamerika wurde zum Hinterhof der USA (bzw. deren Herrschaft der Weißen). Die Geschichte Lateinamerikas ist lediglich das Negativ der Geschichte Europas und in der Folge der USA (als auf Amerika ausgedehnte Herrschaft der Europäer bei gleichzeitiger Vernichtung der Urbevölkerung im Norden Amerikas).

b) Die Unterentwicklung ist kein der Entwicklung zeitlich vorausgehender Stadium, sondern beide sind gleichzeitige, funktional aufeinander bezogene Seiten desselben historischen Prozesses der Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems. „Wirtschaftliche Entwicklung und Unterentwicklung sind zwei Seiten einer Medaille. Beide sind notwendiges Ergebnis und gleichzeitig Manifestation der inneren Widersprüche im kapitalistischen System“.[8] Der Kapitalismus wird als globales, die Welt beherrschendes System gesehen, mit zwei antagonistischen Polen, dem Zentrum und seiner Peripherie. Beide stehen in einem dialektisch abhängigen Verhältnis zueinander. Dabei hat die Peripherie die Aufgabe, das Zentrum zu nähren, wobei sie selbst immer ärmer wird, das Zentrum aber immer reicher. Das Zentrum bestimmt, was in der Peripherie zu geschehen hat. Alles, was in den ausgebeuteten Ländern geschieht, wird bestimmt und ausgerichtet auf das, was Europa und den USA nutzt. kapitalistische System beruht auf…. hat per se die Aufgabe, die Herrschaft….. Götzendienst…..

Das, was in Lateinamerika geschieht „wird sowohl den Interessen der dominierenden Zentren als auch den Erfordernissen der Systemerhaltung untergeordnet“.[9] Die Armut in Lateinamerika stellt sich so als das Ergebnis von Ausbeutung und Herrschaft auf Weltmaßstab dar. Es handelt sich um einen weltweiten Klassengegensatz (der zudem noch rassistisch bestimmt ist). „Deshalb würde die Theorie der Abhängigkeit ihren Weg verfehlen und zum Irrtum führen, wenn man ihre Analyse nicht im Kontext des weltweiten Klassenkampfes ansiedelt“.[10]

c) Die Unterentwicklung ist zwar extern begründet, ihre Auswirkungen sind aber interner Art und hat verheerende Folgen für die Mehrheit der Menschen in den abhängig gehaltenen Ländern. Dass das Elend in Lateinamerika die direkte Folge des allein am Kapital und dessen Vermehrung bestehenden Herrschaftssystems ist, wird auch von den Bischöfen des Nordosten Brasiliens so gesehen. Sie schreiben in einem gemeinsamen Hirtenwort: „Die in Brasiliens herrschenden Sozial- und Wirtschaftsstrukturen sind auf Unterdrückung und Ungerechtigkeit errichtet, die aus einer Situation des von den großen internationalen Marktzentren abhängigen Kapitalismus hervorgehen. Innerhalb unseres Landes bemühen sich kleine Minderheiten, Komplizen des internationalen Kapitalismus, mit allen möglichen Mitteln ihm zu dienen, um eine für sie günstige Position zu bewahren. So entstand ein unmenschlicher Zustand, der sicherlich nicht christlich ist“.[11] Und die peruanischen Bischöfe schreiben: „Wir teilen mit den Nationen der Dritten Welt das Schicksal, Opfer von Systemen zu sein, die unsere wirtschaftlichen Reichtümer ausbeuten, unsere politischen Entscheidungen kontrollieren und uns die kulturelle Vorherrschaft ihrer Werte und ihre Konsumzivilisation aufdrängen. Diese von den lateinamerikanischen Bischöfen in Medellín angeprangerte Situation bleibt bestehen und festigt sich aufgrund der internen Struktur unserer Länder, einer Struktur der wachsenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ungleichheit und der politischen Perversion, die nicht dem Wohle aller, sondern einiger weniger dient“.[12]

Was sich auf globaler Ebene an Ungerechtigkeit und Unterdrückung abspielt, spiegelt sich und wird besonders deutlich innerhalb der einzelnen Länder Lateinamerikas. Denn innerhalb der einzelnen Länder gibt es die gleiche Aufteilung in Zentrum und Peripherie, in Unterdrücker und Unterdrückte, mit der gleichen Rollenverteilung wie oben beschrieben. Die herrschende Oberschicht in den armen Ländern paktiert mit den Interessen des internationalen Kapitals auf Kosten der Armen, der Mehrheit des Volkes. Als Gegenleistung unterstützt das internationale Kapital die Macht der Oberschicht und des Status quo zu deren und im eigenen Interesse. Um die Herrschaft der Marionettenregierungen abzusichern und z.B. um wirklich demokratische Entwicklungen zu verhindern, schrecken die reichen Länder unter der Führung der USA auch nicht vor militärischen Interventionen zurück – ausgerechnet im Namen der Freiheit und der Demokratie und beseelt von der Überlegenheit der christlich-abendländischen Zivilisation. Die Armen, die überwiegende Mehrheit des Volkes, leiden so unter einer doppelten Fron. Auch die Klassenherrschaft zeigt sich auf doppelte Weise. Nämlich global im Gegensatz der reichen zu den armen Ländern und innerhalb der armen (und zunehmend auch selbst der reichen) Länder in der Spaltung zwischen Oberschicht und Volk.

d) Katalog wirtschaftlicher Abhängigkeit im Rahmen und als Folge eines kapitalistischen Systems: Angewiesensein auf ausländische Geldgeber (Kredite für Großprojekte zum Nutzen der einheimischen Oberschicht) und der Transfer der Profite in die Geberländer; Auslandsverschuldung, einseitiges technische Know-how sowie Lizenz- und Patentgebühren; Diktat der Weltmarktpreise, Zollschranken etc.; das ausländische Kapital beherrscht alle Grundbereiche der einheimischen Wirtschaft, der Industrie und des Finanzwesens, den gesamten Handel und die Dienstleistungen. Was produziert wird bestimmt das Ausland, deshalb Produktion und Export auf die Bedürfnisse der reichen Länder und der eigenen Oberschicht abgestimmt, aber nicht auf die notwendigsten Bedürfnisse und Notwendigkeiten der eigenen Bevölkerung (z.B. Grundnahrungsmittel). Die reichen Länder kontrollieren die Währung, die Presse, die öffentliche Meinung, das Militär und die Politik der abhängigen Länder. Dabei ist eine allzu sichtbare Kontrolle meist nicht notwendig (z.B. allzu offene Militärpräsenz). Die Kontrolle geschieht vielmehr mit Hilfe des verlängerten Arms des internationalen Kapitals, der einheimischen Oberschicht. Diese muss buchstäblich mit aller Gewalt an der Macht gehalten werden, denn nur so ist die ungehemmte Ausbeutung ganzer Völker weiterhin möglich. An dieser Stelle nur ein einziges Beispiel aus der Landwirtschaft: Kuba, eines der fruchtbarsten Länder der Welt, musste bis 1959 über Jahrzehnte hinweg Bohnen und Reis einführen, die Grundnahrungsmittel schlechthin für die Kubaner. Auf den fruchtbarsten Böden wurde stattdessen vor allem Rohrzucker angebaut. Dadurch kamen vornehmlich die USA zu billigem Zucker und Rum und die weißen Großgrundbesitzer zu viel Geld. Gleichzeitig galt Kuba sowohl als billiges Ferienparadies und als größtes Bordell der USA als auch als eines der ärmsten Länder der Welt (permanente Unterernährung der Mehrheit, Analphabetismus, keine medizinische Versorgung etc.). Lateinamerika wäre nach Berechnungen der FAO (Unterabteilung der UNO für Ernährung) in der Lage, mehr als eine Milliarde Menschen ausreichend und ausgewogen zu ernähren, wenn die Landwirtschaft auf die Bedürfnisse des Volkes hin ausgerichtet wäre (1972).

Das Elend in Lateinamerika, das „zum Himmel schreit“ (Medellín), hat also seinen Ausgangspunkt in der Herrschaft der reichen Länder über die armen Länder, genauer: in einem kapitalistischen System, das systemimmanent logisch als höchsten, gar absoluten Wert die Vermehrung des Kapitals hat und das gemäß seiner Natur auf globale Herrschaft ausgerichtet ist. Seine kulturelle (auch anthropologische) Grundlage ist die Gier nach immer Mehr und es definiert Menschsein und Menschwerdung als ein immer mehr Haben. Die „Nichthabenden“ können so nicht als Menschen wahrgenommen werden, die die gleichen Rechte und die gleiche Würde haben. Der Kapitalismus beruht systembedingt darauf, die Völkergemeinschaft zu spalten, den Menschen sich selbst (künstliche Bedürfnisse zu schaffen) und dem Nächsten zu entfremden und systematischen Raubbau an der Natur zu betreiben (permanentes Wachstum ist absolut notwendig bei gleichzeitig begrenzten und rapide abnehmenden Ressourcen, siehe Meadows: Grenzen des Wachstums, 1972).

Dieses Elend hat in den letzten Jahren noch zugenommen, sowohl weltweit als auch z.B. in dem „Wirtschaftswunderland“ Brasilien, das unter der aktuell herrschenden Militärdiktatur laut Berichten des IWF so floriert wie noch nie zuvor. Die Schere zwischen reichen und armen Ländern und zwischen Oberschicht und Volk in den armen Ländern ist größer geworden. Und das Elend wird noch größer werden, solange das kapitalistische System sich ungebremst ausbreiten kann. Ob und wie lange es dies noch kann, hängt nicht nur von den Menschen in der Dritten Welt ab, sondern im besonderen Maße auch von den Menschen (und Christen!), die in den reichen Ländern wohnen. Zuletzt noch ein Zitat aus dem schon erwähnten Hirtenbrief der brasilianischen Bischöfe und Ordensoberen: „Diese Wirklichkeit des Elends ist weit davon entfernt, eine unausweichliche Wirkung einer unzureichenden Natur zu sein, sondern sie ist vor allem die Folge eines Prozesses, der durch Menschen, die mit dem internationalen Kapitalismus verstrickt sind, fixiert wurde. Das macht den Aufbau einer ungerechten Gesellschaft möglich und erhält ihr das erdrückende Gewicht, ihre Privilegien zu verteidigen und zu vermehren. Die aus dieser Situation entstandene Ungerechtigkeit hat ihre Grundlage in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen, die unausweichlich zu einer Klassengesellschaft führen, gekennzeichnet durch Diskriminierung und Ungerechtigkeit“.[13]


[2] Hugo Assmann: Teología desde la praxis de la liberación; Salamanca 1973, S. 40. Assmann spricht hier als Theologe, der sich Sorgen um die Theologie macht. Aber es geht um Tausende von Menschen, die täglich ums Leben gebracht werden, um Söhne und Töchter Gottes, denen Gott selbst ein „Leben in Fülle“ versprochen hat. Diese Menschen um ihr Leben zu bringen bedeutet, Gott ans Kreuz zu nageln.
[3] Natürlich gab und gibt es Ausnahmen: Franziskus und viele andere, doch auch diese wahrhaft Heiligen konnten grundsätzlich nichts ändern, denn sie hatten nie die ganze Macht - ähnlich wie im AT die Propheten und immer wieder vereinzelt mutige Männer und Frauen, die den Glauben an den wahren Gott des Lebens bezeugten.
[4] In dieser Arbeit steht Lateinamerika im Mittelpunkt, dennoch gibt es bei aller Verschiedenheit mit anderen Kontinenten (und auch innerhalb von Lateinamerika selbst) grundlegende Gemeinsamkeiten: die von Europa ausgehende Unterwerfung, Kolonialisierung, die Verachtung fremder Kulturen etc. und die heute auf dem Höhepunkt angelangte Dominanz wirtschaftlich-politischer Strukturen der Abhängigkeit und Ausbeutung.
[5] Alle Statistischen Angaben aus: Dokument der Bischöfe und Ordensoberen des brasilianischen Nordostens vom 6. Mai 1973; Erklärung der peruanischen Bischofskonferenz vom Juni 1971. Ergänzend: Armando Cordova: Strukturelle Heterogenität und wirtschaftliches Wachstum, Frankfurt 1973; Armando Cordova/Hector Silva Michelena: Die wirtschaftliche Struktur Lateinamerikas, Frankfurt 1969; T.T.Evers-P.von Wogau: „Dependencia“ - Lateinamerikanische Beiträge zur Theorie der Unterentwicklung, in: Das Argument, Ausgabe Nr. 79/1973
[6] G. Gutiérrez, Theologie der Befreiung, S. 77,78
[7] ff nach Evers-Wogau: „Dependencia“ in: Das Argument 73, Nr. 79, S. 400-454). Zur Verwendung dieser Theorie (Versuch einer Erklärung): Hierbei handelt es sich lediglich um ein Hilfsmittel, um einen theologisch klaren Standpunkt verständlicher und in der Sprache weltlicher Wissenschaft auszudrücken. Außerdem ist zu beachten, dass bei der Darstellung von Ursachen der Armut sehr viele Dimensionen zu berücksichtigen wären (Kultur, Geschichte, Religion, Traditionen, äußere Gegebenheiten etc.).
[8] A. Córdova: Strukturelle Heterogenität…. S. 146
[9] A. Córdova: a.a.O., S. 29
[10] G. Gutiérrez: a.a.O., S. 83
[11] Dokument der Bischöfe Nordostbrasiliens, Mai 1973, in: Katholizismus in Lateinamerika, Wien, S. 27
[12] Erklärung des peruanischen Episkiopats 1971; a.a.O., S. 30.
[13] Katholizismus in Lateinamerika; a.a.O., S. 28