„Seitens der Kirche müssen wir aufzeigen, dass wir mit der Armut kein ‚ weltliches Problem’ vor uns haben, sondern ein theologisches Problem. Gott will alle Menschen in der Welt lieben und nicht nur die 25%, die in den reichen Ländern leben. Das Beispiel Jesu zeigt, dass Gott die Armen liebt“ (1).

Die Geschichte des Glaubens an den einen Gott, der sein Volk befreit und mit ihm einen Bund.geschlossen hat, beginnt mit der Erfahrung eines kleinen Volkes, das seine Befreiung aus der Sklaverei diesem Gott zuschreibt und ihm Treue gelobt hat.

Es waren die Propheten, die im Auftrag Gottes dieses Volk immer wieder mahnten, nicht von diesem Weg abzukommen. Allein schon die Existenz von Armen war für die Propheten ein Zeichen des Abfalls von Gott. Gerechtigkeit für die Armen zu schaffen ist der Wille Gottes, sich dafür einzusetzen ist wahrer Gottesdienst.

Die Option Gottes für die Ausgestoßenen konkretisiert sich („wird Fleisch und Blut“) in der Geburt Jesu „im Stall von Bethlehem“ und es waren die „Hirten von Bethlehem“ denen zuerst diese Frohe Botschaft verkündet wurde und die den Weg zu Jesus fanden. In seinem ersten öffentlichen Auftreten verkündet Jesus den Beginn einer neuen Zeit, den Anbruch des Reiches Gottes. Lahme werden gehen, Blinde werden sehen und Gefangene werden befreit werden. Diese neue Zeit steht denen zuerst offen, die im Verhungernden und den seiner Kleider Beraubten den Mensch gewordenen Gott entdecken.

Doch eine solche Botschaft ist absolut unvereinbar mit der herrschenden Praxis. Jesus wird zum Tode verurteilt. Doch Gott identifiziert sich mit dem Opfer und bestätigt die Wahrheit seiner Botschaft. Derjenige, der als Gesetzesbrecher von den Mächtigen dieser Welt ausgestoßen wurde, wird zum Gericht über diese und zur Hoffnung für alle, die heute und in Zukunft ausgestoßen werden und denen gewaltsam vorenthalten oder geraubt wird, was sie zum Leben brauchen. Von diesem Standpunkt aus, aus der Sicht der Opfer, ist für Christen die Welt und alles, was sich in der Welt ereignet, zu deuten und zu beurteilen.

Diese Option ist die Option Gottes. In der Bibel ist diese Option das zentrale Thema - angefangen von der Schöpfungsgeschichte bis hin zum Auftrag an die Jünger Jesu, diese Botschaft bis „an die Grenzen der Erde“ zu verkünden. Diese Deutung der Geschichte und der heutigen Welt ist ein Glaubensakt und der Mensch kann sich dafür entscheiden oder dagegen. Es ist eine Entscheidung für das Leben, vor allem für die, „die sterben, bevor sie gelebt haben“ und gegen den täglichen Tod.

Der Begriff „Option für die Armen“ beinhaltet schon in der Formulierung, dass dieser Begriff nicht von den Armen selbst stammt. Er stammt von Menschen, die ihre Mitmenschen als Arme erst entdecken (2). Die Bedeutung von Medellín liegt auch darin, dass spätestens dort einige Bischöfe nach ihren eigenen Aussagen gelernt haben, die Armen und die Realität in der diese leben, zu hören und zu sehen. Das heißt mit anderen Worten, dass ihnen als Priester und Bischöfe das Hören und Sehen verloren gegangen war und nun erst wieder neu entdeckt werden konnte.

Dabei haben ihnen aber die Armen geholfen. Der Begriff „Option für die Armen“ wird von den Armen selbst nicht benutzt, nur von Nicht-Armen. Diese Beobachtung ist vergleichbar mit der schon erwähnten Entdeckung der Methode Sehen - Urteilen - Handeln. Priester und Theologen entdecken die Welt der Armen (3). Diese hat es aber schon immer gegeben.

Das bedeutet nichts anderes als eine Rückkehr bzw. Umkehr zu den Quellen des Christentums. Dabei ist es für die Praxis unerheblich, ob diese Umkehr zuerst durch die reale Begegnung mit den Armen angestoßen wurde und dann zu einer Theologie führte oder ob erst über eine Neuinterpretation der Bibel der Weg zu den Armen geöffnet werden konnte.

Die Kirche ist im Verlauf der Geschichte immer wieder wie das Volk Israel vom Weg Gottes mit seinem Volk abgewichen. Propheten wie Las Casas haben diese Missstände immer wieder als Abkehr vom Evangelium angeklagt. Das Zweite Vatikanische Konzil (ansatzweise, mehr dazu im Abschnitt über Dammert) und dann vor allem Medellín haben wie die Propheten die Armen in den Mittelpunkt gestellt (4). Dies geschah um der Kirche selbst und um ihrer Botschaft willen.

Die Option für die Armen ist in dem Sinne keine Theologie, erst recht keine Methode oder Theorie. Es bedeutet, den Kern der christlichen Botschaft zu erkennen, Jesus nachzufolgen und (besonders für Nicht-Arme) Christus im Armen zu begegnen. Diese „Erkenntnis“ ist ein Akt tiefer Spiritualität und gelebter Praxis (vgl. das Zitat von O. Romero).

Ein Blick auf die Spiritualität von Franz von Assisi kann hier hilfreich sein. „Wenn Franziskus dadurch, dass er den Leprakranken umarmt, dem Glauben das zurückgibt, was ihm nach dem Evangelium entspricht, dann müssen wir heute eine ganz entschiedene Option für die neuen ‚Leprosen’ treffen. Ihre Stigmata sind Ausschluss, Marginalisierung und Armut, eine ergreifende und schreckliche Armut“.5 Das Verhalten Jesu zu den Aussätzigen seiner Zeit kann als exemplarisch für die Einstellung Jesu gelten.

Auch heute trifft die Rede von den Aussätzigen den Kern der Sache in doppelter Weise. Die Zuneigung Jesu gilt den Menschen, die buchstäblich „ausgesetzt“ werden: dem Elend, der Gewalt, dem Tod. Und sie werden bewusst isoliert und ausgesetzt, sie vegetieren „vor den Toren der Stadt“, die die Zivilisation bedeuten. „Draußen vor den Toren“ aber leben immer mehr Menschen, so wie auch Josef und Maria keine Herberge in der Stadt fanden.

Die Option für die Armen beinhaltet notwendigerweise eine Option für eine bestimmte Praxis. Diese geht von einer Analyse der Situation und deren Deutung aus. Die Armut wird zuerst verstanden als ein von Menschen verursachter Zustand, der fundamental der Würde des Menschen als Kind Gottes widerspricht und damit Gott selbst. Davon muss die Armut unterschieden werden, die von Nicht-Armen freiwillig aus Solidarität mit den Armen gewählt wird. „Konkret heißt arm sein: Hungers sterben, Analphabet sein, von den anderen ausgebeutet werden, dabei noch nicht einmal wissen, dass man ausgebeutet wird, ja sogar nicht ahnen, dass man Mensch ist“ (6).

Diese Feststellung muss aber gedeutet werden: „Arme gibt es, weil es Menschengibt, die Opfer in der Hand anderer Menschen sind“ (7). Und theologisch gedeutet: „Das Bestehen von Armut spiegelt einen Bruch in der Solidarität der Menschen untereinander und in ihrer Gemeinschaft mit Gott, Armut ist Ausdruck von Sünde, d.h. der Verneinung von Liebe. Deshalb ist sie unvereinbar mit der Herrschaft Gottes, die ein Reich der Liebe und der Gerechtigkeit inauguriert“ (8).

Dies führt zu einer konkreten Glaubenspraxis: existentielles Engagement gegen die Ursachen der Armut und gegen jede Form von Ungerechtigkeit und für die Überwindung der Abgründe zwischen den Menschen und Leben in einer Gemeinschaft, die ein Zeichen Gottes in dieser Welt ist. Die Propheten bezeichnen dies als den „wahren Gottesdienst“ (Amos 5, 21 - 27).

Eine solche Option ist unmissverständlich. Sie ist nicht neutral, weil Gott nicht neutral ist, sondern Partei ergreift. Sie ist auch nicht zu verwechseln mit Mildtätigkeit (Almosen) oder Betreuung von Armen im Stil von Mutter Teresa - deren vorbildlicher subjektiver Einsatz dennoch unbestritten bleibt, die aber konsequenterweise in absehbarer Zeit erst selig dann heilig gesprochen werden wird. Erst recht meint sie nicht, dass im Grunde die Reichen oder alle Menschen arm seien (spirituell). Jesus und die Propheten sprechen eindeutig von den Armen als Opfer der herrschenden Ungerechtigkeit.

Die Reichen sind aber nicht ausgeschlossen. Annehmen der Botschaft Jesu bedeutet für sie Umkehr, eine Bekehrung zu den Armen. Wenn die Kirche von den Armen ausgeht, ist sie für alle Menschen da. Arme sind auch alle Menschen, die dies nicht nur im wirtschaftlichen Sinne sind, sondern alle, die aus rassistischen, kulturellen, sexistischen, politischen Motiven gewaltsam daran gehindert sind, in Würde als Mensch zu leben - biblisch gesprochen: denen die „Fülle des Lebens“ bewusst, persönlich oder strukturell, vorenthalten wird.

Dies ist besonders im Hinblick auf die Verkündigung in den reichen Ländern von Bedeutung. Partnerschaften zwischen armen und reichen Gemeinden kommt hier eine Schlüsselrolle zu, weil sie einen gangbaren und praktikablen Weg der Umkehr und einer konkreten Option aufzeigen. Einüben in die Partnerschaft wird gleichbedeutend mit einer Einführung in den Glauben, zu einer Katechese des Glaubens.

Obwohl man sich in Puebla noch gegen Missverständnisse wehrte, so war in der Folge dennoch immer mehr der Begriff „Option für die Armen“ Missverständnissen ausgesetzt bzw. er verlor in der Praxis der Kirche zunehmend an Bedeutung. So wird die „Option für die Armen“ im so genannten Weltkatechismus Roms noch nicht einmal erwähnt (wie auch nicht die Botschaft vom Reich Gottes). Diese Auseinandersetzungen können hier nicht geführt werden. Es soll aber an einem besonders drastischen Beispiel gezeigt werden, wie die Option für die Armen bewusst umgedeutet wird und unter Berufung auf diese Option die Armen ausgegrenzt werden.

Bei dem schon erwähnten Besuch und Gesprächen mit Bischof Simón (1993) fragte ich ihn auch danach, wie er es mit der Option für die Armen zu halten gedenke. Er erklärte mir, dass sein Vorgänger, Bischof Dammert, zwar immer von dieser Option geredet, aber genau das Gegenteil gemacht habe. Da Dammert - laut Simón - nur „Politik betrieben und sich nur um soziale Aspekte gekümmert habe“, habe er die geistige Dimension des Christentums völlig vernachlässigt. Die Menschen hätten sogar das Beten verlernt und würden nicht einmal das Vater Unser kennen.

Dadurch hätte man ihnen aber die Chance auf das Ewige Leben genommen und sie damit letztlich dem Tod und der Verdammnis überlassen. Er aber - Bischof Simón - würde nun dafür sorgen, dass die Armen wieder die Sakramente der Kirche empfangen können. Damit würde ihnen die Möglichkeit gegeben, das Ewige Leben in der Vollendung mit Gott zu erhalten. Wer würde also in Wirklichkeit mehr für das Heil der Armen tun, Bischof Dammert oder Bischof Simón? (9)

Die Interpretation von Bischof Simón ist dem System immanent und daher logisch. Die Aussagen von Priestern und Bischöfen über das Evangelium bzw. zentrale Anliegen und Bestandteile des Evangeliums sind daher darauf hin zu überprüfen, von welchem Standpunkt aus sie getroffen werden. Prüfstein ist auch hier ihre jeweilige Praxis, ihr Umgang mit den Armen und generell mit den Mitmenschen. So kann es vorkommen, dass ein Bischof von seinem Standort her, die Botschaft Jesu in seinem gegenteiligen Sinn versteht, z.B. als Rechtfertigung seiner machtvollen Position.

Derartiges ist auch schon im Evangelium selbst zu beobachten. Jesus und diejenigen, die ihn dem Tod auslieferten, glaubten formal an den gleichen Gott und hatten die gleiche Heilige Schrift. Doch Jesus und die Mehrzahl der Schriftgelehrten und Hohen Priester zogen daraus gegenteilige Schlüsse: Jesus optierte für die Menschen ohne Macht, auch für die eigene Ohnmacht. Diejenigen, die im Besitz der Macht waren, optierten in der Mehrheit für die Macht bzw. für das Gesetz, das diese Macht rechtfertigt und stützt.

Je machtvoller sich kirchliche Instanzen aufführen, desto tödlicher ist dies für das Evangelium und die Menschen, die sich am Evangelium ausrichten. Am Beispiel von Cajamarca wird deutlich, dass diese Bischofsernennung als gezielte Option gegen die Armen zu verstehen ist (10). Sie ist daher gegen das Volk Gottes gerichtet, gegen die Kirche Jesu Christi.

Herausforderung und Orientierung

Wenn - wie schon erwähnt - es ein Anliegen dieser Arbeit ist, aus der Sicht der Campesinos und von ihrem Glauben her einen Dialog mit den Christen „auf der anderen Seite des Abgrundes“ zu ermöglichen, dann sind Konflikte von vorneherein programmiert. Dies liegt in der Natur der Sache und die Konflikte dürfen daher nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Meine Arbeit ist notwendigerweise konfliktiv, denn es geht um verschiedene Standorte. Der Standpunkt der Armen kann logischerweise nicht überall oder zumindest nicht in gleicher Weise akzeptiert werden. Andererseits wird der Konflikt nicht um des Konflikts willen gesucht. Vielmehr wird aus der Sicht der Campesinos und im Diskurs mit europäischer Theologie und Kirche nach Möglichkeiten gesucht, diesen Konflikt zu überwinden. Das kann aber nur auf der Basis der Wahrheit geschehen und ohne den Campesinos von Cajamarca untreu zu werden.

Zu erinnern ist an die Frage von Las Casas (hier literarisch formuliert): „Und was, wenn ich Indio wäre“? („y sí yo fuera indio“ - wie Dammert dies des Öfteren mündlich zitierte). Dies ist der bleibende Ausgangspunkt und das bleibende Kriterium für Kirche, Theologie und jeden Einzelnen. Ein solcher Standpunkt verbietet auch jede Neutralität. Diese wird stets von denen in Anspruch genommenen, die im Namen der Einheit und Versöhnung selbst felsenfest auf einer Seite stehen und sich von daher vehement gegen jede Veränderung wehren.

Die Herausforderung einer Option für die Armen in Peru (so im Titel der Arbeit) liegt auf der Hand und sie umfasst mehrere Bereiche und Ebenen.

1. Durch meine Verwurzelung in Cajamarca bin ich von Veränderungen und Vorgängen in Cajamarca persönlich betroffen. Durch die aktuelle Praxis innerhalb der Kirche von Cajamarca wird diese Betroffenheit aber auf eine besondere Probe gestellt. Ich habe mich eingemischt und Stellung bezogen. Schon 1998 ernannte mich der Bischof zur „persona non grata“ und zu Beginn des Jahres 2002 ließ Bischof Simón meiner Familie in Cajamarca ausrichten, dass er im Falle eines neuerliches Besuches in Cajamarca mir „mit allen Mitteln das Handwerk legen werde“ (als KNA - Meldung vom 12. 4. 2002. Dok. 12, I).

Neben ganz konkreten Ängsten seitens des Bischofs im Zusammenhang mit der Aufklärung von Spendenskandalen und anderen Missständen, die hier nicht zur Debatte stehen, war es vor allem mein öffentliches Eintreten für die Frauengruppen und Campesinos in den Partnergemeinden, das den Bischof gegen mich aufbrachte. Die Beschäftigung mit dem Thema bzw. das Einlassen auf die Menschen in Cajamarca empfinde ich als eine existentielle Herausforderung für mein eigenes Leben und Lebensweise - unabhängig von dem jeweiligen Bischof.  Die Option für die Armen ist aber eine „gebrochene Option“. Ich kann nicht in gleicher Weise und in gleicher Intensität in beiden Welten leben. Das kann dazu führen, sich zwischen alle Stühle zu setzen und keinem Standpunkt gerecht zu werden.

2. Die Partnerschaft einer reichen Gemeinde mit einer armen Gemeinde stellt per se eine Herausforderung (nicht nur!) für die reiche Gemeinde dar. Nach dem Bischofswechsel aber batenverschiedene Partnergemeinden und Gruppen in Cajamarca ihre deutschen Freunde um Hilfe und Beistand, weit über die materielle Hilfe hinaus (11). Jede Partnerschaft bedeutet eine Einmischung, jede Option ist notwendigerweise eine Einmischung. Die deutschen Partnergemeinden wurden nun noch mehr als schon vorher gezwungen, sich selbst inhaltlich mit ihrem eigenen Kirchen- und Gemeindeverständnis auseinander zu setzen. Sie mussten Stellung beziehen und ihre Option vor sich selbst und auf die eigene Gemeinde hin begründen.

3. Wenn sich deutsche Gemeinden mit einer armen Gemeinde auf der anderen Seite des Globus einlassen, werden sie auf eine noch grundsätzlichere Weise herausgefordert, ökonomisch und theologisch (12). Die Campesinos von Cajamarca möchten mit den ihnen bekannten Partnergruppen in Deutschland ihren Glauben teilen und umgekehrt. Doch die Partner leben in getrennten Welten, besser gesagt: in völlig entgegengesetzten Wirklichkeiten innerhalb der zur einem einzigen Marktplatz gewordenen Einen Welt. Die deutschen Christen, die einzelnen Gemeindemitglieder wie die Kirche als Ganzes mit ihren Organisationen, sind mehr oder weniger gut funktionierende Bestandteile dieser Gesellschaft.

Die beiden Konfessionen sind als Kirchen auf regionaler und nationaler Ebene eng mit Staat und Gesellschaft verflochten. Dies zeigt sich nicht nur in der Kirchensteuer, die bekanntlich umso höher ausfällt, je höhere Gewinne die Wirtschaft erzielt, sondern auch in der Zustimmung zu den herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Gemeinde und Kirche sind nicht nur Stützen dieser Gesellschaft, sie sind diese Gesellschaft. Als Gemeinde und Teil dieser Gesellschaft sind sie Teil des dazugehörenden Wirtschaftssystems und sie haben ein existentielles Interesse an dem Erhalt und der Funktionstüchtigkeit dieses Systems, das auch ein globales System ist.

4. Aus diesem Interesse heraus entsteht de facto eine entsprechende Option. Die Campesinos gehören hingegen nur insofern zu diesem System, als dass sie sich als vom System Ausgegrenzte erfahren. Mit anderen Worten: sie sind die Opfer eines Systems, das die Mehrheit der Christen in den reichen Ländern als alternativlos betrachtet und mit dem man sich eben arrangieren oder das man unterstützen muss. Während peruanische Partnergemeinden ihre Situation im Lichte des Glaubens z. B. als Folge der bestehenden sündhaften Strukturen und als unvereinbar mit dem Willen Gottes verstehen und begreifen, steht den deutschen Gemeinden dieser Erkenntnisprozess hinsichtlich ihrer eigenen Situation noch bevor.

In einem notwendigen zweiten Schritt bedeutet Partnerschaft, „sich gemeinsam auf den Weg zu machen“, einen Weg in die Befreiung, zum Erkennen des Anderen und damit zur Anerkennung Gottes. Dies kann für reiche Gemeinden nur ein Weg der Umkehr bedeuten. Eine Option für die Armen stellt folglich für reiche Gemeinden und für Gemeindemitglieder eine grundsätzliche religiöse und falls Religion auch mit der eigenen Existenz und Identität verknüpft wird, eine existenzielle Herausforderung dar. Gerade dies ist aber eine herausragende Chance und eröffnet Grenzen überschreitende Perspektiven für die Gemeinden.

5. Wenn nun die Menschen von Cajamarca ihren neuen Glauben mit ihren „Brüdern und Schwestern“ in Deutschland teilen wollen, entsteht ein weiteres Problem. Die Christen und Kirchen des Abendlandes gehen selbstverständlich davon aus, dass sie als Kinder Abrahams schon immer den richtigen Glauben haben. Dieser Glaube ist ihnen gewissermaßen bereits als Säugling eingeimpft worden und nun geht es ihnen zuerst darum, diesen Glauben durch das Einhalten von Gesetzen, Riten und Kult zu bewahren. Sie kommen daher nicht so leicht in Versuchung, die Worte der Propheten und vor allem von Jesus gegen die jeweils herrschende (Gesetzes-) Religion auf sich selbst zu beziehen, denn sie sind ja schon frei, sie brauchen nichts mehr und sie wissen schon alles und sie verwalten möglichst effektiv und im Rahmen ihrer Gesetze ihre Talente. Wozu umkehren, wenn man schon auf dem richtigen Weg ist?

Dies gilt selbstverständlich erst recht für die Hohen Priester und Schriftgelehrten, die sich qua Amt im Besitz der Wahrheit glauben und die daher die radikale und grundsätzliche Kritik Jesu auf einzelne Vertreter des jüdischen Volkes abzulenken versuchen und damit dem Antisemitismus Argumentationshilfe liefern.

6. Die deutschen Gemeinden bilden zwar die deutsche Kirche. Doch in der Praxis werden deutsche Gemeinden eher von oben herab gebildet und instruiert. Daher ist auch von einer „Amts-Kirche“ zu sprechen, nicht weil ich diesen Begriff für glücklich halte, sondern weil er besser die Realität trifft. Was als Herausforderung für die Gemeinden gilt, gilt in besonderer und verschärfter Form für die so genannte „Amts-Kirche“. Eine Option für die Armen bedeutet für diese noch viel mehr als für die Gemeinden eine Entdeckung der Armen, sei es im eigenen Umfeld, sei es in den armen Ländern. Es geht nicht nur um eine Anfrage bzw. eine Infragestellung der bisherigen Privilegien, des Verhältnisses von Staat, Wirtschaft und Kirche, des gesamten Apparats, sondern um eine radikale Abkehr und Umkehr (13).

7. Dies betrifft auch die deutsche Theologie, die allerdings der deutschen „Amts-Kirche“ und auch vielen Gemeinden einen Schritt voraus ist, was - falls Theologie als theoretische Wissenschaft verstanden wird - in der Theorie auch viel leichter fällt. Sie hat die entsprechenden Instrumente, um eine notwendige Auseinandersetzung zu führen und dabei der Kirche insgesamt zu helfen.

Ob sie das tut oder will, ist eine andere Frage. Denn auch sie ist immer noch mit unvergleichlichen Privilegien ausgestattet und hat wie die Kirche die schwere Last ihrer eigenen Geschichte zu tragen (14). Das Thema dieser Arbeit ist nicht eine vergleichende Pastoral. Dennoch können zentrale theologische Punkte benannt werden, die aus der Sicht der Armen eine andere oder neue Bedeutung gewinnen und die eine notwendige Bereicherung darstellen. Neben der erwähnten Rolle der Theologie mit der Option für die Armen als zentralen Inhalt, sind folgende Punkte zu nennen, die alle in einem ursächlichen Zusammenhang stehen:

Die Bedeutung der gesellschaftspolitischen Analyse (z.B. Globalisierung) und deren Deuten im Lichte des Glaubens; die Bedeutung der Bibel als Frohe Botschaft sowohl im alltäglichen Leben des Einzelnen wie der Gemeinde; Menschwerdung Gottes (Inkarnation) und sein Weg (Kreuzweg und Auferstehung) mit den Menschen; die Bedeutung des ersten der zehn Gebote (Götzendienst); das Verhältnis von Politik, Wirtschaft und Glaube; Sozialpastoral. Eine intensivere bzw. erstrangige Beschäftigung mit diesen Themen im Dialog mit den „Indios dieser Welt“ würde zu einer konstruktiven Herausforderung für die deutsche Kirche und Theologie werden können (15).

8. Deutsche Kirche und Theologie aber vermitteln den Eindruck und so werden sie vermehrt wahrgenommen, dass sie nicht die Realität sehen können oder wollen, noch weniger diese angemessen analysieren können - umso mehr bedürfen wir der Hilfe durch die Armen. Die entsprechenden Defizite führen konsequenterweise zu einer Verflüchtigung des Glaubens selbst in den Kerngruppen der Gemeinden, zu einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit der christlichen Botschaft und der Kirche in einer orientierungslosen Gesellschaft (16).

Anstelle mancher Zahlen möchte ich zwei persönliche Erfahrungen einbringen, die ich für exemplarisch für die angezeigte Situation halte. Am 27.9.2002 hielt Wolfgang Kessler, Chefredakteur bei der christlichen Zeitschrift Publik-Forum, im Stadthaus von Ulm einen Vortrag über Globalisierung, aus christlicher Verantwortung heraus. Eingeladen war er von ATTAC -Ulm und dem Ulmer Weltladen Der Saal war mit knapp 400 Menschen bis zum letzten Platz gefüllt, über die Hälfte der Zuhörer waren junge Menschen.

Doch von den üblichen kirchlichen Honorationen war niemand anwesend. Diese sind vielmehr auf innerkirchlichen Veranstaltungen und Vorträgen in Kirchenräumen anzutreffen, wo sie meist ungestört und unter sich bleiben dürfen. Da ich seit 1980 in der kirchlichen Erwachsenenbildung tätig bin, erlaube ich mir eine solche Erfahrung als exemplarisch zu bezeichnen. Wie schon oft in Geschichte und Gegenwart, kommt die Kirche zu spät und erreicht nicht die aufgeschlossenen Menschen, weil sie wenig Zugang zu deren Bedürfnissen hat, die Zeichen der Zeit nicht erkennt oder missdeutet und/oder schlicht weg Angst hat und ihrer eigenen Botschaft nicht traut.

Die zweite Erfahrung ist persönlicher und dennoch grundsätzlicher. Hier möchte ich Franz Weber, der als Comboni - Missionar in Brasilien war, zitieren, weil er genau das beschreibt, was ich seit meiner Rückkehr aus Peru empfinde und erlebe (17). „Ich gestehe, dass meine Rückkehr nach Europa in vielerlei Hinsicht zunächst ein theologisch-pastoraler Schock für mich war. Denn was ich da häufig über die lateinamerikanische Kirche, über Theologie der Befreiung und Basisgemeinden zu hören und ins Gesicht gesagt bekam, verschlug mir manchmal den Atem.

Was gab Menschen - Gläubigen, Amtsträgern, SeelsorgerInnen und Theologinnen - eigentlich das Recht, über den leid- und doch so hoffnungsvollen Weg anderer Ortskirchen und über ihre Art, Theologie zu betreiben und Gemeinde zu leben, auf eine oft sehr gehässig-unsachliche und realitätsverfälschende Art zu Weise zu Gericht zu sitzen“. „Mit der biblisch-theologisch begründeten Parteinahme der Kirche auf der Seite derer, die in der Gesellschaft keine Stimme besaßen, war der Konflikt mit allen, die bisher den Ton angegeben und allein das Sagen gehabt hatten, vorprogrammiert und unausbleibbar.

Die lateinamerikanische Kirche hat damit nicht nur die Mächtigen dieser Welt herausgefordert, sondern auch sich selbst. Sie war mit dieser Option, wie sich bald herausstellen würde, in vieler Hinsicht auch selbst oft überfordert. Denn eine Kirche, die Armut nicht nur als ‚Haltung der geistigen Kindschaft und Öffnung zu Gott’ predigt, sondern Unterdrückung und Elend als Sünde gegen Gott anklagt, wird selbst angeklagt. Sie wird für die einen zum Stein des Anstoßes und zum Zeichen des Widerspruchs, für die anderen, für die Armen, aber zur Anwältin und zum Zeichen für die schon anbrechende Gerechtigkeit des Reiches Gottes“ (18).

9. Ergebnis: Was in der Diözese Cajamarca seit 1962 geschehen ist, kann auch eine Frohe Botschaft für Christen in den reichen Ländern sein. Es war das gleiche Evangelium, das in Bambamarca und anderen Teilen der Diözese eine Umkehr bewirkte. Es ist auch eine Botschaft für Reiche, die willens sind, die Botschaft zu hören. Wenn sie sich auf die Geschichte der Armen einlassen, entdecken sie, dass selbst jahrhundertlange Unterdrückung und gewaltsame Integration in ein materialistisches und gottloses System Menschen nicht davon abhalten kann, den Aufbruch und den Auszug zu wagen.

Voraussetzung für einen solchen Aufbruch ist aber, dass man wie die Campesinos seine eigene Situation, in der man lebt und sich bewegt, als eine von Gott so nicht gewollte Situation erfährt und dass man als Christ in einem der reichsten Länder der Welt in die Geschichte der Abhängigkeit verstrickt ist. Für die abendländische Kirche als Ganzes wird die Umkehr zudem noch schwerer sein: hat man nicht das gesamte Erbe und die Tradition der christlichen Verkündigung gepflegt und in alle Welt verbreitet, „verkörpert“ man nicht geradezu das Christentum?

Doch das Evangelium spricht offensichtlich eine andere Sprache. Es sind die Armen, denen Gott besonders nahe ist, weil sie systembedingt unter die Räuber gefallen sind. Sie sind es auch, die zuerst die Zeichen der Zeit erkennen, dass nämlich das Reich Gottes begonnen hat und die Welt wie sie ist und funktioniert, verändert werden kann und muss. Die Armen haben im Vergleich zu den Reichen einen Standortvorteil, weil ihnen Gott und das Reich Gottes nahe ist. Sie erfahren die Umkehr als Befreiung, während die Reichen Angst davor haben.

Wer soll den Reichen von Gott erzählen und sie von ihrer Angst befreien, wenn nicht die Armen, inmitten derer er Mensch wurde? Von daher ist für Christen in den reichen Ländern der Kontakt, der Dialog und eine Wegegemeinschaft mit den Armen „lebensnotwendig“. Über die Jahrhunderte und Kontinente hinweg gibt es eine unveränderliche Konstante: zuerst das Reich Gottes, zuerst die Armen.

Die europäische Kirche hat zwar die Armen entdeckt (?), aber am Beispiel von Cajamarca wird sich zeigen, dass für die Kirche als Institution eine Option für die Armen so lange keine wirkliche Option ist, wie sie nicht auch institutionell in kirchlichen Strukturen verankert ist und quasi Verfassungsrang hat. Stattdessen kann bis jetzt jeder Bischof und sogar jeder Pfarrer aus eigener Bevollmächtigung und Beliebigkeit heraus, die Werke seines Vorgängers rückgängig machen und die Armen ausschließen.


Anmerkungen

(1) Bischof Dammert: „Santo Domingo - Herausforderung an die Kirche Lateinamerikas“, auf dem Forum des 91. Deutschen Katholikentags in Karlsruhe am 18. 6. 1992. (Dok. 10, I).

(2) Der folgende Text unterstreicht dies: „Unsere Zeit ist von einem gewaltigen historischen Ereignis geprägt: dem Hereinbrechen der Armen, d.h. der neuen Gegenwart derjenigen, die tatsächlich in unserer Gesellschaft und in der Kirche ‚abwesend’ waren. ‚Abwesend’ heißt unbedeutend“. Gutiérrez, Gustavo: Die Armen und die Grundoption. In: Mysterium liberationis, Band 1. Luzern: Edition Exodus, 1995, S. 293. Eine der wenigen Ausnahmen dürfte Bischof Proaño sein. Er wuchs in extremer Armut auf, seine Eltern lebten auf dem Land und flochten Strohhüte.

(3) Gutiérrez überträgt dies auch auf die Theologie und stellt noch einmal heraus, wer in Theologie und Kirche das Recht des ersten Wortes hat: „Diejenigen, die die theologischen Texte unterschreiben, dürfen nicht vergessen, dass die wahren Zeugen der lateinamerikanischen Kirche, nicht sie sind (nicht notwendigerweise, um genauer zu sein). Es sind jene, die ihr pastorales und soziales Engagement in ihrem Alltag praktizieren und mitunter dabei ihr Leben riskieren“. ¿Dónde dormirán los pobres?; Lima: CEP, 2002, S. 49. An gleicher Stelle schreibt er über die Option für die Armen: „Die bevorzugte Option für die Armen und Ausgeschlossenen, der Kern der biblischen Botschaft, ist heute ein wesentliches Element christlicher und kirchlicher Identität. Sie bezieht sich direkt auf den himmlischen Vater, der uns das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit schenkt. Die genannte Option konstituiert christliche Identität“ (Ebd. S. 55). In meiner Interpretation bedeutet dies: die Option für die Armen hat ihren eigentlichen Ursprung in einer tiefen Gottesbeziehung, in Gott selbst.

(4) Hier insbesondere Dok. 14: Die Armut der Kirche (Lateinamerikanische Realität - Begründung aus der Lehre der Kirche - Pastorale Leitlinien). Zu beobachten ist der methodische Dreischritt, der alle Kapitel durchzieht. In Puebla wurde dann von der „vorrangigen Option“ gesprochen (opción preferencial), weil es zu (bewussten) Missverständnissen gekommen war. Bedeutet eine Option für die Reichen den Ausschluss der Reichen? Natürlich nicht! Deshalb die Präzisierung in Puebla: die Kirche kümmert sich vorrangig (aber nicht ausschließlich) um die Armen, weil auch Jesus sich zuerst den Armen zuwandte bzw. einer der ihren war (siehe besonders in 1141, 1142-4. Teil, Kap.1). Im Grunde genommen bedeutet die Bezeichnung „vorrangige Option“ eine Abschwächung, denn damit kann man einen nur graduellen Unterschied meinen, nach dem Motto: Arme sind wir ja alle - mehr oder weniger! Genau dies ist aber nicht gemeint, sondern es handelt sich um einen qualitativen Unterschied. Daher werde ich stets von einer „Option für die Armen“ sprechen und nicht einer „vorrangigen Option“.

(5) Frontini, Pedro: Eine Utopie vor den Toren der Stadt. In: Werkstatt Reich Gottes, IKO, S. 79.

(6) Gutierrez, Theologie der Befreiung, S. 271. Gutiérrez wird aus heutiger Sicht oft vorgeworfen, dass er Arme zu sehr oder gar ausschließlich als wirtschaftlich Arme definiert und dabei die Ausbeutung der Frau als Frau, des Indio als Indio etc. vergisst (sexistische, rassische, kulturelle Diskriminierung aufgrund des „Anderssein“ etc.). Das ändert aber nichts an seiner grundsätzlichen Aussage. Nachfolgende Ergänzungen und die Entdeckung neuer Dimensionen des Armseins bezeichnet er selbst als notwendig.

(7) Ebd. S. 274.

(8) Ebd. S. 277.

(9) Nach persönlichen Tagebuchaufzeichnungen des Gesprächs am 4. 8. 1993; in der Folge habe ich in Predigten und Radioansprachen des Bischofs dieselben Begründungen hören können. Vor allem aber wurde mir aus den Treffen des diözesanen Klerus mit dem Bischof von einzelnen Priestern mehrfach berichtet (deren Namen ich aber aus verständlichen Gründen nicht nennen kann), dass die auch mir gegenüber aufgeführten Argumente des Bischofs einen zentralen Stellenwert in seiner Pastoral einnehmen. Allerdings mit dem Unterschied, dass er nun doch nicht mehr von der Option für die Armen spricht, sondern diese als rein politische Ideologie bewertet. Die neue Situation nach dem Bischofswechsel nutzten einige Pfarrer, um mit Dammert abzurechnen. Aus einem Brief von Pedro Cáceda vom 2. 6. 1993 an Vertraute in der Partnergemeinde Herzogenaurach: „Die Diözese hat er ohne einen Pfennig hinterlassen. Die Sachen seines Zimmers, die ihm vor Jahren das Bistum kaufte, nahm er als sein Eigentum mit, als er seinen Wohnsitz nach Lima veränderte. Er bestahl also die Diözese und hinterließ dem neuen Bischof nur einen alten Tisch, den dieser weggeworfen im Lager vorfand“. Bischof Dammert und seine „ausländischen Hilfstruppen“ hinterließen eine „pastorale Wüste“, denn „es werden nicht mehr die Heiligen verehrt und auch Maria wird nicht mehr wie früher geliebt“. „Wie ganz anders wäre es gekommen, wenn die Millionen von DM, Dollars und englischen Pfund, die zu Händen von Dammert kamen, für die Katecheten, den Religionsunterricht für die Kinder usw. benutzt worden wären! - und nicht von jenen, die sich damit den Mund stopfen mit ihrer Theologie der Befreiung und der bevorzugten Option für die Armen, während sie ihre Stellung der Reichen und Mächtigen aufrecht erhielten oder auch zu Neureichen wurden“. So herrschte nun bei einigen Pfarrern nach dem Bischofswechsel eine große Erleichterung. „Aber Dank sei Gott und Dank Don Paco (dem neuen Bischof), mein Leben ist heute anders geworden, ich fühle mich verwirklicht und glücklich Priester sein zu können, dem Volk von Cajamarca dienen zu können, die Sakramente zu feiern, Kranke, Kinder und Jugendliche zu besuchen - mit der großen Unterstützung von Legio Maria, eine Bewegung, die Dammert verabscheute“. (Dok. 11, I). Pedro Cáceda ist bald zu einem engen Vertrauten des aktuellen Bischofs geworden. Die Gemeinde Herzogenaurach hat sich von ihm distanziert, genauer: dies führte zu einer Spaltung der Gemeinde.

(10) Die rasche Ablösung von Bischof Dammert wurde gezielt betrieben. Sein Nachfolger wurde mit dem besonderen Auftrag zum Bischof von Cajamarca ernannt, die von Bischof Dammert gesetzte Pflanze einer erneuerten Kirche der Armen auszureißen. Bischof Dammert hat dafür Belege, die er aber nie veröffentlichen würde, weil darin mehrere namentlich genannte Bischöfe eine unwürdige Rolle spielen. Er hat mir diese Belege gezeigt. Von den Armen her wäre zu überprüfen, wie Bischofsernennungen auch in anderen Diözesen zu bewerten sind.

(11)  So verbot (!) mir ein deutscher Prälat „jede Einmischung in innerkirchliche und innerperuanische Angelegenheiten“. Auf meinen Hinweis, dass unsere Partnergruppen sich sehr wünschen, nun nicht auch noch zusätzlich von ihren Partnern in Deutschland im Stich gelassen zu werden, antwortete Prälat Sauer, Freiburg: „Auch in Prag sind 1968 russische Panzer mit dem Vorwand einmarschiert, vom ‚Volk’ um Hilfe gerufen worden zu sein.“ (Gesprächsnotiz vom 10. 1 1998; siehe auch in der Zeitschrift „imprimatur“ 5&6, 2001: „Was man von den Christen in Peru lernen kann“ (Teil 2).

(12)  Vgl. den Abschnitt: „Partnerschaft - eine Option für die Armen“ in: „Anspruch und Wirklichkeit - Deutsche Partnerschaft mit Kirchengemeinden in Cajamarca“ in dem Sammelband zur Studie, S. 215 ff. An dieser Stelle können lediglich einige grundsätzliche Überlegungen angestellt werden.

(13) Eine Auseinandersetzung um Details kann an dieser Stelle nicht stattfinden. Zudem kann dies nur in der Form des Dialogs geschehen. Es gibt Initiativen, Vorschläge, alternative Konzepte etc. Es ist aber zu beobachten, dass der Wille zu einem echten Dialog und konstruktiver Auseinandersetzung mit den entsprechenden Initiativen sehr einseitig ist. Er wird von den Amtsträgern eher formal bekundet, de facto aber verweigert oder gar als gegen die Kirche gerichtet interpretiert. Unzählige Beispiele auf allen Ebenen ließen sich hier aufzählen.

(14) Als theologische Herausforderung auf den Punkt gebracht: die strukturelle Verstrickung mit dem „System“, gerade auch finanziell, bringt Theologen und Bischöfe strukturell und systematisch in Gefahr, als „Hoftheologen des Pharao“ wahrgenommen zu werden. Wie kann man dem versklavten Volk die Befreiung verkünden, wenn man im Dienste des Pharao steht? Die Theologie hat dann eine Chance und wird unentbehrlich, wenn sie ihre prophetische Rolle wiederfindet und mit Gemeinden zusammen die Umkehr wagt.

(15) Franz Weber stellt fest, dass sich die akademische deutschsprachige Theologie vor allem seit der 2. Hälfte der neunziger Jahre nicht mehr den Herausforderungen der Befreiungstheologie stellt (mit Ausnahmen) und dadurch ihre Kompetenz verliert. „Noch schwerer wiegt die aus befreiungstheologischer Sicht zu Recht geäußerte Kritik an der Lebens- und Gemeindeferne der Universitätstheologie“. Weber, Franz: Das Reich Gottes ist mitten unter euch (Lk 17,21). In: Werkstatt Reich Gottes, S. 326.

(16) Zu diesem Thema liegen zahlreiche Studien vor, so z.B. Ebertz, Martin: Kirche im Gegenwind - Zum Umbruch der religiösen Landschaft. Freiburg i. Br. : Herder, 2001. Dessen Bestandsaufnahme teile ich und kann sie durch persönliche Erfahrungen in der Arbeit mit und in Gemeinden bestätigen (was freilich nur eine sehr punktuelle Bestätigung ist). Vollkommen anderer Ansicht bin ich aber bei den von Ebertz aufgezeigten „Auswegen“ (vergleichbar mit anderen Vorschlägen, besonders aus der evangelischen Kirche). Das Evangelium gewinnt nicht dadurch eine neue und unverzichtbare Qualität (und damit das Leben der Kirche), wenn man es zur Ware macht und die ökonomischen Mechanismen übernimmt, die das gottlose System stützen.

(17) Franz Weber. Ebd, S. 317 ff.

(18) Dammert schrieb während eines Besuches in Deutschland am 6. Mai 1975 nach Cajamarca und schilderte dabei die Situation ehemaliger Mitarbeiter: „Sie haben alle die gleichen Probleme, es fehlen Gruppen, die sie bei der Arbeit unterstützen. Viele, die aus Lateinamerika zurückkehren, finden keine leichte Aufnahme in schon bestehenden Gruppen oder Pfarreien. Die Perspektiven, die sie gewonnen haben, sind viel weiter, als die enge Welt der hier arbeitenden Gruppen und so finden sie keinen Anschluss und werden nicht verstanden. Es ist fast unmöglich, Gruppen anzutreffen, die regelmäßig in den kirchlichen Aufgaben mitwirken und die gleichzeitig diejenigen unterstützen, die ins Ausland wollen bzw. die von dort zurückkommen. Motto: auch hier gibt es große Probleme“. (Archiv Dammert, IBC, Lima). Diese Beobachtung Dammerts ist ein Hinweis auf die Situation in deutschen Gemeinden. Nimmt man die Umfragen im Rahmen der Studie als Vergleich, so ist die von Dammert geschilderte Situation heute eher viel schlechter geworden als besser.