Die Indianer von Manaus schreiben an den Papst (1980, Auszüge)

Johannes Paul II., Kampfgefährte (Phil 2,25), Glaubensbruder, Bote der Hoffnung und der Gerechtigkeit!

Voller Freude haben wir erfahren, dass Eure Heiligkeit uns im Amazonasgebiet besuchen kommt. Das Amazonasbecken, das unsere Heimat ist, ist inzwischen Gegenstand einer so großen Habgier geworden, dass es uns schon nicht mehr gehört. Auf Eurer Rundreise ist Manaus die letzte Station, wie es ja auch in der Politik als der „letzte Posten“ gilt. So kommt Eure Heiligkeit als Nachfolger Petri, der ja auch auf den „letzten Platz verwiesen, wie zum Tode verurteilt“ (1 Kor 4,9) war, sozusagen in Eure Stadt.

Die zum Tode Verurteilten und die Letzten dieser Erde sind in ganz besonderer Weise die indianischen Völker. Die große Straße, die sogenannte „Transamazonas“, ist wie eine giftige, todbringende Schlange, die schon einige Indianervölker an den Rand der Auslöschung gebracht hat. Werden die Straße, die Großfarmen und die Viehzucht wieder einmal mehr den Vortritt haben vor dem Volk der Coxodoá, die bis zuletzt unberührt geblieben sind?

Von Krankheiten dezimiert, von Riesenfarmen, die ihr Land besetzen, ermordet, in ihrer Kultur unterdrückt, ohne Recht darauf, ihre eigene Sprache zu sprechen, wurden in Brasilien die indianischen Völker in den vergangenen 400 Jahren bis auf den heutigen Tag systematisch beseitigt. Von mehr als 5 Millionen Indianern, die es vor der Eroberung gab, leben heute noch ganze 210.000. Dieses Hinschlachten, das in den letzten Jahrzehnten noch dadurch beschleunigt wurde, dass man das Amazonasbecken großen brasilianischen und multinationalen Firmen übergab, ist vergleichbar mit dem Massaker, das der Naziimperialismus am polnischen und jüdischen Volk begangen hat. Es besteht kein Zweifel: Die Indianervölker sind an die letzte Stelle verwiesen, wie zum Tode verurteilt.

Wir von der letzten Station Eurer Besuchsreise wissen jedoch, dass gerade die untersten Plätze in besonderer Weise durch die Gegenwart Christi geheiligt sind. Ermutigt durch seine Gegenwart, möchten wir keine falschen Probleme diskutieren, die mit dem Volk und unserer Realität nichts zu tun haben. Aber wir diskutieren darüber, wie die Gesellschaft verändert werden muss. Denn wir haben Hunger, und zwar nicht nur nach Gerechtigkeit, aber Hunger dennoch nach einer neuen Gesellschaft, in der auch die indianischen Völker das Recht auf Selbstbestimmung haben, ihrer Kultur Wert beigemessen wird und sie ihre Länder gemeinschaftlich besitzen können. Denn das Land ist ihr Kulturgrund, das Feld ihrer Geschichte und der Ort der Verheißung.

Heiligkeit, Dank für Euren Besuch am „Letzten Platz“. Erzählt in der Welt da draußen von unserem indianischen Schrei und unserer indianischen Hoffnung! Macht, dass man unsere schwache Stimme in der Kirche hört, damit die Kircher wirklich katholisch wird – eine Kirche „aus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen“ Offenbarung 7,9), damit sie auch indianisch, amerindianisch wird.

(in PORATIM, der Zeitung des „Indianischen Missionsrates“ von Manaus, Übersetzung: Horst Goldstein), 1980

Die Indianervölker des Amazonas erhielten keine Antwort. Vielmehr verloren einzelne Bischöfe, die sich für diese Völker  in besonderer Weise eingesetzt haben, die Unterstützung „Seiner Heiligkeit“. Mehr noch: Sie wurden von Rom aus diffamiert. Ihnen wurde vorgeworfen,  Politik mit Glauben zu verwechseln und nur „Werkzeuge kommunistischer Ideologien“ zu sein. Leonardo Boff wurde zum Schweigen verurteilt. Als Boff 1985 nach Rom zitiert wurde, um seine Ermahnung in Empfang nehmen zu dürfen, gab ihm ein Kurienkardinal väterlich fürsorgend den Rat, zur Buße eine Wallfahrt in das Hl. Land zu unternehmen, denn könnte er wieder - auf den Spuren Jesu - zum wahren Glauben und zu Jesus zurückfinden. Boff antwortete: „Danke, ich lade Sie dagegen ein, mit mir in das Amazonasbecken zu kommen. Dort würden Sie aber Gefahr laufen, dem lebendigen Jesus zu begegnen.“

Es kam noch schlimmer: 1984 besuchte der Papst Santo Domingo, um zu verkünden, dort die nächste Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischofskonferenz abhalten zu wollen, 1992, dem 500. Jahrestag der „Evangelisierung Amerikas“. Aus seiner Ansprache am 11. Oktober 1984 (dokumentiert in „500 Jahre Evangelisierung in Lateinamerika“, Dokumente/Projekte Nr. 31, Adveniat): „Dieses Datum – eines der entscheidendsten in der Geschichte der Menschheit – gilt auch für den Anfang von Glauben und Kirche auf dem Kontinent. Auf dieser Insel, auf der vor fast 500 Jahren die erste Messe gefeiert und das erste Kreuz errichtet wurde, möchte ich als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus diese Jahresnovene eröffnen. `Gott sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten, er ist in unserem Herzen aufgeleuchtet`. Vor der von Christoph Kolumbus geführten Expedition tat sich eine neue Welt auf. Plötzlich erlaubte der gleiche Gott, dass die Entdecker, die die Abgründe des Ozeans überquert hatten, eines Tages in den Aufschrei: `Land!` ausbrechen konnten. ER selbst ist so in unserem Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi!` Der heilbringende Anfang der Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi, das war der Beginn der Evangelisierung Amerikas, der Beginn des Glaubens und der Kirche in der Neuen Welt“. Aus seiner Ansprache am 12. Oktober 1984 an die versammelten Bischöfe, unter der Überschrift: „Der providentielle Charakter der Entdeckung und der Evangelisierung Amerikas“: „Die Ankunft der Entdecker bedeutete eine phantastische Ausweitung der Grenzen der Menschheit, die gegenseitige Entdeckung zweier Welten, die Erscheinung der ganzen bewohnten Welt vor den Augen des Menschen und den Beginn der Universalgeschichte. … Schon Papst Leo XIII. schrieb zum Abschluss der 400-Jahr-Feier 1892 von den Plänen der göttlichen Vorsehung, die das größte und wundervollste unter den menschlichen Ereignissen geleitet haben und durch die Verkündigung des Glaubens eine unermessliche Menge zu den Hoffnungen des ewigen Lebens gelangen ließen (Schreiben vom 15. Juli 1892).“

Wie wahr, es ging schneller als gedacht! Auf der Insel Hispañola (heute Dominikanische Republik und Haiti) lebten bis zur Ankunft der Europäer nach übereinstimmenden Schätzungen mindestens zwei Millionen Menschen. Nach 40 Jahren (nach anderen Angaben 100 Jahren) europäischer Herrschaft und Evangelisierung hatten nur noch einige Hundert Ureinwohner überlebt. Paulo Suess zitiert Las Casas: „Dass gegenwärtig von mehr als drei Millionen Menschen, die ich ehedem auf der Insel Hispañola mit eigenen Augen sah, nur noch zweihundert Eingeborene vorhanden sind“. (Suess, Paolo: Weltweit artikuliert, kontextuell verwurzelt. Frankfurt: IKO, 2001, S. 129). Das hinderte die Bischöfe der Dominikanischen Republik nicht, den Papst bei seinen Besuchen auf die großen Leistungen der ersten Missionare hinzuweisen, denen es nach etwa vierzig Jahren bereits gelungen war, auf der gesamten Insel Hispañola die Kirche aufzubauen. So gab es bereits nach 40 Jahren acht Pfarreien und Pfarrkirchen, sowie mehrere Dutzend Kapellen. Diese waren über die ganze Insel verstreut, denn sie war in so kurzer Zeit bereits völlig erkundet und erschlossen worden – so der Bericht der einheimischen Bischöfe an den Papst. Und der Papst dankte den Missionaren, die unter Einsatz ihres Lebens diese heldenhafte missionarische Leistung vollbracht hatten. Der Papst: „Es war der mächtige Aufbruch der Universalität, die Christus, wie wir beim hl. Matthäus gelesen haben, für seine Botschaft gewollt hat“.  

Anmerkung: Die bisher umfangreichsten Studien zur ursprünglichen Bevölkerungszahl z.B. in Peru werden von G. Gutiérrez in „Gott oder das Gold“ zitiert (S. 10). Danach lebten z.B. im Inkareich vor der Eroberung etwa neun Millionen Menschen.1570 war die Bevölkerung auf eine Million geschrumpft. Noch gravierender war das Ausmaß dieser Katastrophe in Mexiko, wo die Bevölkerung von 25 Millionen auf eine Million (1605) dezimiert wurde (Todorov: Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt 1985, S. 161). Gutiérrez nennt die hauptsächlichen Gründe: „Man weiß um die drei Gründe für den Rückgang der Bevölkerung: Krankheiten, gegen welche die Indianer nicht immunisiert waren (z.B. Pocken, Masern und Typhus), Zwangsarbeit und Kriege. Doch handelt es sich dabei nicht um voneinander unabhängige, sondern um sich wechselseitig verstärkende Faktoren“. Gutiérrez, Gustavo: Gott oder das Gold - Der befreiende Weg des Bartolomé de Las Casas.: Herder, 1990. S. 10, 11. Ich möchte noch einen Grund hinzufügen: Die gezielte Zerstörung der hochentwickelten indigenen Landwirtschaft (Agro-Kultur), der Lebensgrundlage schlechthin. Die Bevölkerungszahl auf dem amerikanischen Kontinent vor 1492 wird seriöserweise auf 90 - 110 Millionen Menschen geschätzt, knapp 1/4 der damaligen Menschheit. 

Zu Papst Johannes Paul II. siehe auch: Bischof Oscar Romero zu Besuch beim Papst, 1979.

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Einige spanische Theologen des 16. Jahrhunderts bezeichneten das Gold als ein Geschenk Gottes, der in seiner göttlichen Vorsehung die heidnischen Völker mit unvorstellbaren Goldvorkommen ausgestattet hat, damit auf diese Weise die Christen den Weg zu diesen Völkern finden, um die Heiden zu taufen und sie so vor der Hölle zu bewahren. Die Heiden verdanken demnach ihr Seelenheil dem Gold und die Christen verdanken ihren sehr irdischen Reichtum ebenfalls dem Gold, „ihrem Gott“. In „Gott oder das Gold“ geht Gustavo Gutiérrez dieser Thematik auf den Grund. Das dritte Kapitel des Buches hat den Titel: „Das Gold als Vermittler des Evangeliums“. Gutierrez geht hier auf die Schrift von García de Toledo ein, in der die genannte These begründet wird: „Und so gab er ihnen die Gebirge von Gold und Silber..., damit es in diesem Duft Menschen gebe, die um Gottes willen hierher kommen wollten, das Evangelium zu predigen, sie zu taufen und diese Seelen mit Jesus Christus zu vermählen“. Und etwas weiter, sich auf die Schätze und Reichtümer beziehend: „Dorthin, wo es sie gibt, das Evangelium im Fluge und um die Wette kommt, während dort, wo es sie nicht gibt, sondern nur Arme, dies ein Mittel der Zurückweisung ist, denn dorthin kommt das Evangelium niemals...“. Nach Gutiérrez vertreten auch die damals maßgeblichen Theologen (u.a. Sepúlveda) die Meinung, dass das Gold eine providentielle Rolle bei der Ausbreitung des christlichen Glaubens hatte. Gutiérrez schließt: „So wird das Gold zum wirklichen Vermittler der Anwesenheit Gottes in Westindien. Die Position des García de Toledo ist so etwas wie eine verkehrte Christologie. Letztlich steht das Gold dort, wo sonst Christus steht: als Mittler der Liebe des Vaters“. 

Diese Alternative, Gott oder das Gold, hat bis heute seine Gültigkeit. Nach dem „Evangelium der Herren dieser Welt“ verdanken es die eroberten Länder nur dem Gold (stellvertretend für alle „Schätze“), dass dort heute die moderne Zivilisation Einzug halten kann. Ausländisches Kapital wird zum Segen für die Menschen in den arm gemachten Ländern. Wenn diese sich aber diesem „Bundesschluss“ (sprich „Freihandel“) verweigern, kommt das Gericht über sie - so die Verkündigung der Propheten der Freiheit des Kapitals. Aber diese Schätze sind die Ursache der Armut in jenen Ländern. Auf der Suche nach Gold sind die Europäer bis in die letzten Winkel der Erde vorgestoßen und haben dabei ganze Völker in den Abgrund gestoßen. Es war die Suche nach sagenhaften Goldvorkommen, weshalb spanische Söldner schließlich z.B. auch nach Cajamarca kamen und das mächtige Reich der Inkas im Handstreich zerstörten. Es war das Gold, das die Europäer nach Amerika trieb. Gold steht als Sammelbegriff für alle Reichtümer, als Inbegriff aller Schätze dieser Welt.

Und diese „Theologie des Imperiums“ (von Augustinus über Sepúlvedra bis Josef Ratzinger) hat auch heute noch seine Gültigkeit. Wir als Christen in einem der reichsten Regionen der Erde brauchen auch diese Art von Religion um unsere imperiale Lebensweise – bei gleichzeitig großer Spendenfreudigkeit - rechtfertigen zu können. So konnte das deutsche Zentralorgan „Bild“ am 20. April 2005 mit Recht verkünden „Wir sind Papst“. Dieser Papst reiste 2007 nach Brasilien. Dabei fand er nicht nur kein Wort des Bedauerns für die Mitwirkung der Kirche bei Conquista und Sklavenhandel, im Gegenteil: Die Verkündigung Jesu und seines Evangeliums habe „zu keinem Zeitpunkt eine Entfremdung der präkolumbianischen Kulturen mit sich“ gebracht, dozierte Ratzinger eurozentrisch, „ebenso wenig wurde ihnen eine fremde Kultur aufgezwungen“. Eine Delegation von Ureinwohnern wollte er gleich gar nicht empfangen. Vielmehr hatte er als Botschaft an die Völker Lateinamerikas (neben anderen Hauptbotschaften wie z.B. politische Enthaltsamkeit für Kirchenleute und sexuelle Abstinenz für alle) folgendes zu sagen, sinngemäß: Freut euch und seid dankbar, dass wir euch das Evangelium gebracht haben! Denn dadurch konntet ihr euren Retter und Erlöser kennenlernen, ohne den ihr weiterhin in der Finsternis wandeln würdet. "Der Papst war sehr arrogant", sagte der Vorsitzende eines Verbandes der Amazonas-Völkern, Gesinaldo Satere. Benedikt XVI. hatte während seines Besuchs gesagt, die Verkündung Jesu und des Evangeliums hätte den amerikanischen Ureinwohnern in "keiner Weise eine Entfremdung" gebracht. Auch wäre es zu keiner "Besetzung oder Auferlegung durch eine fremde Kultur" gekommen. Vielmehr sei Christus der Retter gewesen, den sich die Indianer im Stillen herbeigewünscht und "ohne ihn zu kennen, in ihren vielfältigen religiösen Traditionen gesucht" hätten. Das Wiederaufleben vorkolumbianischer Religionen bezeichnete der Papst als einen "Rückschritt". Ratzinger steht damit in der Tradition eines Sepúlvedra.

Im Kontext massiver römischer Eingriffe in eine seit dem Konzil in Lateinamerika entstandene Praxis und Theologie der Befreiung (alles dokumentiert auf diesen Webseiten) schrieb ich bereits 1986: „Das Ergebnis dieser von Rom ausgehenden Maßnahmen ist verheerend. Die Mehrheit des Volkes Gottes wird erneut ausgegrenzt. Diese römische (und weiße) Kirche ist nicht mehr unter den Armen präsent, geschweige mit den Armen. Daher ist hier von der RÖMISCHEN Kirche die Rede, weil sie das Gegenteil einer im ursprünglichen Sinne des Wortes KATHOLISCHEN Kirche ist, nämlich eine Kirche, die - und seit dem Theologen Josef Ratzinger umso mehr - ihre Fundamente nicht im Evangelium hat (Jesus dem Christus und dessen befreiende Botschaft von dem anbrechenden Reich Gottes), sondern in einer auf der altgriechischen Philosophie gegründeten Doktrin und Praxis, die per se die Erfahrungen anderer Völker (der "Barbaren") und Kulturen nicht nur nicht respektiert, sondern diese entweder unterwirft oder vernichtet. Dies ist unter dem Einfluss von Josef Ratzinger (seit 1982) verstärkt zu beobachten, sowohl in der Theorie (Lehre) und noch schlimmer, in der Praxis.“ Siehe dazu: Josef Ratzinger und der Glaube der Campesinos (Auseinandersetzung mit „Vamos Caminando“ aus Bambamarca, 1979 als Erzbischof von München.)

1978 besuchte der Erzbischof von München das Partnerland Ekuador. Kurz darauf war ich für 14 Tage als „Botschafter“ der Diözese Cajamarca zum Erfahrungsaustausch bei Bischof Proaño in Riobamba. Ratzinger weigerte sich, Bischof Proaño, der im  Jahr zuvor zusammen mit anderen auswärtigen Bischöfen in Ekuador verhaftet worden war, zu empfangen. Stattdessen ließ er sich völlig von dem damaligen mächtigen Mann von Ekuador einnehmen, der Erzbischof von Guayaquil und spätere Kardinal Bernardino Carlos Guillermo Honorato Kardinal Echeverría Ruiz. Dessen Regentschaft war derart skandalös, dass dies an dieser Stelle nicht widergegeben werden kann. Da hilft nur ein Zitat von einem echten Hirten der Kirche Jesu Christi, von Leónidas Proaño, „Bischof der Indios“, Riobamba (1954 – 1985):   

„Der Kapitalismus ist kalt, kalt wie alles, das aus Metall ist. Es interessieren ihn weder die  Menschen noch die Völker. Es interessieren ihn allein die Gewinne. Menschen und Völker interessieren ihn nur in dem Maße, in dem sie ihm Gewinne versprechen. Um Gewinne verschlingen zu können, verschlingt er Menschen und Völker. Er ist kalt, er hat kein Herz. Unser Land, wie viele andere Länder in Lateinamerika, ist schon seit langem in die Klauen dieses Monsters gefallen. Wir hängen auf vielfältige Weise von ihm ab. Wir sind sein Spielzeug“. 

Anmerkung: Während meines Besuches in Riobamba lernte ich auch Padre Fernando Lugo kennen, später kath. Bischof und danach Präsident von Paraguay. Im selben Monat wurde Karol Wojtyla zum Papst gewählt, wie man weiß, auf massives Drängen deutscher Bischöfe. Wahrlich, ereignisreiche Tage....

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Botschaft indianischer Völker an Papst Johannes Paul II. (Brasilia, 30. Juni 1980)

"Als Vertreter von 26 indianischen Völkern in Brasilien, wo es vor der portugiesischen Invasion bis 5 Millionen Indianer gab und wir heute noch ganze 200.000 sind, möchten wie Sie – zusammen mit dem Volk der Shuar, von dem 100.000 Menschen in Ekuador leben – anlässlich Ihres in diesem Land Besuches begrüßen. Gleichzeitig möchten wir Ihnen auch sagen, was mit uns passiert, die wir die ersten Bewohner dieses Landes sind. Wir kämpfen um Bedingungen, damit wir als Menschen und als Völker leben können. Aber seitdem andere Völker hierher kamen, werden wir direkt oder indirekt umgebracht.

Wir wollten hier in Brasilia mit Ihnen sprechen, aber wir haben erfahren, dass sie nach Manaus fahren. Aber dort werden Sie sich nicht mit den Tausenden Indianern treffen, die in der Stadt ein unmenschliches Leben führen müssen. Denn sie leben dort als schlecht bezahlte Arbeiter, billige Hausmädchen und sogar als Prostituierte.  Stattdessen werden Ihnen in Manaus singende und tanzende Indianer vorgeführt werden. Aber werden Sie nicht traurig und vielleicht sogar weinen, wenn Sie erfahren, dass ein ganzes Volk weder singen noch tanzen kann, dass man ihm sein Land raubt, seine Häuptlinge umbringt und Tausende unserer Leute zwingt, als Sklaven zu arbeiten?

Sie sollten dahin fahren, wo sich Dutzende von Großfarmen z.B. auf dem Land der Nambikwara breit machen, was den sicheren Tod der Indianer bedeutet. Alles Mögliche, bis hin zu chemischen Mitteln wird eingesetzt, um den Wald zu entblättern. Sie werden sehen, dass Brasilien mit Hilfe ausländischer Banken gerade in diesem Augenblick dabei ist, eine neue Straße quer durch die Dörfer der Nambikwara zu bauen. ….

Herr Johannes Paul II.! Wir möchten Ihnen gerne die ganze Geschichte unseres Kampfes, unseres Leidens, der Ungerechtigkeit, die man uns zugefügt hat und der Unterdrückung erzählen, die wir selbst von der FUNAI erleiden. Diese Behörde zerreißt unsere Völker, verfolgt die, die sich unter Lebensgefahr auf unsere Seite schlagen und droht den  Landsleuten mit Verhaftung, die versuchen, alle Indianervölker in Brasilien zu vereinen. . Wir haben doch auch ein Recht, wie Menschen zu leben, wie Brüder und Schwestern, so wie viele Christen schon nicht mehr leben.

Wir möchten Sie darum bitten, diese unsere Botschaft in die Welt zu tragen, damit die ganze Menschheit erfährt, dass dies ein Land voller Ungerechtigkeiten ist. Diese Ungerechtigkeiten sind so groß, dass sich jedes Land, vor allem aber ein Land, das sich christlich nennt, darüber schämen sollte. Christus hätte den Führern dieses Landes harte Worte zu sagen. Und Sie, von dem ja die Katholiken sagen, dass Sie der Vertreter Christi sind, was sagen Sie?

 (Übersetzung: Horst Goldstein; aus: „Kirche und Indianer“, in Adveniat: Dokumente/Projekte Nr. 19, S. 105/6. 

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Paulo Suess, als Generalsekretär des brasilianischen Indianermissionsrats (CIMI), in einem Interview 1979: 

„Es ist ein großes Geschenk für die Kirche, mit den Indianern leben und arbeiten zu dürfen. Unseren zukünftigen Weg, den wir die ‚Utopie‘ einer geschwisterlichen Gesellschaft nennen, sehen wir unter den Indianern schon weitgehend verwirklicht. Eine solche Gesellschaft ist nur da möglich, wo Grund und Boden gemeinsam genutzt werden, wo die Produktionsmittel nicht von einzelnen willkürlich und nach Kraft ihrer Muskeln angeeignet werden und wo Not und Überfluss gemeinsam geteilt werden.  Das erleben wir unter Indianern. Da gibt es keine großen Mauern, die den einen von dem anderen trennen. Da sehen wir so etwas wie Gemeinschaft, wie eine geschwisterliche Gesellschaft, auf die wir ja auch in der Kirche zugehen wollen. Hoffnung sehe ich auch im ganzheitlichen Lebensbegriff. Die Indianer leiden unter unserer Gespaltenheit in ein religiöses und profanes Leben, in der Gespaltenheit zwischen Geist und Erde, zwischen Natur und Mensch. Unter Indianern erleben wir ein integrales, ganzheitliches Menschsein.

Auch in anderer Beziehung kann indianisches Leben für uns beispielhaft sein, etwa in der ökologischen Frage. Indianer verstanden es, über Jahrtausende hinweg mit der Natur, mit ihrer Umwelt in Harmonie zu leben und zu überleben. Sie verstanden es, sich in den extrem schwierigen Verhältnissen der Tropen zu verteidigen. Sie hatten eine eigene Medizin, die es ihnen gestattete zu heilen. Alles, was wir oft zu diesen indianischen Völkern hintragen wollen, z.B. unsere Medizin, dient schließlich nur dazu, um die von uns verursachten Krankheiten wieder einzudämmen.“

Und innerkirchlich: „Oder die kirchlichen Leitungsfunktionen: Der Hausvater in einem indianischen Urwalddorf ist Baumeister seines Hauses, er ist Ingenieur, er ist Jäger, er ist Fischer, er schneidet die Haare seiner Kinder, er ist Gärtner. Brauchen wir in einem so wenig differenzierten Kontext ein so differenziertes Priestertum, das wir von der lateinischen Kirche her kennen? Ist das nicht ein bisschen so, als wenn wir dort einen äußerst spezialisierten Raketentechniker hinschicken würden, um eine Aufgabe wahrzunehmen, die im Indianerdorf gar nicht spezialisiert ist bzw. gar nicht gibt? Es gibt dort nicht die Aufteilung in Berufe. Religion als Beruf wird nicht anerkannt. Religion ist Berufung.“

aus: „Kirche und Indianer“, in Adveniat: Dokumente/Projekte Nr. 19, S. 98/99.