„Wir haben den Hunger satt!“

Die diesjährige Fastenaktion von Misereor steht unter dem Leitwort: „Wir haben den Hunger satt“. Jeder sechste Mensch auf der Erde muss hungern. Aber Hunger ist nicht in erster Linie ein Problem des Mangels, sondern der ungleichen Verteilung bzw. gezieltenVerknappung. Weltweit schrumpfen die Anbauflächen, die Erträge sinken und der sich ausweitende Anbau von Agrarrohstoffen und Viehfutter hat der Produktion von Lebensmitteln den Rang abgelaufen. Zudem sind Nahrungsmittel auf den Finanzmärkten zu einem interessanten Anlageobjekt geworden. Die Präsidenten der drei kontinentalen Bischofskonferenzen von Asien, Afrika und Lateinamerika nennen als ein Hauptproblem unserer Zeit: Die Gier nach immer mehr Rohstoffen und Land. „Der Reichtum an Rohstoffen und Land macht uns arm“.

War es früher der feudale Großgrundbesitz, der die Mehrheit der Menschen zu landlosen Hungerleidern degradierte, so sind es heute vermehrt Agrarkonzerne, die mit ihrer industriellen Landwirtschaft immer mehr Kleinbauern an den Rand drängen bzw. um ihr Land bringen. Auf diesem Ackerland werden dann aber nicht zuerst die notwendigen Grundnahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung angebaut, das wäre ja nicht rentabel, sondern vorwiegend Tierfutter für die Überproduktion von Schweinen und Kühen in den reichen Ländern. So wird z.B. jede Kuh in einem EU-Land mit täglich 1,5 € subventioniert, während gleichzeitig über eine Milliarde Menschen von weniger als 1 € im Tag leben müssen. Die Produktion von Viehfutter (Soja, Mais etc., zudem immer mehr genmanipuliert) gerät in Konkurrenz mit dem steigenden Bedarf an nachwachsbaren Rohstoffen wie „Biobenzin“ und sonstige Ersatzprodukte für die zu Ende gehenden fossilen Energieträger. Dies führt zu einer noch stärker werdenden Nachfrage nach Land, zu mehr Vertreibung, Verwüstung der Erde und der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen. Die Ursache auch hier: Der nicht stillbare Hunger nach immer Mehr auf Kosten der Armen.

Eine solche Grundhaltung und Praxis ist aber nicht vereinbar mit der Botschaft Jesu und seinem Glauben an einen gerechten Gott, der Partei ergreift für die Armen und Rechtlosen. Jesus sagt uns, dass mit ihm eine neue Zeit beginnt, in der alle Menschen das haben werden, was sie zu einem Leben in Würde brauchen. Und er traut uns zu, die Welt in diesem Sinne zu verändern. In den Geschichten von der Brotvermehrung und im Abendmahl zeigt uns Jesus, wie es sein könnte, wenn…! In der Eucharistie sagt die Kirche, was sie ist und wie sie im Geiste Jesu zu handeln hat. In dem Maße, wie Christen das Brot teilen, werden sie zur Kirche Jesu Christi. Als der Auferstandene mit den Jüngern das Brot bricht, erkennen sie ihn.

Das Hungertuch von Misereor für 2013/14 stellt daher das Abendmahl und das Brotteilen in den Mittelpunkt. Die vier Szenen des Bildes beziehen sich auf die Brotvermehrung (Mk 6), Lazarus (Lk 16), das letzte Abendmahl (Lk 22) und auf die Verheißung eines Lebens in Fülle (Joh 10). In der 1. Szene (rechts oben) lädt Jesus zum Abendmahl ein, in besonderer Weise die Ärmsten, „Aussätzige“, verlassene Mütter, Menschen mit Behinderung etc. In der 2. Szene (links unten) sind die Mächtigen dieser Welt zu sehen, „Vertreter eines weltweiten Wirtschaftssystems, das nicht die Bedürfnisse der Menschen im Blick hat, sondern die Maximierung des eigenen Gewinns. Großmäulig und in starrer Gleichgültigkeit schlemmen sie“ (Misereortext). Davor unzählige emporgestreckte leere Hände – Lazarus. In der 3. Szene (links oben) legt ein kleines Kind, stellvertretend für hungernde Menschen, alles auf den Tisch, was es hat. Denn es ist von Jesu Geist ergriffen und es hat begriffen: Mit Jesus dem Messias beginnt eine neue Zeit und alle werden satt werden. Diese „neue Welt Gottes“ wird in der 4. Szene (rechts unten) veranschaulicht. Kinder mit vollen Schüsseln sitzen relaxt auf dem Tisch, der zu einem Tisch für alle geworden ist, davor ein überreiches Weizenfeld. Aus den verzweifelt ausgestreckten Händen sind Ähren voller Weizenkörner geworden.

„Schickt sie weg!“ sagen die Jünger zu Jesus. Doch Jesus fragt sie: „Wie viele Brote habt ihr?“ (Mk 6). Daraufhin begannen sie, alles was sie bei sich hatten, zu verteilen. Und alle wurden satt. Das „Wunder der Brotvermehrung“ besteht nicht darin, dass Jesus – einmalig – ein solches Wunder gewirkt hätte, womöglich um seine Göttlichkeit zu beweisen. Genau dies lehnte er stets strikt ab. Das Wunder besteht vielmehr darin, dass die Menschen in der Begegnung mit Jesus und bewegt von seiner Botschaft beginnen, das tägliche Brot zu teilen. Auch heute würde es für alle reichen! Wenn wir im Auftrag Jesu dies tun, werden wir nicht nur selbst satt (erfülltes Leben), sondern wir werden dann als Gemeinschaft der Jüngerinnen (inklusiv) Jesu selbst zum „Brot des Lebens“ für andere.

Pierre Stutz: „Völlerei, Gier, Landraub, Ausbeutung, entfremdete Menschen verlieren sich in asozialer Profitmaximierung. Die Schreie der Entrechteten werden lauter, die ausgestreckten Hände warten auf unsere Solidarität. Die Macht der Ohnmächtigen wird viele Friedensbewegte zum Aufstand für die Würde aller Menschen stärken“ (aus Meditationen zum Hungertuch, 2013/2014).

Willi Knecht, geschrieben für das Kirchenblatt der Kath. Gesamtkirchengemeinde Ulm zum Misereorsonntag am 17. März 2013

_____________________________________________________________________________________
 
Ergänzung (unveröffentlicht): Dieses zeichenhafte, sakramentale Geschehen, das auf Jesus den Messias verweist, hängt nicht davon ab, ob ein geweihter Mensch diesem Geschehen vorsteht (dazu noch abhängig von dessen Geschlecht und von oben ernannt, auch ohne Zustimmung der Gemeinde). Die Gemeinschaft der Jüngerinnen Jesu Christi, die in seinem Namen Eucharistie feiert, ist die eigentlich handelnde „Person“. Sie verwandelt im Auftrag Jesu Brot und Wein, die Güter der Erde, in Nahrung für alle Menschen. Dadurch wird Jesus der Christus gegenwärtig.