Peru - Predigt am 8. 12. 1985  (Infos)

".....Zusammenfassend kann man folgendes sagen: In den 3 ½ Jahren der Partnerschaft mit San Pedro hat sich dort einiges verändert und vieles ist in Bewegung gekommen. Das Elend konnte an einigen Stellen vermindert werden, Abhängigkeiten wurden verringert. Vor allem aber haben viele Campesinos und verlassene Mütter in der Stadt ein neues Selbstbewusstsein gewonnen. Sie entdecken sich immer mehr als Kinder Gottes, als Menschen mit einer unantastbaren Würde und mit unverletzlichen Rechten. Wenn auch wir lernen genau hinzuhören, so werden wir Zeuge sein der Geburt einer neuen Kirche, die ihre Kraft aus den Wurzeln schöpft und immer wieder neue Triebe, Blätter und Blüten hervorbringen wird".....

Liebe Gemeinde….
Eigentlich müsste und wollte ich sagen: Liebe Brüder und Schwestern! Aber es wäre mir nicht ganz wohl dabei, es wäre eine hohle Formel, ich kenne Sie ja eigentlich gar nicht alle. In Cajamarca - San Pedro ist das inzwischen etwas anders. San Pedro ist als Pfarrei zwar noch viel größer als St. Georg und natürlich kennen sich dort auch nicht alle. Aber es gibt immer mehr kleinere Gruppen in denen man sich nicht nur kennt, sondern wo sich die Menschen tatsächlich mit Bruder und Schwestern anreden.

Und wenn ich dort zu Besuch bin, werde ich auch als Bruder angeredet („hermano Willi“). Das ist nun aber nicht bloß eine leere Formel, sondern dahinter steckt mehr. Auf dem Lande um Cajamarca herum sind Gemeinschaften entstanden, die gemeinsam im Lichte des Glaubens über ihre Probleme sprechen und gemeinsam die Probleme anpacken. Diese Probleme sind gewaltig: kein Wasser, kein Brennholz, steiniges und viel zu kleines Land, totale Abhängigkeit von der Stadt - nämlich den Weißen und Mischlingen, d.h. den Händlern und Kaufleuten, der Bürokratie und den Schikanen der Polizei. Angesichts dieser Probleme haben die Campesinos nun eine neue Erfahrung gemacht: wenn sie wirklich zusammenstehen, dann können sie auch etwas erreichen. Grundlage und

Ausgangspunkt dieser Erfahrung ist eine simple Tatsache: sie haben die frohe Botschaft gelesen, die Botschaft vom Leben, vom Leiden und von der Auferstehung Jesu Christi. Sie haben diese Botschaft in ihr Herz eingelassen, sie haben diese Botschaft direkt auf ihr Leben bezogen und sie haben dabei entdeckt, dass dieser Jesus, also Gott selbst, nicht die Unterdrückung will, er will nicht das Elend seines Volkes weiter mit ansehen, sondern er führt es in die Befreiung, er führt es in das Gelobte Land, wo alle das haben werden, was sie zum Leben brauchen, und sie werden es in Fülle haben! Gottes Wille ist die Erlösung, die Befreiung aller Menschen von allem, was sie daran hindert, Bruder und Schwester zu werden, Befreiung von allen Zwängen - nicht nur erst im Jenseits, nicht in einer fernen Zukunft, sondern jetzt, hier und heute. Denn als Christen glauben sie, dass diese Zukunft mit Jesus bereits begonnen hat.

Sie erfahren es am eigenen Leib, dass Jesus Christus der Schlüssel zum neuen Leben ist, das Fundament ihres Lebens, Brot des Lebens. Sie nennen sich auch deswegen Bruder und Schwester, weil sie sich nicht nur persönlich kennen, sondern weil sie aufgrund ihrer gemeinsamen Glaubenserfahrung inzwischen vieles gemeinsam angepackt haben. In Monate langer Arbeit, freiwillig und unbezahlt, haben sie Kilometer lange Kanäle gegraben, haben Schulen gebaut und manche Schwierigkeiten mit den Behörden erfolgreich bestanden.

Als Brüder und Schwestern sind sie so zu Gemeinde geworden, eine Gemeinde, die Jesus Christus als Mitte - als die Mitte ihres Lebens erlebt. Es wäre nun sicher nicht ganz fair, solche Erfahrungen von Gemeinschaft und von Kirche mit dem Leben in unserer Gemeinde zu vergleichen. Aber sollten und könnten uns solche Erfahrungen von Gemeinde nicht ein Ansporn sein? Schließlich steht unser Leben sowohl als Einzelner als auch als Gemeinde ja unter dem Anspruch des Evangeliums und der Erfahrung der ersten christlichen Gemeinden zu Zeiten der Apostel.

Könnten uns nicht die Erfahrungen der Christen in San Pedro eine Brücke zu den Erfahrungen der ersten Christen und umgekehrt sein und uns deswegen helfen können, die Ursprünge und Fundamente unseres eigenen Glaubens besser zu verstehen und neue Kraft daraus zu schöpfen? Eines können wir aber auf alle Fälle schon jetzt feststellen: Aufgrund unserer Partnerschaft können unsere Brüder und Schwestern in San Pedro all das tun, was sie tun - mit anderen Worten: was in San Pedro an neuen Aufbrüchen geschieht, wäre wahrscheinlich ohne die Hilfe von St. Georg nicht geschehen.

In San Pedro haben seit drei Jahren viele Menschen eine neue Hoffnung. Seither ist es nämlich durch die Unterstützung von St. Georg möglich, die vielfältigsten Kurse abzuhalten, die Campesinos auf dem Land zu begleiten, Schulen und Kapellen zu bauen, Terrassen anzulegen, Kanäle zu bauen usw. Vor einem Jahr wurde hier an gleicher Stelle und in allen Gottesdiensten über die Arbeit bis Ende 1984 informiert. Wir wollen nun informieren, was seither geschehen ist.

Von Oktober 1984 bis Dezember 1985 überwiesen wir etwa 30.000 DM nach San Pedro. Darin enthalten sind die Mehrkosten des Kanalbaus für die  zwei  Getreidemühlen, nämlich 6.000 DM. Diese Kanäle sind inzwischen fertig, auch die Mühlen sind errichtet, aber noch nicht an den Kanal angeschlossen. Dieser Tage beginnt in Cajamarca die Regenzeit. Wenn die Kanäle voller Wasser sind, sollen die Mühlen angeschlossen werden und dann betriebsbereit sein. Alles ist bereits vorbereitet. Die Stadtverwaltung von Cajamarca wollte sich die Kanäle „unter den Nagel reißen“, um die Trinkwasserversorgung der Stadt zu verbessern.

Aber die Campesinos setzten sich durch, auch weil sich die Universität von Cajamarca für die Gemeinde San Pedro einsetzte. Ferner wurden zwei Schulen gebaut - einfache Lehmhütten mit Lehmboden. Diese dienen gleichzeitig als Kapelle und Versammlungsort. Einige andere Schulen und Kapellen wurden ausgebessert bzw. wieder funktionsfähig gemacht. Dafür waren insgesamt etwa 6.000 DM erforderlich.

Ebenso wurden einige Weg ausgebessert, denn gerade in der Regenzeit war es für die Campesinos fast nicht möglich, in die Stadt zu gelangen. Wie viel das ganz genau gekostet hat, ist uns nicht bekannt. Für die Arbeiten wurden die notwendigen Geräte gekauft, Pickel, Schaufeln usw. Die so wichtige Aufforstung und das Anlegen von Terrassen wurden fortgesetzt. Dafür wurden etwa 2.000 DM benötigt.

Wie schon gesagt: auf dem Land treffen sich inzwischen mindestens sechs Gemeinden regelmäßig zu Wortgottesdiensten, Gemeinschaftsarbeiten, Kursen usw. Hier geht die Arbeit also weiter und wird noch ausgebaut, ohne dass man diese Arbeit in messbaren Erfolgen oder gar Zahlen ausdrücken könnte. In den Stadtrandgebieten gibt es inzwischen nicht nur die eine, schon bekannte große Frauengruppe mit etwa 60 Frauen (mit jeweils vielen Kindern).

Inzwischen gibt es drei weitere, etwas kleinere Gruppen in drei anderen Stadtrandvierteln (Elendsvierteln), die zu San Pedro gehören. Und in allen Stadtteilen und Armenvierteln, die zu San Pedro gehören, ist inzwischen die Pfarrei vertreten und mit Programmen und Angeboten präsent. Die erste große Frauengruppe, sie nennt sich Atahualpa, hat in Eigeninitiative ein Gemeinschaftshaus gebaut, u.a. auch deswegen, um dort Stoffe, Kleider, Wolle und auch die 2 Nähmaschinen sicher aufbewahren zu können. Gelände- und Materialkosten für dieses erste Gemeinschaftshaus für Frauen in der Stadt wurden von St. Georg finanziert, zusammen 4.000 DM. Dazu kommen noch einige kleinere Beträge für den Kauf von Bibeln, Bänken und Tischen.

An Festkosten sind in Zukunft ferner 5.000 DM im Jahr für die Finanzierung einer Sozial - Pastoralarbeiterin eingeplant, die dort alle Arbeiten koordiniert, mehr aber noch: die diese Arbeiten zum Teil mit den Frauen und Campesinos angestoßen hat und sie organisiert und begleitet. Weitere Festkosten, nämlich 6.000 DM, sind für die Durchführung von verschiedenen Kursen in der Pfarrei und auch auf dem Land vorgesehen.

Die Kosten für diese Kurse resultieren vor allem aus der notwendigen Verpflegung der Kursteilnehmer und dem Kauf von pädagogisch-didaktischem Material, Broschüren für die Kursteilnehmer usw. Mit den bereits feststehenden Projekten und den genannten Festkosten, kommen wir auch für das kommende Jahr auf einen Betrag von 30.000 DM. Nicht eingeplant sind natürlich eventuelle spontane Notfälle. Als Reserve ist der Verkauf von Kleidern möglich, denn auch für das nächste Jahr planen wir, einen Container mit Kleidern nach Cajamarca zu schicken.

Auch unsere caritativen Kontakte nach Indien sollen nicht vergessen werden: Mit Spendengeldern in Höhe von 2.000 DM konnten das St. Franziskus Hospital in Arumanoor im südindischen Bundesstaat Kerala unterstützt werden. Durch die Hilfe von St. Georg konnte die technische Überholung des Röntgengerätes durchgeführt werden; es wurden 300 Patienten kostenlos behandelt und es wurde mit der Reparatur undichter Dächer im Hospital begonnen.

Zusammenfassend kann man folgendes sagen: In den 3 ½ Jahren der Partnerschaft mit San Pedro hat sich dort einiges verändert und vieles ist in Bewegung gekommen. Das Elend konnte an einigen Stellen vermindert werden, Abhängigkeiten wurden verringert. Vor allem aber haben viele Campesinos und verlassene Mütter in der Stadt ein neues Selbstbewusstsein gewonnen. Sie entdecken sich immer mehr als Kinder Gottes, als Menschen mit einer unantastbaren Würde und mit unverletzlichen Rechten.

Wenn auch wir lernen genau hinzuhören, so werden wir Zeuge sein der Geburt einer neuen Kirche, die ihre Kraft aus den Wurzeln schöpft und immer wieder neue Triebe, Blätter und Blüten hervorbringen wird. Jesus ist gestorben, damit alle ein „Leben in Fülle“ haben werden. Diese Fülle des Lebens ist allen Menschen verheißen und zugesagt - auch uns. Wir erweisen uns dann als Kinder Gottes, indem wir anderen - besonders den Armen - Bruder und Schwester werden, in San Pedro wie in St. Georg.

Wir möchten allen danken, die die Arbeit in San Pedro bisher materiell, ideell und mit Gebeten unterstützt oder gar erst ermöglicht haben.

So schreibt Bischof Dammert in einem Brief an meine Frau und mich (u.a.): „Umso mehr findet all das meine höchste Anerkennung und Hochschätzung, was ihr zur pastoralen Arbeit in San Pedro beitragen könnt, ja in diesem Umfang erst ermöglicht. Ohne eure Partnerschaft, wäre ein solcher Neuanfang nicht möglich gewesen. Hoffentlich wird es eines Tages noch mehr solcher Partnerschaften in Cajamarca geben!“

Wir wollen nun in dieser Eucharistiefeier darum bitten und beten, dass Jesus der Christus für uns immer mehr zum Brot des Lebens wird - für uns als Gemeinde, als auch für jeden Einzelnen von uns.