Vom 27. bis 29. Oktober 2014 trafen sich im Vatikan Repräsentanten von Volksbewegungen* aus aller Welt. Es war das 1. Treffen solcher Art im Vatikan. Papst Franziskus hatte dazu eingeladen. Es kamen Männer und Frauen aus der Landlosenbewegung, aus den Elendsvierteln, Kleinbauern (Campesinos), Vertriebene,  u.v.a.

Organisiert wurde das Treffen vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden. Im Mittelpunkt standen in Absprache mit den Volksbewegungen die Themen „Land“ (Landbesitz, Ernährungssouveränität….), „Wohnraum“ (Elendsviertel, Vertreibung,…) und Arbeit (Kinderarbeit, informelle Beschäftigungen….).  Selbstverständlich ging es auch um die Ursachen von Hunger, Gewalt und der Zerstörung der Umwelt. Der Papst antwortete darauf in seiner  Ansprache am 28. Oktober. Er zeigt in klarer Sprache auf, wohin der weltweit herrschende Götzendienst führt.

*  “Volk“ bedeutet in Lateinamerika (und der Redeweise des Papstes) die Summe der von jeglicher Teilhabe ausgeschlossenen Menschen. Das Treffen der „movimientos populares“ war ein Treffen dieser Menschen bzw. deren gewählter Repräsentanten. Diese Volksbewegungen (oder auch Basisgruppen) bilden die Mehrheit nicht nur in ihren Ländern, sondern weltweit. Sie sind nicht das, was wir hierzulande unter „Zivilgesellschaft“ verstehen.

Die vom Konzil wiederentdeckte Aussage vom „Volk Gottes“ hat daher eine Bedeutung, die wir erst lernen müssen.

Die Kirche Jesu Christi bildet sich von diesen Rändern her. Gott offenbart sich im Schrei der Menschen nach Brot und Gerechtigkeit. Papst Franziskus greift dieses Evangelium wieder auf. Er will eine Kirche um der Armen willen.    (Willi Knecht)

Wir wollen, dass man eure Stimme hört.“

- Rede von Papst Franziskus auf dem Welttreffen der Volksbewegungen (28. 10. 2014) -

Vielen Dank, dass ihr, die ihr am eigenen Leib die Ungleichheit und die Ausgrenzung erleidet, unsere Einladung angenommen habt. Wir wollen zusammen über die großen sozialen Probleme sprechen, unter der die Welt von heute leidet.

Dieses Treffen der Volksbewegungen ist ein großes Zeichen. Ihr seid gekommen um vor Gott, der Kirche und allen Völkern eure Lebenswirklichkeit, die so oft verschwiegen wird, zu bezeugen. Die Armen erleiden nicht nur die Ungerechtigkeit, sondern sie kämpfen auch gegen sie!

Gebt euch nicht zufrieden mit leeren Versprechungen, Ausreden oder dem so tun als ob. Wartet auch nicht, die Hände in den Hosentaschen, auf die Hilfe der NGO`s oder auf Scheinlösungen, die oft nur dazu dienen, das Volk zu betäuben oder zu verdummen. Ihr dagegen spürt, dass die Armen nicht weiter warten wollen. Sie wollen selbst Protagonisten ihres Lebens sein, sie organisieren sich, lernen, arbeiten und gehen auf die Straße. Vor allem leben sie diese Solidarität, die so typisch unter den Armen ist und für alle, die leiden. Unsere Zivilisation scheint diese Solidarität vergessen zu haben oder sie will sie zumindest verdrängen.

Das Wort „Solidarität“ erscheint uns oft verdächtig, manchmal, so scheint mir, haben wir es sogar in ein Schimpfwort verwandelt. In Wirklichkeit bedeutet es viel mehr als einige sporadische Akte der Barmherzigkeit. Es bedeutet, zu denken und zu handeln in einer Option für die Gemeinschaft, in der alle ein Leben in Fülle haben - anstelle einer Gemeinschaft, in der einige Wenige auf Kosten der Vielen leben. Solidarität bedeutet auch gegen die strukturellen Ursachen der Armut zu kämpfen, gegen die Ungleichheit, die Arbeitslosigkeit und die Verneinung sozialer Grundrechte wie das Recht auf ein Stück Land und ein Dach über dem Kopf. Solidarität bedeutet, sich den zerstörerischen Wirkungen entgegenzustellen, die durch das „Imperium des Geldes“ verursacht werden: Die gewaltsamen Landvertreibungen, den Zwang, auswandern zu müssen, um zu überleben, die Drogen, der Krieg, die Gewalt und alle diese Wirklichkeiten, die viele von euch erleiden müssen. Wir sind aufgerufen, dies zu ändern. Die Solidarität, in diesem tiefen Sinn, bedeutet, die eigene Geschichte in die Hand zu nehmen. Und genau dies tun die Basisbewegungen.

Dieses Treffen folgt nicht irgendeiner Ideologie. Ihr arbeitet nicht mit Ideen, sondern auf der Basis einer Realität, wie ich sie gerade beschrieben habe. Ihr steht mit euren Füßen mitten im Dreck und packt mit euren Händen an, wo es nötig ist. Ihr riecht nach Bodenständigkeit, nach Volk, nach Kampf! Wir wollen, dass man eure Stimme hört, eure Stimme, auf die man ansonsten wenig hört. Vielleicht weil diese Stimme stört, vielleicht, weil euer Schrei nach Gerechtigkeit unbequem ist, vielleicht weil man Angst vor dem Wandel hat, den ihr fordert. Aber ohne euer Mitwirken, ohne wirklich an die Ränder zu gehen, in die Peripherie, werden alle guten Vorschläge und Projekte, die man so oft auf internationalen Konferenzen hört, nur im Reich der Ideen bleiben.

Man darf den Skandal der Armut nicht verschleiern, indem man Strategien entwickelt, die lediglich zum Ziel haben, die Armen zu besänftigen und die Armen in domestizierte und wehrlose Wesen zu verwandeln. Wie traurig ist es zu sehen, wenn unter dem Deckmantel der Nächstenliebe der Andere zum bloßen Objekt reduziert wird oder noch schlimmer, wenn sich dahinter nur geschäftliche Interessen oder persönliche Ambitionen verbergen. Wie schön ist es dagegen, wenn wir das Volk in Bewegung sehen, vor allem die Ärmsten und die Jugend. Nur so kann man den Hauch der Verheißung spüren, der den Wunsch nach einer besseren Welt zum Leben erweckt. Dieser Wind möge zu einem Sturm der Hoffnung werden. Das ist mein Wunsch.

Dieses Treffen ist die Antwort auf eine ganz konkrete Sehnsucht, auf etwas, was jeder Vater und jede Mutter für seine Kinder will. Die Erfüllung dieser Sehnsucht sollte für alle zu erreichen sein. Aber heute sehen wir mit Traurigkeit, dass dies für die Mehrheit der Menschen immer weniger erreichbar scheint: Land, Wohnung und Arbeit. Es ist seltsam, aber wenn ich davon spreche, schließen einige daraus, dass der Papst ein Kommunist sei.

Man versteht nicht, dass die Liebe zu den Armen das Zentrale des Evangeliums ist. Land, Wohnung und Arbeit, das wofür ihr kämpft, sind geheiligte Rechte. Dieses zu fordern, ist nicht etwas Seltsames, es ist die Soziallehre der Kirche. Ich werde nun etwas näher auf jeden dieser drei Punkte eingehen, denn ihr habt diese zum Thema eures Treffens ausgewählt.

Erstens: Landbesitz (Erde). Am Anfang erschuf Gott den Menschen als Hüter seines Werkes. Er hat ihm seine Schöpfung anvertraut, damit er sie kultiviere und beschütze. Ich sehe hier vor mir Dutzende von Kleinbauern (Campesinos), Männer und Frauen. Ich beglückwünsche euch, weil ihr die Erde beschützt und kultiviert und dies in Gemeinschaft tut. Mich beunruhigt sehr, dass so viele Brüder und Schwestern von ihrem Land vertrieben werden und ihre Heimat verlieren. Sie werden ihrer Wurzeln beraubt, nicht wegen Krieg oder Naturgewalten, sondern wegen Landraub, Entwaldung, Wasserraub und Vergiftung der Umwelt. Das sind einige der Übel, die den Menschen aus seiner natürlichen Umgebung vertreiben. Dieses schmerzhafte Auseinanderreißen ist nicht nur ein physisches, sondern ein existentielles und spirituelles Phänomen. Denn es besteht eine enge Beziehung zwischen der Erde und den Menschen. Das Zerreißen dieser Beziehung bringt die ländliche Gemeinschaft und ihre Lebensweise in große Bedrängnis und sogar in die Gefahr ihrer Auslöschung.

Die andere Dimension dieses schon globalen Prozesses ist der Hunger. Wenn die Preise für die Lebensmittel von Finanzspekulationen abhängig werden und Lebensmittel wie eine beliebige Ware betrachtet werden, dann leiden und sterben Millionen Menschen an Hunger. Andererseits werden Lebensmittel tonnenweise weggeworfen. Dies ist ein echter Skandal. Der Hunger ist kriminell. Das Recht auf ausreichende Ernährung ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Ich weiß, dass einige von euch eine Landreform fordern, um etwas von diesen Problemen lösen zu können. Deshalb möchte ich euch sagen – und hier zitiere ich eine Zusammenfassung der Soziallehre der Kirche: „Die Agrarreform ist nicht nur eine politische Notwendigkeit, sie ist eine moralische Pflicht“ (CIS, 300). Daher sage ich euch: Bitte kämpft weiterhin für die Würde der kleinbäuerlichen Familie, für Wasser, für ein Leben in Würde und dafür, dass alle Menschen Anteil haben an den Früchten unserer Erde!

Zweitens: Ein Dach Kopf über dem (Haus, Wohnraum). Ich sagte euch und ich wiederhole es: Ein Haus für jede Familie. Niemals dürfen wir vergessen, dass Jesus in einem Stall geboren wurde, denn es gab keinen Platz in einer Herberge. Seine Familie musste ihr Heim verlassen und nach Ägypten fliehen. Heute gibt es so viele Familien, die kein Zuhause haben, oder nie ein Zuhause hatten, oder die es aus verschiedenen Gründen verloren haben. Familie und ein Zuhause gehören zusammen. Das Haus wird zu einem Heim (Zuhause), wenn es Zusammenleben und Gemeinschaft ermöglicht.

Heute leben wir in riesengroßen Städten, die sich sehr modern, stolz und gar eitel geben. Städte, die unzählige Vergnügungen und Wohlstand für eine glückliche Minderheit bieten. Aber gleichzeitig verweigert man unzähligen unserer Schwestern und Brüder, sogar Kindern, ein Dach über dem Kopf und nennt sie eleganterweise „Personen auf der Straße“. Es ist merkwürdig, wie in einer Welt der Ungerechtigkeit die Euphemismen überhandnehmen. Man spricht nicht aus, was eigentlich Realität ist, sondern flieht in Euphemismen. Ein Mensch, ausgesondert und ausgestoßen, ein Mensch, der im Elend lebt und Hunger hat, ist eine „Person der Straße“. Klingt gut, oder? Vielleicht irre ich mich, aber allzu oft verbirgt sich hinter einem Euphemismus ein Verbrechen.

Wir leben in Städten, die Türme, Einkaufszentren bauen, usw. Aber sie kümmern sich nicht um die „Ränder“. Wie schmerzt es mich zu hören, dass sich niemand um die Elendsviertel kümmert, oder noch schlimmer, dass sie von Bulldozern plattgemacht werden, ohne sich zu kümmern, was dann mit den Menschen geschieht. Es sind Bilder wie aus einem Krieg. Und das geschieht heute.

Ihr wisst, dass viele in den Elendsvierteln, in denen viele von euch leben, noch Werte existieren, die in den reichen Zentren schon vergessen sind. Die Elendsviertel sind gesegnet mit einer reichen Volkskultur: Dort ist der öffentliche Raum nicht ein bloßer Durchgangsraum, sondern er ist die Erweiterung des eigenen Heims. Es ist ein Ort, wo die Nachbarschaft sich als Gemeinschaft erlebt. Wie schön sind die Städte, die das krankhafte Misstrauen überwinden, die unterschiedlichsten Lebensweisen integrieren und so zu einem Faktor menschlicher Entwicklung werden! Wie schön sind die Städte, die schon in ihrer architektonischen Planung öffentliche Räume vorsehen, die Kommunikation und Beziehung ermöglichen! Daher gilt: Weder Auslöschung noch Ausgrenzung, stattdessen städtische Integration. ….

Lasst uns weiter daran arbeiten, dass alle Familien ein Zuhause haben, dass alle Wohnviertel eine angemessene Infrastruktur haben (Abwasser, Strom, Asphalt, Schulen, Krankenstationen oder Erste-Hilfe-Zentren, Sportstätten) und alles, was Beziehungen und gemeinschaftliches Leben ermöglicht und fördert.

Drittens: Arbeit. Es gibt keine schlimmere materielle Armut, als die, nicht sein tägliches Brot verdienen zu können und der Würde der Arbeit beraubt zu werden. Jugendarbeitslosigkeit, informelle Beschäftigungen und fehlende Arbeitnehmerrechte sind nicht unvermeidlich. Dies ist so gewollt und das Ergebnis eines Wirtschaftssystems, in dem der Profit Vorrang hat vor Menschlichkeit und vor der Würde des Menschen. Das ist das Ergebnis einer Wegwerf-Kultur, die den Menschen selbst als Ware versteht, die man gebrauchen und danach wegwerfen kann.

Zum Phänomen der Ausbeutung und Unterdrückung kommt heute noch eine neue Dimension hinzu, eine Steigerung sozialer Ungerechtigkeit: Alle, die sich nicht integrieren können, die ausgeschlossen sind, sie werden einfach weggeworfen. Sie sind überflüssig, sie sind Abfall. Das ist eine Wegwerf-Kultur. Dazu möchte ich etwas hinzufügen, das ich nicht aufgeschrieben habe, aber das mir gerade einfällt. Dies alles geschieht, wenn im Zentrum der Wirtschaft nicht der Mensch steht, sondern Mammon, das Geld als Gott. Im Zentrum der gesamten Gesellschaft muss aber die menschliche Person stehen, das Ebenbild Gottes - geschaffen, um dem Universum einen Sinn zu geben. Wenn der Mensch zur Seite gedrängt und Mammon an seine Stelle gesetzt wird, dann kommt es zur Umkehr aller Werte.

Und um das noch anschaulicher zu machen, erinnere ich an eine Parabel, so um das Jahr 1200 herum. Ein jüdischer Rabbiner erklärte den Gläubigen die Geschichte vom Turmbau von Babel. Damals benötigte man, um den Turm zu bauen, viele Ziegeln. Es war sehr mühsam diese Ziegeln herzustellen. Man musste den Lehm zubereiten, Stroh herbeischaffen und mit dem Lehm vermischen, die Masse in Ziegelform bringen, trocknen und dann die Ziegel brennen. Und als diese getrocknet und abgekühlt waren, musste man sie den Turm hinauf schleppen, um den Turm weiterzubauen. Und wenn einmal ein Ziegel heruntergefallen ist, und so ein Ziegel war sehr wertvoll nach dessen mühsamer Herstellung, so war das fast eine nationale Katastrophe. Derjenige, der ihn fallen ließ, wurde hart bestraft, oder entlassen oder ich weiß nicht mehr, was sie mit ihm gemacht haben. Wenn aber ein Arbeiter vom Turm herunterstürzte, geschah nichts. Mit dieser Geschichte erklärte ein Rabbi im 12. Jh. diese schrecklichen Dinge, die dann geschehen, wenn der Mensch sich in den Dienst des Götzen Geld stellt.

Und im Hinblick auf das “Wegwerfen” müssen wir auch aufmerksam werden auf das, was in unserer Gesellschaft geschieht. Ich wiederhole, was ich schon in Evangelii Gaudium gesagt habe. Heute werden Kinder ausgegrenzt, weil in vielen Ländern die Geburtenrate sinkt oder weil Kinder keine ausreichende Ernährung erhalten oder weil man sie tötet, bevor sie geboren werden. Wegwerf-Kinder.

Auch alte Menschen werden entsorgt, weil sie, nun gut, sie zu nichts mehr nutze sind, nichts mehr produzieren. Weder Kinder noch Alte produzieren etwas. So kann man sie mit mehr oder weniger ausgeklügelten Systemen sich selbst überlassen. Und nun, da wir uns in dieser Krise befinden, müssen wir wieder für ein gewisses Gleichgewicht sorgen. Daher erleben wir nun einen dritten sehr schmerzhaften Prozess der Ausgrenzung, die Ausgrenzung der Jugendlichen. Millionen Jugendliche, ich will die Zahl nicht nennen, den ich kenne sie nicht genau und das was ich gelesen habe, scheint mir etwas übertrieben, aber Millionen Jugendliche sind ohne Arbeit, sie werden ausgeschlossen von der Arbeit.

In den europäischen Ländern, und diese Statistiken sind sehr deutlich, hier in Italien, sind über 40% der jungen Menschen ohne Arbeit. Ihr wisst schon, was 40% bedeuten, eine ganze Generation, eine ganze Generation “annullieren”, nur um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. In einem anderen europäischen Land sind es mehr als 50%, und im selben Land in dessen Süden sind es mehr als 60%. Das sind eindeutige Zahlen. Wegwerf-Kinder, Wegwerf-Alte, die nichts mehr produzieren. Wir opfern eine Generation von jungen Menschen, nur um ein System aufrecht zu erhalten und zu stabilisieren, in dessen Zentrum der Profit steht und nicht die menschliche Person.

Trotz dieser Wegwerf-Kultur, dieser Kultur von überflüssig gemachten Menschen, haben so viele von euch, die ihr von der Arbeit ausgeschlossen und überflüssig innerhalb dieses Systems seid, eure eigene Arbeit erfunden mit all den Dingen, die eigentlich zu nichts mehr zu gebrauchen waren. Aber ihr, mit eurer Kunstfertigkeit, die euch Gott geschenkt hat, mit eurer Zielstrebigkeit, mit eurer Solidarität, mit eurer Arbeit in Gemeinschaft, mit eurer solidarischen Wirtschaftsweise – ihr habt es geschafft! Und lasst es mich so sagen: Dies ist nicht nur Arbeit, das ist Poesie. Danke!

Jeder Arbeiter, sei er im System der gesetzlichen Lohnarbeit beschäftigt oder nicht, hat ein Recht auf eine würdige Entlohnung, auf soziale Sicherheit und Altersvorsorge. Unter euch gibt es Müllsammler, Müllverwerter, Straßenhändler, Schneider, Handwerker, Fischer, Bauern, Bauarbeiter, Minenarbeiter, kleine Unternehmer, Genossenschaftsangehörige aus unterschiedlichen Sparten und Arbeitende aus selbstorganisierten Werkstätten. Euch allen wird ein Arbeitsrecht verweigert und man verweigert euch auch die Möglichkeit zu gewerkschaftlichem Zusammenschluss. Ihr habt keine ausreichenden, festen Einkünfte. Heute möchte ich eurer Stimme meine Stimme hinzufügen und euch in eurem Kampf unterstützen.

Auf diesem Treffen habt ihr auch über Frieden und Ökologie gesprochen. Das ist logisch: Man kann kein Land besitzen, kein Dach über dem Kopf haben, keine Arbeit haben, wenn wir keinen Frieden haben und wenn wir den Planeten zerstören. Diese Themen sind so wichtig, dass die Völker und ihre Basisorganisationen sie diskutieren müssen. Diese Themen darf man nicht den politischen Führern überlassen. Alle Völker dieser Erde, alle Männer und Frauen guten Willens, alle zusammen müssen wir die Stimme erheben, um diese beiden Gaben Gottes zu verteidigen: Der Friede und die Natur, die Schwester und Mutter Erde, wie sie Franz von Assisi nennt.

Vor Kurzem habe ich gesagt, und ich wiederhole es, dass wir uns mitten im Dritten Weltkrieg befinden, aber auf Raten. Es gibt Wirtschaftssysteme, die Krieg führen müssen um überleben zu können. Daher produzieren und verkaufen sie Waffen. Damit sanieren sie die Bilanzen einer Wirtschaftsweise, die Menschenopfer darbringt, um ihren Götzen zu huldigen. Und sie denken nicht an die hungernden Kinder in den Flüchtlingslagern, sie denken nicht an die zwangsweise Umgesiedelten, nicht an die zerstörten Wohnungen und nicht an so viele Menschen, denen ein würdiges Leben verweigert wird. Wieviel Leid, wieviel Zerstörung, wieviel Schmerz! Heute liebe Brüder und Schwestern erhebt sich in allen Teilen dieser Erde, in allen Völkern, in jedem Herzen und in den Volksbewegungen, der Schrei nach Frieden: Nie wieder Krieg!

Ein Wirtschaftssystem, das sich um den Götzen Geld dreht, muss auch die Natur plündern. Es muss die Natur ausplündern, um den ihm innewohnenden unbegrenzten Konsum aufrecht erhalten zu können, von dem es lebt. Der Klimawandel, der Verlust biologischer Vielfalt und die Rodung der Wälder zeigen bereits ihre verheerenden Auswirkungen in den großen Naturkatastrophen, die wir erleben. Und Ihr seid diejenigen, die am stärksten darunter zu leiden haben, die einfachen Leute, die an den Küsten in elenden Hütten leben und die wirtschaftlich so verwundbar sind, dass sie bei einer Naturkatastrophe alles verlieren.

Brüder und Schwestern, die Schöpfung ist kein Eigentum, über das wir nach Lust und Laune verfügen können. Und schon gar nicht ist sie das Privateigentum einiger weniger. Die Schöpfung ist eine Gabe, ein Geschenk, ein wunderbares Geschenk, das Gott uns gegeben hat, damit wir es behüten und es immer mit Respekt und Dankbarkeit zum Wohle aller nutzen. Ihr wisst vielleicht, dass ich eine Enzyklika über Ökologie vorbereite: Ihr könnt sicher sein, dass eure Sorgen darin enthalten sein werden. Ich nutze diesen Moment, um euch zu danken für euren Brief, den mir die Mitglieder der Via Campesina, der Föderation der Müllsammler und viele andere Geschwister dazu übergeben haben.

Wir sprechen über Landbesitz, Arbeit und Dach über dem Kopf … wir sprechen über die Arbeit für Frieden und die Bewahrung der Natur … Aber warum schauen wir dann immer noch zu, wie menschenwürdige Arbeit beseitigt, so viele Familien aus ihren Häusern vertrieben, Campesinos ihrer Ländereien beraubt, Kriege geführt werden und die Natur misshandelt wird? Weil man in diesem System den Menschen, die menschliche Person, aus der Mitte gerückt und sie durch etwas anderes ersetzt hat. Weil man das Geld wie einen Gott kultisch verehrt. Weil man die Gleichgültigkeit globalisiert hat! Was interessiert mich, wie es anderen geht, wo ich doch zuerst mich selbst verteidigen muss? Die Welt hat Gott vergessen, unseren Vater. Sie ist wieder eine Waise geworden, weil sie Gott beiseitegeschoben hat.

Einige von euch haben es so ausgedrückt: Dieses System kann man nicht mehr ertragen. Wir müssen es ändern. Wir müssen die Würde des Menschen wieder ins Zentrum rücken und dann auf diesem Pfeiler die alternativen gesellschaftlichen Strukturen errichten, die wir brauchen. Wir brauchen dazu viel Mut, aber auch Intelligenz. Hartnäckig sein, aber ohne Fanatismus. Leidenschaftlich, aber ohne Gewalt. Und gemeinsam müssen wir uns den Konflikten stellen, ohne uns in ihnen zu verheddern und in der Absicht, die Spannungen zu lösen, um eine höhere Stufe von Einheit, Frieden und Gerechtigkeit zu erreichen. Wir Christen haben etwas sehr Schönes, eine „Gebrauchsanweisung“, ein revolutionäres Programm gewissermaßen. Ich rate euch sehr, es zu lesen.

Lest die Seligpreisungen im Kapitel 5 des Matthäusevangeliums und im Kapitel 6 des Lukasevangeliums, (vgl. Mt 5, 3 und Lk 6, 20) und lest den Abschnitt aus Kapitel 25 des Matthäusevangeliums.

Ich weiß, dass unter euch Menschen verschiedener Religionen, Funktionen, Ideen, Kulturen, Länder, Kontinente sind. Heute praktiziert ihr alle hier die Kultur der Begegnung, die so anders ist als Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Intoleranz, die wir so oft erleben. Unter den Ausgeschlossenen findet man diese Begegnung der Kulturen, wo das Gemeinsame das je Besondere nicht zunichtemacht. Deshalb gefällt mir auch so sehr das Bild des Polyeder, eine geometrische Figur mit vielen verschiedenen Gesichtern. Das Polyeder spiegelt das Zusammenspiel aller jeweiligen Besonderheiten, da sie in ihm ihre Originalität bewahren. Nichts wird aufgelöst, nichts wird zerstört, nichts wird beherrscht und alles wird integriert.

Heute sucht man auch nach einer Synthese zwischen dem Lokalen und dem Globalen. Ich weiß, dass ihr Tag für Tag daran arbeitet, ganz konkret in eurer nächsten Umgebung, eurem Stück Land, eurem Stadtviertel und eurem Arbeitsplatz. Ich lade euch auch ein, diese umfassendere Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren. Unsere Träume mögen aufsteigen und das Ganze umfassen! Daher scheint mir der Vorschlag wichtig, den einige von euch mir mitgeteilt haben. Diese Bewegungen, die Erfahrungen von Solidarität, die von unten her, aus den Tiefen des Planeten hervorwachsen und zusammenkommen, sollen besser koordiniert werden und sich auch in Zukunft treffen, so wie ihr es in diesen Tagen getan habt. Aber Achtung! Es ist nie gut, eine solche Bewegung in enge Strukturen einspannen zu wollen. Noch schlimmer wäre es, wenn die einen die anderen schlucken, lenken oder beherrschen wollten. Freie Bewegungen haben ihre eigene Dynamik. Aber ja doch, wir müssen versuchen, gemeinsam auf dem Weg zu sein. Wir sind in diesem Raum, der alten Synodenaula. Jetzt gibt es eine neue Aula. „Synode“ bedeutet genau das: “Gemeinsam auf dem Wege sein”. Möge dieser Ort ein Symbol für den Prozess sein, den ihr begonnen habt und voranbringen wollt.

Die Volksbewegungen bringen zum Ausdruck, wie dringend und notwendig es ist, unsere Demokratien lebendiger zu machen. Sie wird oft von unzähligen Faktoren in die Irre geführt. Es ist unmöglich sich für die Zukunft eine Gesellschaft vorzustellen, in der die große Mehrheit der Bevölkerung keine aktive, bestimmende Rolle spielt. Eine solch aktive Rolle geht weit über das hinaus, was die rein formale Demokratie bedeutet, wie wir sie erleben. Die Perspektive einer friedfertigen Welt und dauerhafter Gerechtigkeit verlangt von uns, jeden paternalistischen Assistentialismus zu überwinden und neue Formen der Teilhabe zu entwickeln, die die Volksbewegungen miteinschließt. Wenn wir diese Perspektive verfolgen, konstruktiv, ohne Groll, mit Liebe, können wir dazu beitragen, lokale, nationale und internationale Strukturen schaffen zu können, die dem Gemeinwohl dienen. Die Teilhabe der Volksbewegungen wird diesem Vorhaben den notwendigen moralischen Schub verleihen können!

Ich begleite euch auf diesem Weg von ganzem Herzen. Aus tiefstem Herzen lasst uns gemeinsam sagen: Keine Familie ohne Wohnung, kein Bauer ohne Land, kein Arbeitnehmer ohne Rechte, kein Mensch ohne die Würde, die die Arbeit bedeutet.

Liebe Schwestern und Brüder: Setzt euren Kampf fort. Damit tut ihr uns allen etwas Gutes. Er ist wie ein Segen für die Menschheit. Zur Erinnerung gebe ich euch ein Geschenk mit meinem Segen: Einige Rosenkränze, die Handwerker, Müllsammler und Arbeiter aus der Solidarwirtschaft in Lateinamerika hergestellt haben. 

Auf diesem Weg mit euch bete ich für euch. Ich bete mit euch und bitte Gott, unseren Vater, dass er euch begleite und segne, dass er euch mit seiner Liebe erfülle und er euch auf dem Weg begleite, indem er euch im Überfluss jene Kraft gebe, die uns aufrecht erhält. Diese Kraft ist die Hoffnung, die Hoffnung, die nicht trügt. Danke 

Übersetzung aus dem spanischen Original: Willi Knecht, Ulm, den 08.11.2014

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Erklärung zum Abschluss des weltweiten Treffens der Volksbewegungen             

Zum Abschluss des Welttreffens der Volksbewegungen wollen wir der Öffentlichkeit eine kurze Zusammenfassung dessen vorlegen, was in diesen drei historischen Tagen geschehen ist.

1. Inspiriert von Papst Franziskus und organisiert von der Päpstlichen Kommission “Justitia et Pax”, der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften sowie von verschiedenen Volksbewegungen aus der ganzen Welt sind wir, eine Delegation von mehr als hundert gesellschaftlichen Führungskräften aus allen Kontinenten, in Rom zusammengekommen, um die entscheidenden Probleme und Herausforderungen der Menschheitsfamilie (insbesondere gesellschaftliche Ausgrenzung, ungleiche Verteilung der Lebenschancen, Gewalt und Umweltkrise) aus der Perspektive der Armen und ihrer Organisationen zu diskutieren, und zwar vor allem orientiert an den drei Erfahrungsbereichen: Landbesitz, Arbeit und Wohnung.

2. Die Tagung verfolgte das Ziel, die Kultur der Begegnung praktisch zu erfahren dadurch, dass Genossinnen und Genossen, Brüder und Schwestern aus verschiedenen Kontinenten, Generationen, Berufen, Religionen, Ideen und Erfahrungen beteiligt waren. Nicht nur Vertreterinnen und Vertreter aus den drei genannten Erfahrungsbereichen nahmen an dem Treffen teil, sondern auch eine große Gruppe von Bischöfen, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Pastoral, von Intellektuellen und Akademikern, die ebenfalls wichtige Beiträge zum Treffen beisteuerten, aber stets die vorrangige Rolle der drei Erfahrungsbereiche und der Sozialen Bewegungen respektierten. Beim Treffen waren auch Spannungen spürbar, denen wir uns aber als Geschwister gemeinsam stellten.

3. In erster Linie wurden die strukturellen Ursachen von Ungleichheit und Ausgrenzung sowohl im Zusammenhang des globalen Systems als auch in ihren jeweiligen lokalen Ausdrucksformen analysiert, und zwar immer aus der Perspektive der Armen und der armen Völker, also aus der Sicht von Bauernfamilien, aus der Sicht von Arbeitenden in rechtlich ungesicherten Arbeitsverhältnissen wie aus der Sicht von Bewohnerinnen und Bewohnern von Armenvierteln (aus Dörfern, Favelas, Slums, Elendsviertel). Die erschreckenden Zahlen von Ungleichheit und Konzentration des Reichtums in den Händen einer Handvoll Milliardären haben wir uns angeschaut. Diskussionsteilnehmer und Referenten waren sich darin einig, dass die Wurzeln für die gesellschaftlichen und ökologischen Missstände im ungerechten, räuberischen Charakter des kapitalistischen Systems zu finden sind, weil es den Profit für wichtiger hält als den Menschen. Die erste Geige in dieser Symphonie der Zerstörung spielt die enorme Macht der multinationalen Konzerne, die alles privatisieren und verschlingen wollen – das Denken, die Dienstleistungen und die Waren.

4. In den Arbeitsgruppen haben wir uns darauf geeinigt, dass das uneingeschränkte, dauerhafte, sichere und ganzheitliche Recht auf Landbesitz, Arbeitsplatz und Wohnung die Menschenwürde ausmacht und zu den unveräußerlichen Menschenrechten gehört, die respektiert und garantiert werden müssen. Wohnung und Nachbarschaft sind unverletzliche Größen, dürfen von Unternehmen und Staaten nicht angetastet werden; das Land gehört als gemeinschaftliches Gut allen, die es bearbeiten, so dass Landraub unmöglich gemacht wird; ein menschenwürdiger Arbeitsplatz ist die strukturelle Bedingung für ein Lebensprojekt – das waren einige der gemeinsam erhobenen Forderungen.

5. Wir haben uns auch dem Problem von Gewalt und Krieg gestellt, einem totalen Krieg bzw. – wie Franziskus sagt – einem dritten Weltkrieg in Raten. Ohne dabei den globalen Charakter dieser Probleme aus den Augen zu verlieren, haben wir besonders intensiv die Lage im Nahen Osten behandelt, vor allem die Aggression gegen das palästinensische und kurdische Volk. Die Gewalt, die von den Mafias des Narco-Terrorismus, des Waffenhandels und des Menschenhandels entfesselt wird, war ebenfalls Gegenstand einer tiefgreifenden Debatte. Zwangsumsiedlungen, die von der Gewalt, vom Agrobusiness, von dem die Umwelt vergiftenden Minenabbau und von allen Formen des Rohstoff-Abbaus (Extraktivismus) hervorgerufen werden, sowie die Repression, der Bauernfamilien, Völker indigener und afrikanischer Abstammung ausgesetzt sind, waren in allen Arbeitsgruppen präsent ebenso wie das gravierende Problem der Staatsstreiche in Honduras und Paraguay und die Politik der Großmächte mit ihren Interventionen in den ärmsten Länder.

6. Die Umweltthematik war Gegenstand eines reichhaltigen Austauschs zwischen der Sichtweise von Akademikern und einfachen Leuten. Wir haben die neuesten Informationen über Umweltverschmutzung und Klimawandel bekommen, die Vorhersagen über künftige Naturkatastrophen kennengelernt und wissenschaftliche Belege dafür erhalten, dass ein unersättliches Konsumstreben und eine von den wirtschaftlich Mächtigen betriebene verantwortungslose industrielle Produktionsweise die herannahende Umweltkatastrophe erklärt. Wir müssen die Verwerfungs-Kultur bekämpfen. Selbst wenn sie strukturelle Ursachen hat, müssen wir auch von unten her eine Veränderung in den Gewohnheiten und Verhaltensweisen unserer Leute bewirken, indem wir dem Handel in der Solidarwirtschaft den Vorrang geben und wieder verwenden, was dieses System zum Abfall macht.

7. Einmal mehr haben wir erkannt, dass Krieg und Gewalt, die Verschärfung ethnischer Konflikte und der Gebrauch von Religion zur Legitimation von Gewalt ebenso wie Abholzung, Klimawandel und Verlust der Artenvielfalt hauptsächlich vom unerbittlichen Profitstreben vorangetrieben werden und vom kriminellen Willen, sich die ärmsten Völker zu unterwerfen, um ihre natürlichen und menschlichen Ressourcen zu plündern. Wir sind davon überzeugt, dass Soziale Bewegungen und Kirche gemeinsam handeln müssen, um diesen wirklichen Genozid an Völkern und Erde zu stoppen.

8. Eine eigene Aufmerksamkeit verdient namentlich die Situation der Frauen, weil sie durch dieses System besonders geschlagen sind. Wir erkennen an, dass ihre Lage uns dringlich abverlangt, uns überzeugt und entschieden zu engagieren für die historisch anstehenden, berechtigten Reklamationen all unserer Gefährtinnen, die inspirierend und emanzipierend wirken können für Konflikte, Prozesse und Lebensweisen. Wir fordern auch ein Ende der Stigmatisierung, der Vernachlässigung und Verwerfung von Kindern und Jugendlichen, vor allem jener, die arm, afrikanischer Abstammung bzw. Migranten sind. Wenn die Kinder keine Kindheit mehr haben, die Jugendlichen kein Lebensprojekt, gibt es für die Erde keine Zukunft.

9. Wir gefallen uns nicht im Selbstmitleid und im Klagelied über all diese zerstörerischen Realitäten, wir erheben vielmehr als Soziale Bewegungen, vor allem als die bei diesem Treffen Versammelten, den Anspruch, dass wir Ausgegrenzten, wir Unterdrückten, wir nicht resignierten, sondern organisierten Armen uns mit all unseren Kräften der chaotischen Situation stellen können und müssen, in die uns dieses System gebracht hat. In diesem Sinne haben wir unzählige Beispiele von Arbeit, Organisation und Einsatz gehört, durch die in aller Welt Millionen menschenwürdige Arbeitsplätze in der Solidarwirtschaft geschaffen, Millionen Hektar Land für die bäuerliche Landwirtschaft zurückerobert und Millionen Wohnungen bzw. Siedlungen gebaut, organisiert, verbessert bzw. beschützt wurden. Dass die kleinen Leute, die Schichten des einfachen Volkes wieder eine aktive Rolle in den Demokratien spielen, die von der Wirtschaft in Geiselhaft genommen wurden bzw. nur noch als Plutokratie funktionieren, ist für die Transformationsprozesse, die notwendig sind, unverzichtbar.

10. Im Hinblick auf den besonderen Kontext dieser Begegnung und den unschätzbaren Beitrag der katholischen Kirche, die unter der Leitung von Papst Franziskus dieses Treffen erst ermöglichte, haben wir auch darüber nachgedacht, welch wesentlichen Beitrag die Soziallehre der Kirche und das Denken ihres Hirten zum Einsatz für soziale Gerechtigkeit geleistet haben. Unser wichtigstes Arbeitsmaterial dafür war das Schreiben Evangelii Gaudium, das wir diskutiert haben, um zu ethischen Leitlinien für das Leben von Individuen, Gruppen und Gesellschaft zurückzufinden. Wir wollen auch hervorheben, dass viele katholische Priester und Bischöfe an der ganzen Versammlung teilgenommen und mitgearbeitet haben. Durch sie waren all jene Laienmitarbeiter und Ordensleute persönlich vertreten, die sich an der Seite der Sozialen Bewegungen engagieren und von denen wir glauben, dass sie in ihrer wichtigen Arbeit stärker unterstützt werden sollten.

11. Wir alle, Frauen und Männer, viele von uns Katholiken, konnten an einer Messfeier im Petersdom teilnehmen, die einer unserer Gastgeber, Kardinal Peter Turkson, zelebriert hat. Dabei haben wir drei Symbole für unsere Sehnsucht, für unsere Misere und für unsere Konflikte als Opfergaben präsentiert: einen Karren der Müllsammler, die Früchte der Arbeit einer Bauernfamilie und das Modell einer typischen Hütte aus einem Armenviertel. Viele Bischöfe aus allen Kontinenten waren dabei.

12. In dieser Atmosphäre von leidenschaftlicher Debatte und interkultureller Geschwisterlichkeit hatten wir die Gelegenheit, einen historischen Moment zu erleben, der unvergesslich bleiben wird: Papst Franziskus nahm an unserer Begegnung teil und fasste in seiner Ansprache unsere reale Lage, unsere Beschwerden und unsere Ideen weitgehend zusammen. Seine eindeutigen, überzeugenden Worte lassen keine zweideutigen Interpretationen zu. Er bekräftigt, dass die Sorge um die Armen das Herzstück des Evangeliums ausmacht. Sein brüderlicher, geduldiger und warmherziger Umgang mit allen sowie mit jeder einzelnen und jedem einzelnen von uns, vor allem mit den Verfolgten, stimmt mit seinen Worten überein und bringt zum Ausdruck, dass er solidarisch ist mit unserem politischen Einsatz, der so oft voreingenommen oder despektierlich behandelt, sogar verfolgt, unterdrückt oder kriminalisiert wird.

13. Ein weiterer Höhepunkt war die Teilnahme unseres Bruders Evo Morales, des Präsidenten der Weltversammlung der indigenen Völker. Er hat in seiner Eigenschaft als führendes Mitglied einer Sozialen Bewegung teilgenommen und uns einen Vortrag gehalten, der einerseits das kapitalistische System kritisierte und andererseits darlegte, was wir Ausgeschlossenen im Hinblick auf Landbesitz, Arbeit, Wohnen, Frieden und Umwelt erreichen können, wenn wir uns organisieren und Zugang zu Machtpositionen gewinnen, allerdings zu einer Macht, die sich als Dienst und nicht als Privileg versteht. Wir waren sehr bewegt, als er Franziskus umarmte. Das wird uns für immer im Gedächtnis bleiben.

14. Zwei Dinge nehmen wir als Ergebnisse unseres Treffens direkt mit nach Hause:
Erstens den “Brief der Ausgeschlossenen an die Ausgeschlossenen”, um darüber mit den Gruppen an der Basis unserer Arbeitsbereiche und Basisbewegungen zu arbeiten. Diesen Brief wollen wir zusammen mit der Ansprache des Papstes und den Tagungsprotokollen an möglichst viele Menschen verteilen.
Und zweitens den Vorschlag, einen ständigen Gesprächskontakt zwischen Sozialen Bewegungen und Kirche aufzubauen.

15. Zusammen mit dieser kurzen Erklärung bitten wir insbesondere alle in den Medien arbeitenden Frauen und Männer, uns dabei behilflich zu sein, die Ansprache von Papst Franziskus ungekürzt zu verbreiten, weil sie – wie wir bereits sagten – unsere Erfahrungen, Überlegungen und Wünsche im Großen und Ganzen zusammenfasst.

Unser Tagungsmotto: Landbesitz, Dach über dem Kopf und Arbeit (“tierra – techo – trabajo”) sind heilige Rechte! wollen wir immer wieder laut mit den folgenden Forderungen vertreten: Keine Arbeitenden ohne Rechte! Keine Familie ohne Wohnung! Keine Bauernfamilie ohne Land! Kein Volk ohne Territorium! Los gehts! Die Armen organisieren sich und kämpfen für eine humane Alternative zur ausschließenden Globalisierung! Lang lebe Papst Franziskus und seine arme Kirche für die Armen!  (Quelle)

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Kommentare aus Lateinamerika: 

06.11.2014: Papst Franziskus – kommunistisch? „Ich bitte Sie“, korrigierte der Kanzler der Päpstlichen Akademie für Wissenschaften, Bischof Marcelo Sanchez Sorondo, einige Medien, die dies verbreitet haben. „Der Papst hat selbst gesagt, er werde beschuldigt, kommunistisch zu sein, hat aber hinzugefügt, in Wirklichkeit seien es die Kommunisten, die dem Evangelium folgen…“, sagte er. Grund für die Aufregung ist ein Welttreffen der Volksbewegungen zu dem der Papst in den Vatikan eingeladen hatte. „Keine Familie ohne Dach überm Kopf! Kein Bauer ohne Land! Kein Arbeiter ohne Rechte! Kein Mensch ohne die Würde, die das Arbeiten verleiht!“, hatte Franziskus dort in seiner Rede gesagt. Was ihm den Vorwurf einbrachte, Kommunist zu sein.

Ausgerichtet wurde das dreitägige Treffen Ende Oktober vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden sowie von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Die VertreterInnen der Volksbewegungen - 150 Frauen und Männer – kamen aus 80 Ländern, die meisten aus Lateinamerika. Darunter auch der Sprecher der Bewegung der Landlosen Brasiliens (Movimento Sem Terra MST, Via Campesina), Joao Pedro Stedile und Evo Morales, der erste indigene und linksgerichtete Präsident Boliviens.

Papst Franziskus prangerte in seiner Ansprache Armut, die ungerechte Verteilung des Reichtums und ein Wirtschaftssystem an, das „zu seinem Überleben Kriege führt“. Die Herrschaft des Geldes habe dazu geführt, dass die Reichtümer der Erde heute in den Händen weniger konzentriert seien, so der Papst.

Die Arbeit der Volksbewegungen sei „ein Segen für die Menschheit“, sagte Franziskus. Er ermutigte die Basisorganisationen, sich gegen soziale Ungerechtigkeit aufzulehnen und die strukturellen Ursachen der weltweiten Armut nicht einfach hinzunehmen. „Macht weiter mit eurem Kampf, damit tut ihr allen Gutes“, appellierte er an die Bewegungen.

Franziskus warnte aber auch vor ideologischen Irrwegen und rief dazu auf, sich nicht von „heuchlerischen“ Initiativen blenden zu lassen, die den Armen Hilfe nur vorgaukelten, sie aber in Wirklichkeit lediglich ruhigstellen sollten. Oft versteckten sich hinter Maßnahmen gegen die Armut bloß egoistische Interessen. Die Ausgebeuteten und Betrogenen dürften nicht einfach passiv auf Hilfe von außen warten, etwa von Nichtregierungsorganisationen. Sie müssten selbst Gestalter ihres Lebens sein, sich organisieren und solidarisch für die Verbesserung ihrer Lebensumstände kämpfen, weil der Rest der Gesellschaft sie häufig vergesse.

Bei einer Privataudienz sagte der Papst zu Boliviens Präsidenten Evo Morales über die Reaktionen auf seine Rede: „Land, Arbeit, ein eigenes Heim - seltsam, wenn ich darüber spreche, ist der Papst für manche ein Kommunist“.

»Durchleuchten der Realität«
So zeigte das vom Vatikan organisierte Welttreffen der Volksbewegungen eine für manche erstaunlich große Gemeinsamkeit von Positionen zwischen den Bewegungen und dem Papst.

Begonnen hatte das Treffen mit dem »Durchleuchten der Realität«, wie es genannt wurde. Und das nicht mit dem Ziel, sich in eine finale Resignation hinein zu steigern, sondern um gemeinsam Lösungen zu finden.

Land, Wohnung und Arbeit
Sie deckten sich inhaltlich weitgehend mit den in der Rede des Papstes aufgezählten Punkten, gingen aber mehr auf den Verursacher von Hunger und Elend in der Welt ein, das kapitalistische Weltsystem.

Aber auch der Papst nannte die Konzerne und ihre verheerende Politik beim Namen. Als die drei Grundbedürfnisse, die allen Menschen gemeinsam sind und die den Armen von Seiten der Weltkonzerne verweigert werden, nannte er: Land, Wohnung und Arbeit.

Land: Die Bauern benötigen den Boden, um Nahrung herzustellen und die Menschen brauchen Nahrung. Aber Bauern, besonders die kleinbäuerlichen und genossenschaftlichen Betriebe, sorgen auch für den Schutz der Erde - durch den Erhalt des Waldes und die Regeneration des Ackerbodens. Dagegen steht die weltweite Agrarindustrie. Industriemäßig werden gewinnträchtige Monokulturen angebaut, nachdem die Bauern von ihrem Grund vertrieben worden sind und die Erde wird vergiftet, die Natur stirbt. Durch gentechnisch verändertes Saatgut und giftige Spritzmittel wird die biologische Vielfalt zerstört.

Nahrung wird zum großen Geschäft einiger weniger Konzerne. Hunger breitet sich aus, besonders in den Ländern des Südens. Wörtlich sagte er: „Wenn die Finanzspekulation den Preis der Nahrungsmittel macht, weil sie wie eine jede andere Ware behandelt werden, dann leiden und sterben Millionen von Menschen an Hunger. Auf der anderen Seite werden Lebensmittel tonnenweise weggeworfen. Das ist ein echter Skandal. Hunger ist eine kriminelle Handlung, Lebensmittel sind ein unveräußerliches Recht.

Der globale Klimawandel, auch angetrieben durch die Zerstörung von großen Waldflächen, lässt der Menschheit nur noch kurze Zeit zum Umschwenken. Aber dieses Umschwenken wird nicht von den Kapitalgesellschaften ausgehen, denn dies steht in scharfem Widerspruch zu ihrem unmittelbaren Ziel, dem Profit.

Wohnung: Eine Familie - ein Dach über dem Kopf. In nur wenigen Ländern ist dies gewährleistet. Höhnisch werden Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben als „die ohne festen Wohnsitz“ bezeichnet. Als sei es deren freie Entscheidung, auf der Straße zu leben! Und wie sehen die heutigen Städte aus, besonders im Süden? Armensiedlungen und Slums im Schatten von riesigen Hochhaus-Bauten, in denen Banken oder Weltkonzerne sitzen, die von der Spekulation mit genau den Immobilien leben, die dringend von Menschen als Wohnungen benötigt werden. Gebäude, in denen das große Geschäft gemacht wird. Und am Rand der Städte die Slums, wo die Ärmsten leben. Noch nicht einmal da lässt man sie in Ruhe! Immer öfter werden ihre Siedlungen von Baggern niedergewalzt und die Menschen wohin auch immer gejagt. Weil es die Klasse der Besitzenden stört, dass Armut sichtbar wird - Armut, die sie selber erzeugt haben. Oder aber sie rechnen sich noch größere Gewinne durch die Bebauung dieser Slum-Flächen aus.

Arbeit: Prekäre Arbeitsverhältnisse werden immer mehr zum „Normalfall“, auch in den Ländern des Nordes, während in den Arbeitsverhältnissen im Süden mehrheitlich moderne Sklaverei herrscht. Nicht nur alte Menschen und Kinder werden in dieser Welt wie Abfall behandelt, weil sie nicht mehr oder noch nicht produzieren, sondern auch immer mehr Jugendliche bleiben ohne Ausbildung und Arbeit - ohne Perspektive für ihr Leben. Auch wird es im neoliberalen Kapitalismus immer schwerer, Forderungen von Beschäftigten durchzusetzen. Gewerkschaften werden bekämpft, die Arbeitslosigkeit steigt wie nie.

".. der Ruf nach Frieden: Nie wieder Krieg!"

Aber als schlimmsten Auswuchs der kapitalistischen Fehlentwicklung nannte der Papst den Krieg. Kein Grund, keine Rechtfertigung kann dafür herhalten, so alle Teilnehmer des Treffens, dass die Menschheit sich selber zerstört. Der Papst wörtlich: „Ich habe vorher gesagt, und ich wiederhole es, dass wir bereits teilweise in einem Dritten Weltkrieg leben. Hier gibt es ein Wirtschaftssysteme, das zum Überleben Krieg führen muss. Sie produzieren und verkaufen Waffen und opfern auf diese Weise den Menschen auf dem Götzen des Geldes und der Bilanz ihrer Volkswirtschaft. Sie denken nicht an die hungernden Kinder in den Flüchtlingslagern, sie denken nicht an die Zwangsumsiedlungen, sie denken nicht an die zerstörten Häuser, sie denken nicht an die vielen zerstörten Leben. Wie viel Leid, wie viel Zerstörung, wie viel Schmerzen! Heute, liebe Brüder und Schwestern, ist der Hebel in jedem Teil der Erde, in jedem Menschen, in jedem Herzen und der Volksbewegungen, der Ruf nach Frieden: Nie wieder Krieg!

Einheit, Einheit, Einheit

Die Möglichkeit eines Auswegs sahen die Vertreter der Bewegungen und Papst Franziskus im solidarischen Kampf der Vielen für die Rechte von Bauern, ArbeiterInnen und Armen. Ermutigend sei dabei die bunte Vielfalt der Ideen, wie schrittweise Erfolge durchgesetzt werden können. Und die Teilerfolge, die schon erzielt wurden. Dies aber ohne die Illusion, dass das gemeinsame Ziel schnell zu erreichen sei.

Es war ein Hinweis, den sich besonders die Linke in der Welt zu Herzen nehmen sollte: Gemeinsam gehen, ohne Arroganz gegenüber „den anderen“. Wenn dies nicht zum Grundsatz für alle wird, muss die Dynamik der vielen und unterschiedlichen Bewegungen erlahmen. Was können sie dann noch erreichen?

„Einheit, Einheit, Einheit!" Dies war auch die Aufforderung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales an die Volksbewegungen. „In der aktuellen historischen Phase, mit den zunehmend gewalttätigen Angriffen der globalen Wirtschaftsmächte auf die Umwelt, das Land, die Menschenrechte, die demokratische Beteiligung und ohne einer tief in der Gesellschaft verwurzelte politische Kraft“, so Morales, „ist die einzige Möglichkeit, um wirklich etwas zu verändern, die Einheit von Allen - Gewerkschaften, Organisationen, Bewegungen – sowohl im sozialen Kampf wie auch im Wahlkampf."

Vorwärts im Kampf um eine humane Alternative

Die gemeinsame Schlusserklärung aller Teilnehmer des Treffens bezeichnet das Treffen im Vatikan als „historisch“. In der Erklärung wird festgestellt, „dass die auf Ungleichheit und Profit setzende Natur des kapitalistischen Systems die Wurzel von sozialen und Umweltübeln“ ist. „Die Transnationalen Unternehmen mit ihrer enormen Macht, die alles verschlingen und privatisieren wollen – Waren, Dienstleistungen, Denken – spielen die erste Geige in dieser Symphonie der Zerstörung“.

Das Statement betont, jeder Mensch habe ein „unveräußerliches Recht auf vollen, stabilen, sicheren und umfassenden Zugang zu Land, Arbeit und Unterkunft: ... Keine Familie ohne Heim, kein Bauer ohne Boden, kein Arbeiter ohne Rechte, keine Person ohne die Würde der Arbeit!

Mit Blick auf Umweltschäden werden die Bewegungen aufgefordert, nicht nur „die strukturellen Gründe der Wegwerfkultur“ (letztes ist eine Formulierung des Papstes) zu bekämpfen, „sondern auch selbst einen Wechsel in den Einstellungen und der Handlungsweise unserer Völker von unten herbeizuführen“. Die Volksbewegungen werden aufgerufen, für diese Ziele „ohne Resignation und organisiert“ einzutreten.