Beitrag der Kirchen zur Entwicklungszusammenarbeit in BW - ein geistlicher Impuls*

Ich komme von den äußersten Rändern – der Diözese, aus Ulm. Mein kirchlicher, spiritueller Kontext ist allerdings die lateinamerikanische Kirche, genauer: diejenige Kirche, die in der Folge des Konzils auf der Seite der Armen für eine gerechtere Welt kämpft. 

Was kann der spezifisch christliche Beitrag der Kirchen sein? Das, was das Wesen des Christentums ausmacht! Nicht mehr und nicht weniger. Doch was heißt das? Jesus als den Christus bekennen, der uns zur Nachfolge ruft, zu einem Leben in Fülle, das uns allen verheißen ist. Der aufsteht gegen „die Sünde der Welt“ (Götzendienst, sich selbst und seine Bedürfnisse zum absoluten Maßstab machen usw.) und der deswegen konsequenterweise von den „Fürsten der Welt“ gekreuzigt wird. Die eine Kirche Jesu Christi ist die Gemeinschaft all derer, die diesen Jesus als Christus bekennt und ihm nachfolgt. Einige Zitate aus dem Süden und was damit gemeint sein könnte:

 „Während wir unsere Kräfte damit vergeuden, den äußeren Prunk für den Kult zu vermehren, leiden viele Kinder Gottes um uns herum an Hunger, Krankheiten und Elend. Der Prunk ist nicht vereinbar mit dem gleichzeitigen Elend des Volkes. Wir müssen verstehen, dass das Christentum den ganzen Menschen betrifft. Wir können das Leben der Frömmigkeit nicht trennen vom alltäglichen Leben. Jemand ist nicht dann ein guter Christ, wenn er zwar täglich die Sakramente empfängt, aber nicht für soziale Gerechtigkeit eintritt“. (1959)
„Der Mensch als Kind Gottes steht über der Wirtschaft. Diejenigen, die wirtschaftliche Prinzipien über die Würde des Menschen stellen, hören auf, Christen zu sein“. (1961)

„Einer Situation des Elends gegenüber müssen wir ein Zeugnis tatsächlicher Armut ablegen. Wir Kleriker müssen herausragen aufgrund einer Askese der Armut und wir müssen der Gesellschaft ein Beispiel für die Verwirklichung von großen Werken geben, ohne viel Geld dafür auszugeben. Wir wollen uns vergleichen mit staatlichen Stellen und Institutionen durch den äußeren Anschein von Büros, durch eine Multiplizierung der Versammlungen und Reisen, ohne deren tatsächliche Wichtigkeit zu evaluieren. Wir geben den Anschein, reich zu sein, aber in Wirklichkeit sind wir arm, wenn wir die bischöfliche Würde mit sozialem Prestige oder äußerem Pomp verwechseln. Denn wir sind Nachfolger von einigen armen Fischern aus Galiläa“ (1967 an die peruanische  Bischofskonferenz).

„Wir leben in einer Zeit der Euphorie wegen dem Konzil, denn wir spüren, dass die Beschlüsse des Konzils zu einer fruchtbaren Erneuerung führen werden. Das Evangelium hat auch heute noch seine Dringlichkeit und Aktualität wie vor 2000 Jahren. Denn es gab immer Ungerechtigkeiten und die Sünde, aber im Herzen der Menschen brannte auch immer die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt, der Durst nach Liebe, Verständnis und Vergebung. Es war kein Zufall, dass Gott Mensch wurde inmitten eines armen Volkes, in einer armen Frau, die sicher nichts Außergewöhnliches war und wie alle armen Frauen eines armen Volkes. Gott wurde geboren noch nicht einmal in einer Herberge, sondern in einem Stall, auf dem Lehmboden bzw. in einer Futterkrippe, arm unter Armen, verachtet. So ist er mitten unter uns in der Form eines geistigen Brotes, damit dieses Brot auch ein materielles Brot für alle werde und damit dieses Brot unter allen seinen Geschwistern gerecht verteilt werde.

Die Glieder des Leibes Christi sind speziell die, die leiden, die Verachteten, die Armen. Solange es sie gibt, leidet Jesus weiter. Solange wir nicht für das Reich Gottes eintreten, solange wir diese Wunden am Leib Christi nicht heilen, werden diese Wunden ewig ans Kreuz genagelt bleiben. Wenn wir nicht für mehr Gerechtigkeit in der Welt eintreten, verraten wir Christus und die dreißig Silberlinge als Lohn des Verrats sind heute unsere Gleichgültigkeit und die Suche nach einem bequemen Leben, während gleichzeitig zwei Drittel der Menschheit im Elend leben. Wenn wir die Welt analysieren, in der wir leben, so ist sie gekennzeichnet durch eine Trennung in Arme und Reiche. Der Reiche ist der, der mehr hat, als er zum Leben braucht. Die Armen sind die, die noch nicht einmal das Notwendigste zum Leben haben und deren fundamentalste Menschenrechte verletzt werden. Heute handelt es sich auch nicht mehr um Arme als Individuen, sondern um ganze Völker“ (1965).

Solche Worte mögen uns heutzutage wieder etwas vertrauter erscheinen – Gott sei Dank! Aber es sind keine Worte von Papst Franziskus, sondern von Bischof Dammert, Peru, aus den 60er Jahren. (Bischof José Dammert Bellido, Weibischof in Lima von 1958 - 1962 und Bischof von Cajamarca 1962 – 1992. Bischof Dammert war Erstunterzeichner des Katakombenpakts und danach der entscheidende Motor dieser Bewegung der „kleinen Bischöfe“, der sich weltweit 600 Bischöfe per Unterschrift verpflichtet fühlten.)

Dieser Bischof hat dies auch gelebt und darum hat man ihm geglaubt. Und aus einer Kirche auf der Seite der Mächtigen wurde eine Kirche der „Ohnmächtigen“ – und gerade so zu einem ernst zunehmenden Faktor zugunsten der Ausgegrenzten. Aus einer gotteslästerlich reichen Kirche wurde eine Kirche der Befreiung…..! Und wie sieht es mit der Standortbestimmung der deutschen Kirche im globalen Kontext aus? Woran hängt ihr Herz?

Ermutigende Zeichen bei uns:

1.  Spätestens seit Anfang der 80er Jahre führte das Bewusstsein, dass das Überleben der Menschheit als Ganzes in Frage gestellt ist, europaweit zu einer ökumenischen Bewegung: „Kairos - Die Zeichen der Zeit erkennen“. Der Glaube lehrt uns, die Zeichen der Zeit zu erkennen, in ihnen spricht Gott zu uns. Die Zeichen der Zeit müssen im Lichte des Evangeliums gedeutet werden. In der Ausstellung „Kirche der Befreiung“ der  Gemeinde St. Georg, Ulm  aus dem Jahre 1983 heißt es: „Die bestehende Weltordnung basiert auf dem Recht des Stärkeren und der absoluten Vorherrschaft des Kapitals. Der wirtschaftliche Kreislauf wird allein von den Interessen der reichen Länder bestimmt und führt zu mehr Reichtum unsererseits und zu immer mehr Elend weltweit.“
Wir scheinen vor einem Epochenwechsel globalen Ausmaßes zu stehen: Über Tausende von Jahren hinweg hat die Menschheit bestimmte Verhaltensregeln entwickelt, um die destruktiven Seiten des Menschen einigermaßen zu zähmen und die Gleichheit aller Menschen zu entwickeln (Religionen, Humanismus, Menschenwürde). Doch nun steht dies zur Disposition: „Immer mehr, jeder für sich und einer gegen alle, wer etwas hat, der hat Recht und wer nichts hat, hat bestenfalls Pech gehabt oder ist selbst schuld“, das wird zur Grundregel unseres Wirtschaftens und Zusammenlebens erklärt - ohne jede Alternative. Zurück in die Steinzeit im Namen des Fortschritts? Ihr Gott ist das Geld und die Gier nach immer mehr Besitz und Macht ist die weltweit herrschende Religion.

2.  Die Initiative „Prophetische Kirche“, hervorgegangen aus dem Deutschen Katholischen Missionsrat, veröffentlichte 2011 einen Aufruf, dem sich bundesweit viele Menschen anschlossen. „Wir erleben unsere Welt im krassen Widerspruch zu der Botschaft des Evangeliums: `Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben`. Wir erleben die Zerstörung unseres Planeten, wir sehen das Elend von einer Milliarde hungernder Menschen, die Hoffnungslosigkeit einer Jugend ohne Zukunftsperspektive. Dazu können wir als Christen/-innen und Kirchen nicht schweigen. Unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Die Zeit ist reif für ein grundlegendes Umdenken: `Kehrt um!` Der Tanz um das goldene Kalb wird zum Totentanz für Mensch und Natur“. (Aus: „Leben in Fülle für alle! – Aufruf für eine prophetische Kirche“)

3. Eine neue Initiative, in der auch das Ökumenische Netzwerk Württemberg (u.a.) stark vertreten ist, will den Kairos - Gedanken neu aufgreifen: Aus dem Aufruf: „Im ökumenisch-konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung haben die Kirchen die Überlebensfragen der Menschheit zu ihren eigenen gemacht. Die Überlebensfragen haben inzwischen deutlich an Dramatik zugenommen. Die Zeit ist reif, die Fragen des konziliaren Prozesses neu aufzugreifen.“ (Aus: Die Zukunft die wir meinen - Leben statt Zerstörung:  Zur Notwendigkeit einer Ökumenischen Versammlung)

Mit Papst Franziskus werden diese zentralen Themen des Evangeliums wieder mehr an Bedeutung gewinnen. Dies betrifft auch die Kirche selbst. Themen wie eine „Kirche der Armen“ bzw. eine (materiell) arme Kirche sind eine prophetische Herausforderung an unsere Diözese und an uns alle. Eine jesuanische Spiritualität , die uns in ausgegrenzten und leidenden Menschen den gekreuzigten Christus entdecken lässt, wird zu einem radikalen Umdenken führen und Welt und Kirche erneuern.
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Wir brauchen mehr Theologie/Spiritualität, um von daher die richtige Perspektive gewinnen zu können und seinen eigenen Standort zu überdenken (so auch einer der Erkenntnisse von Busan 2013, ÖRK). Denn Jesus der Christus identifiziert sich mit denen, die aus wirtschaftlichen Interessen um ihr Leben gebracht werden. Ihr Schrei nach Brot und nach Gerechtigkeit ist das Wort Gottes an uns heute.

  • Bedingungslose Option für die Armen (opción por…um der Armen willen) – gegen alles aufstehen, was den Menschen versklavt.
  • Prophetische Kirche: Anklage des Götzendienste - Missstände aufdecken – Verkündigung einer neuen Welt.
  • Wir sind nur glaubwürdig, wenn als arme Kirche der Armen, auf der Seite der Ohnmächtigen; nur wenn es uns als Kirche (Gemeinschaft) gelingt, aus unseren goldenen Käfig auszubrechen und selbst frei zu werden, werden wir als eine Kirche der Befreiung zu dem werden, zu dem uns Jesus der Christus berufen hat: zu Inseln des Lebens inmitten des Todes – zu einem Zeichen des Heils für alle Menschen.

Zum Abschluss das Zitat eines brasilianischen Bischofs. „Wir können mit der Messe, mit den Sakramenten und der Liturgie den Atheismus predigen, wenn wir uns nicht für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen. Die uns im Gotteshaus versammelt sehen, sehen sie uns auch Hand anlegen beim Kampf um die Gerechtigkeit, damit alle unsere Geschwister in Würde leben können?“ Bischof Fragoso wurde wie andere Frauen und Männer wegen ihrem Glauben eingesperrt und misshandelt – sie sind daher die wahren Zeugen des Todes und der Auferstehung Jesu Christi.  ______________________________________________________________________________

Beitrag der Kirchen zur Entwicklungszusammenarbeit in BW - eine abschließende Betrachtung (Schlusswort)

Stichworte: Dass es einen solchen Tag überhaupt gibt, ist sehr gut. Wir kamen zu Ergebnissen und Absprachen. Nicht jeder muss immer wieder alles neu erfinden. Gemeinsame Überlegungen, nicht jeder für sich.

  • Eigentlich wissen wir alles, will heißen, die Probleme sind bekannt. „Eigentlich“ müssten wir vieles anders machen. Doch scheint eine große weltweite Lähmung alles zu überdecken. Was sind die Ursachen für diese Lähmung?
  • Wie können wir uns als Kirchen Gehör verschaffen (nicht um der Kirchen willen, sondern um der Menschen und deren Überleben willen)? Mit klaren Worten und einer eindeutigen Option – oder wie z.B. mit dem aktuellen Sozialwort der Kirchen? In welchem wirtschaftlich-gesellschaftlich-politischen Kontext leben und reden wir als Kirchen?
  • Sind wir als Kirchen denn von der Gesellschaft und ihren herrschenden Werten noch zu unterscheiden? (Oder sollten wir uns ausgerechnet im Thema Sexualmoral unterscheiden, obwohl davon nichts in der Bibel steht)? Und wenn nicht – wer braucht uns denn noch? Es gäbe stattdessen sehr viele grundlegende Bereiche, wo wir uns unterscheiden müssen, wollen wir glaubhaft die Kirche Jesu Christi sein (siehe auch den Impuls von heute Morgen).
  • Das wäre z.B. eine radikale Abkehr von dem herrschenden Wachstumswahn. Stattdessen profitieren die Kirchen (in Deutschland) von dem Zwang, immer mehr produzieren zu müssen, auf Kosten von Mensch und Natur.
  • Eine Kirche (und Theologie), die – de facto – Geld und Finanzen als ihre eigentliche Grundlage sieht, betreibt Götzendienst. Sie ist dem gleichen Wahn verfallen, der zum Untergang führt. Wie glaubwürdig sind wir als Kirche?
  • Eine Kirche der Armen (wie ansatzweise in Teilen Lateinamerikas seit dem Konzil) hat gezeigt, dass durch eine konsequente Verkündigung der befreienden Botschaft und eine entsprechende Praxis die Kirche  (die Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Messias glauben) zu dem wird, zu dem sie berufen ist: zum Brot des Lebens für alle die hungern und dürsten, zum „Zeichen des Heils“ für alle Menschen.
  • Dafür müssen wir gemeinsam einstehen und handeln. Stattdessen herrschen immer noch parallele oder gar sich ausschließende Strukturen. Angesichts der großen Überlebensfragen der Menschheit und im Kampf für ein „Leben in Fülle“ für alle, interessiert es da noch, was denn nun typisch evangelisch oder typisch katholisch ist? Die wahre Spaltung der Kirchen besteht darin, dass die einen Christen auf Kosten der anderen Christen leben oder auch, dass einige Gruppierungen den Gott Mammon anbeten, während andere, die dagegen aufstehen, verfolgt werden.
  • Lassen wir uns diesen Tag als einen kleinen Schritt auf dem Weg betrachten, den uns Jesus gezeigt hat. Wir dürfen mit ihm gehen (ihm nachfolgen) in der Gewissheit, dass er uns nie im Stich lassen wird.

* Am 11. März 2014 kamen Vertreter der 4 Landeskirchen in Baden-Württemberg (Badische und Württembergische Landeskirche, die Erdiözese Freiburg und Diözese Rottenburg-S.) in Karlsruhe zusammen. Ich vertrat die Diözese Rottenburg-Stuttgart, zusammen mit dem Missio-Referenten und der Vorsitzenden des Diözesanausschusses "Eine Welt", und wurde gebeten einen geistlichen Impuls und die Abschlussworte zu gestalten. Im Januar 2013 fand das erste Strategietreffen in Stuttgart statt. Es entstand im Kontext der entwicklungspolitischen Leitlinien der neuen Landesregierung. Bei deren Ausarbeitung spielten die Kirchen eine herausragende Rolle.

Willi Knecht, 19. März 2014