50 Jahre Theologie der Befreiung - und heute?
Aus der Perspektive der ehemals Kolonisierten ist die Theologie der Befreiung eine Abkehr von der Theologie der abendländischen Christenheit, die im Kontext der „Sieger“ (Eroberer) formuliert und verkündet wurde.Sie ist eine Umkehr hin zu den biblischen Wurzeln und entstanden aus dem Glauben der Ausgegrenzten an einen befreienden Gott. Sie ist gewiss nicht ohne Irrtümer, und sie braucht Unterstützung - aber keine Belehrungen „ex catedra“. Wie kann man theologisch vorgeben, die Stimme der Armen zu hören (den Ruf Gottes), wenn die Armen, mit denen sich Jesus Christus identifiziert, selbst nicht als Subjekte in dieser Theologie vorkommen? Und wie christlich, von Jesus dem Christus her entwickelt, statt von abstrakten Begriffen einer altgriechischen Philosophie, ist eine solche Theologie?
Eine Kirche der Befreiung
Kirche der Befreiung – Das Evangelium von Jesus dem Christus mit den Augen der Indios sehen und erfahren
Dia-Reihe und Begleitheft; Fachstelle für Medienarbeit der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1986; Bilder und Text: Willi Knecht, Ulm; auf der Basis der Ausstellung "Kirche der Befreiung" in St. Georg, Ulm (Okt. 1983, überarbeitet für Diaschau,1984).
Einführung
Die Theologie der Befreiung ist nicht irgendeine Theologie oder theologische Richtung unter vielen anderen, am Schreibtisch erdacht. Vielmehr handelt es sich um eine Glaubensbewegung kontinentalen Ausmaßes, die für die Zukunft der Kirche von entscheidender Bedeutung sein wird. Ausgangspunkt dieser Bewegung ist das leidende Volk Gottes in der Geschichte und die Frohe Botschaft von seiner Befreiung. Es ist eine Bewegung zurück zu den Quellen, zu Bibel und zum Glauben der ersten Christen – um so den Weg in die Zukunft (wieder) zu finden.
Die Lichtbildreihe „Kirche der Befreiung“ will in aller Kürze in das Grundanliegen der Theologie der Befreiung einführen. Der Titel „Kirche der Befreiung“ deutet daraufhin, dass diese Glaubensbewegung aus dem geknechteten Volk Gottes heraus entstanden ist, aus einer Praxis der Befreiung. Es ist nämlich nicht die Theologie oder das Lehramt, die den Menschen das Heil bringen, sondern es ist das Evangelium von Jesus dem Christus. Dieses Evangelium wird in besonderer Weise von den unterdrückten Menschen Lateinamerikas als eine Botschaft der Befreiung verstanden, als Überwindung der "Sünde der Welt" (Habgier, Unterdrückung, Rassismus, koloniale Strukturen, etc.) und ihren Folgen.
Der synodale Weg - aus der Perspektive des "Südens"
Eine wirkliche Umkehr und damit auch eine Erneuerung der Kirche wird es ohne eine vertiefte Spiritualität bzw. eine Vertiefung des Glaubens an Jesus den Christus nicht geben. Eine jesuanisch geprägte Spiritualität hat aber nichts zu tun mit der bei uns üblichen Suche nach Spiritualität, wo es oft zuerst um meine Seele, „meinen“ Gott oder um die eigene Befindlichkeit geht. Eine biblisch-jesuanische und somit eine unterscheidend christliche Spiritualität besteht darin, im gekreuzigten Nächsten das Antlitz des gekreuzigten Christus zu erkennen und an der Seite der Gekreuzigten darum zu kämpfen, dass immer weniger Menschen den global agierenden Räuberbanden zum Opfer fallen.
Im „Goldenen Käfig“ und innerhalb einer Gesellschaft, deren Wohlstand teilweise immer noch oder gar immer intensiver auf der Ausbeutung ganzer Völker beruht, wird es schwer sein, eine solche Spiritualität zu entwickeln, aber es ist nicht unmöglich, weil es nicht unmöglich ist auszubrechen und aufzustehen!
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