WEIHNACHTEN – VON LAMPEDUSA AUS                

Weihnachtsbrief der Initiative „Prophetische Kirche“

Die Bilder haben sich in unserem Gedächtnis eingebrannt: Immer neue Wellen von Flüchtlingen, die völlig erschöpft an den Stränden von Lampedusa und Malta ankommen und auf die vielen Toten zurückschauen, die es nicht geschafft haben. Und mit den Bildern kommt ein Gefühl von Scham und Ohnmacht.  Nichts führt uns dramatischer vor Augen, wie sehr „die Zeit aus den Fugen“ ist. Immer mehr Menschen sehen in ihren Heimatländern keine Zukunft mehr für sich und ihre Kinder und suchen verzweifelt einen Ort zum Überleben. Es ist ein Armutszeugnis sondergleichen für die Menschheitsfamilie, dass mitten in der Fülle der Schöpfung Gottes immer mehr Menschen Leib und Leben riskieren müssen auf der Suche nach einer lebenswerten Zukunft an einem fernen, unbekannten Ort. Papst Franziskus hatte dafür nur ein Wort: Vergogna! Schande! Und was ist die Reaktion der Mächtigen?

Sie bauen um Europa eine Festung und diskutieren allenfalls über eine „neue Migrationspolitik“, um die uns wirtschaftlich Nützlichen hereinzulassen und den Rest draußen vor der Tür sich selbst zu überlassen. Sie meinen, im wachsenden Chaos, zu dem sie durch ihre Ausgrenzung maßgeblich beitragen, eine Insel der Seligen schaffen zu können und versuchen den eigenen Vorteil zu wahren. Während immer zerstörerische Wetterereignisse ganze Regionen unbewohnbar machen, besticht die Autoindustrie die Politik, um weiter Treibhausgas spuckende Luxuslimousinen produzieren zu dürfen. Renommierte Großbanken propagieren ethische Verhaltensregeln, vertreiben gleichzeitig Kleinbauern weltweit von ihrem Land und rauben ihnen damit ihre Lebensgrundlage und schämen sich nicht, mit Nahrungsmittelspekulation fette Profite auf Kosten der Hungrigen zu machen. Kurzum: Notfalls gehen sie ganz selbstverständlich zur Wahrung ihrer Interessen und  ihrer Vorherrschaft auch über Leichen.

Vielleicht versuchen wir angesichts dessen einfach einmal, das Weihnachtsevangelium mit den Augen der Flüchtlinge in Lampedusa zu lesen. Ihre Flucht kann auf die unterschiedlichsten Ursachen zurückgehen -  seien es Taifune, die ihre Häuser zerstörten, der Klimawandel, welcher ihre Maisfelder vertrocknen ließ, ausländische Flotten, die ihre Küstengewässer leer fischen, Investoren, die ihr Land rauben oder Diktatoren, die sie unterdrücken. Anderen wiederum ist das Trauma des Kindermordes von Bethlehem widerfahren, als Soldaten oder Rebellen in ihr Dorf einfielen, die Männer ermordeten – mit Waffen aus Deutschland – und die Frauen vergewaltigten und Kinder verschleppten. Jetzt sind die Überlebenden gezwungen, anderswo – und damit auch bei uns – nach neuen (Überlebens-) Perspektiven zu suchen.

Maria und Josef waren ebenfalls auf Herbergssuche. Den heutigen Flüchtlingen wird in unseren sogenannten christlichen Ländern noch nicht einmal ein Stall zur Verfügung gestellt. Zusammengepfercht zu werden in Massenlagern unter freiem Himmel, ist vielmehr oft ihr Los. Sie alle sind in ihrer Heimat wie auch auf der Flucht Opfer der Herodesse und Pilatusse unserer Zeit, die als Herrschende und deren Statthalter Menschenleben opfern, um ihre Macht und ihre Privilegien um jeden Preis zu verteidigen.Und wir Christen in Europa? Wie können wir angesichts dieser von uns mit verursachten Probleme unserer Verantwortung gerecht werden? Welche Lösungen haben wir ihnen denn anzubieten? Allzulange haben wir geglaubt, die Länder des Südens mit dem Export unseres Systems der (sozialen) Marktwirtschaft und ein wenig „Entwicklungshilfe“ auf den richtigen Weg bringen und damit alle Probleme lösen zu können. Nun aber müssen wir feststellen, dass genau dieses System bei uns selbst immer größere Probleme schafft und in den Ländern des Südens neben all dem Elend inzwischen sämtliche Lebensgrundlagen unwiderruflich zu zerstören droht.

Irgendetwas ist fundamental falsch gelaufen. Die Anhäufung von ungelösten Krisen ist Anzeichen einer tief sitzenden „Zu-Viel-Lisations-Krankheit“. Deshalb brauchen wir eine grundlegende Umkehr. Hier weisen uns die „Hirten von Bethlehem“ den Weg. Sie waren die ersten, die den Weg zu Jesus in der Krippe fanden. Und die drei Weisen aus der Fremde suchten nach ihrer Begegnung mit dem Messias nach neuen Wegen, um in ihre Heimat zurückkehren zu können. Wo sind die Wege, die allen eine Zukunft und ein Leben in Fülle ermöglichen können?

Eines scheint klar: Es braucht soziale Fantasie und es gibt keine Alternative zum: Lebt einfach! Haltet Maß! Steigt aus: aus dem Konsumrausch, aus der sinnlosen Ressourcen¬verschwendung, aus dem Wachstumswahn. „Wen bringt uns Weihnachten?“, und nicht „Was bringt uns Weihnachten?“ - so sollten wir das Weihnachtsevangelium lesen und von ihm ausgehend die Augen öffnen für einen neuen Leitstern. Jesus hat das Reich Gottes mit einer ganz unscheinbaren Solidargemeinschaft angefangen. Wer schart sich da um die Krippe? Zuerst verachtete Hirten, dann drei Fremde, die von sehr weit her kamen. Das war der Anfang einer neuen Weltordnung. Möge dieser Blick auf Weihnachten – von Lampedusa aus gesehen – unsere Kirchen künftig an ihre und unser aller prophetische Mission erinnern und Anstoß für ein entschiedenes Handeln sein.

Willi Knecht, Mitarbeiter Initiativkreis „Prophetische Kirche“, (eigene Bearbeitung des Briefentwurfs)