Im Blick auf die deutsche und weltweite Kirche möchte ich zehn Punkte nennen
(auf der Basis befreiender Erfahrungen inmitten der Armen)

1. Die Kirche besitzt aus sich selbst heraus die Kraft, ihre Strukturen, Methoden und ihre gesamte Art und Weise der Pastoral und der Verkündigung zu ändern, wenn sie die entsprechenden Prioritäten setzt - das Evangelium und die Bedürfnisse der Menschen, vorzugsweise der Armen. Innerhalb von 30 Jahren (seit dem Beginn des Konzils 1962) ist es z.B. in Cajamarca (exemplarisch für viele ähnliche Erfahrungen in Lateinamerika) gelungen, über 400 Jahre äußerster Entfremdung trotz heftigster Widerstände zu überwinden und einen Neuanfang zu wagen.
 
2. Das Beispiel Bambamarca zeigt, dass die Kirche die Kraft besitzt, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und zu einem wichtigen gesellschaftlichen Faktor zu werden - nicht im Sinne eines Bundes mit den Mächtigen, sondern als Anwalt und Stimme der Ohnmächtigen. Für die deutsche Kirche würde dies bedeuten, dass sie dann als ernstzunehmender Faktor in der Gesellschaft wahrgenommen werden wird, wenn sie sich auf die Verkündigung der „Guten Nachricht“, auf ihren spezifisch ureigenen Auftrag, besinnen würde - im Sinne einer Verkündigung in der Nachfolge Jesu, einem Verzicht auf alle staatlichen Privilegien und im entschiedenen Widerstand gegen die Götzen dieser Welt.
 
3. Angesichts zunehmender Schwierigkeiten der christlichen Verkündigung (Glaubenslehre, Vermittlung, Glaubwürdigkeit, Bibel- und Gottesverständnis, Glaubenserfahrungen etc.), einer Erosion fundamentaler Glaubensinhalte selbst bei kirchlich Aktiven und Bedeutungsschwund christlicher Kirchen, kann ein Blick und ein Hören auf die Zeugnisse gelebten Glaubens der privilegierten Adressaten der Verkündigung Jesu den reichen Kirchen helfen, den Auszug aus dem „Goldenen Käfig“ zu wagen. Die „Aussätzigen“ schreiben die Erfahrungen und die Geschichte der ersten Christen fort. Sie bilden daher für uns eine Brücke zum Zugang der Botschaft Jesu und dem Glauben der ersten Christen, zu dem wir „räumlich und zeitlich“ aus verschiedenen Gründen kaum noch einen Zugang haben (selbst wenn wir ihn suchten).
 
4. „Wir (die Campesinos, die Armen) sind Papst“:  Die Campesinos von Bambamarca verstehen sich als kath. Kirche,  als Teil der Weltkirche. Sie sind als Gemeinde und Gemeinschaft von Gemeinschaften das Volk Gottes. Dieses Volk wird von Christus selbst berufen und konstituiert. Jeder Getaufte sowie die Gemeinschaft der Gläubigen als Ganzes sind dazu berufen. Sie haben Anteil im vollen Sinne an allen „Ämtern Christi“: dem messianischen, priesterlichen und prophetischen Amt - Männer und Frauen in gleicher Weise. Sie haben das Wort Gottes gehört und verkünden die Frohe Botschaft vom Beginn eines neuen Lebens und dem Anbruch des Reiches Gottes. Im Volk Gottes, das von Gott berufen ist, gibt es zwar unterschiedliche Aufgaben und Charismen, aber keine wesensmäßigen Unterschiede zwischen den Gliedern des einen Leibes. Mit anderen Worten: Die Kirche von Bambamarca zeigt uns, was die Umsetzung des Konzils in die alltägliche Glaubens- und Gemeindepraxis bewirkt und dass diese Botschaft bei uns und in Rom noch nicht ganz angekommen ist. Alle Getauften sind im vollen Sinne verantwortlich für die Inhalte, Verkündigung und die gelebte Praxis des Glaubens in der Nachfolge Christi. Sie respektieren und wünschen sich einen Bischof von Rom, der sich mit ihnen an einen Tisch setzt, sie hört und dann im Namen aller spricht.
 
5. Die Erfahrung der Kirche von Cajamarca zeigt, dass Menschen, die sich von Gott berufen fühlen (und von der Gemeinschaft akzeptiert und vom Bischof bestätigt werden), ihr ganzes Leben in den Dienst der Verkündigung zu stellen, ein Segen für jede Gemeinschaft und Daher unverzichtbar sind. Als erster (!) Schritt wäre in diesem Sinne die Weihe von „viri probati“, verheirateter, im Glauben bewährter Männer, dringend erforderlich. Dies wurde bereits vor 40 Jahren diskutiert und ist theologisch akzeptiert. Selbst konservative Bischöfe und der jetzige Papst könnten dem „ohne Gesichtsverlust“ zustimmen – es sei denn, sie wären von einem unbiblischen bzw. vorbiblischen Priesterbild gefangen. Geschieht aber nichts, tragen sie - und alle, die aus Bequemlichkeit oder Angst dazu schweigen - die volle Verantwortung für die weitere geistige Verelendung in den Gemeinden und der Kirche insgesamt. Auch dies ist in der Kirche von Cajamarca zu beobachten.
 
6. Solange die Option für die Armen nicht strukturell (als „Dogma“) in der Kirche verankert ist, kann jeder Bischof (und Papst, Pfarrer …) nach Belieben die Arbeit seines Vorgängers zerstören oder auch nicht. Solange die befreienden Erfahrungen der Armen nicht genauso viel Gewicht haben, wie römische Erlasse oder oberhirtliche Verlautbarungen (es sei denn, diese Erlasse gingen von solchen Erfahrungen aus, wie u.a. bei Dammert oder in Medellín), solange wird es nicht zu einer Kirche kommen, wie sie im II. Vat. Konzil und dann vor allem in Medellín sich abzuzeichnen begann: eine Kirche der Armen als „Zeichen des Heils“ und als Alternative zu den Götzen dieser Welt. Wir sind aufgerufen, uns zusammen mit den „Hirten von Bethlehem“ auf den Weg zu machen, das Konzil als Wegemarke zu beachten und es weiter zu schreiben.
 
7. Es kann eine direkte Linie von den Erfahrungen der ersten Christen zu den Erfahrungen der Campesinos und den „Indios dieser Welt“ gezogen werden. Der Umweg über die europäische Theologie und europäische Art von Kirchesein - zumal im Kontext der Conquista und einer immer noch andauernden Weltherrschaft - erweist sich als Sackgasse. In der Praxis und den Erfahrungen der Diözese Cajamarca zeigen sich erstmals die Umrisse eines nichteuropäischen Christentums, ausgehend von den Rändern dieser Welt und von den Menschen, die unter die Räuber gefallen sind. Nach über 1.500 Jahren besteht nun die Chance, mit Hilfe der „Hirten von Bethlehem“ den Weg zu Jesus in der Krippe zu finden und ihn als den Messias zu erkennen.
 
8. Für deutsche Gemeinden und die deutsche Kirche bedeutet dieser Weg, auf Vieles zu verzichten. Doch bei genauerem Hinsehen und Ausprobieren wird man erfahren, dass es nur Ballast war, den man weggeworfen hat und nun frei ist, ohne Rücksicht auf Privilegien das Wort Gottes zu verkünden. Gelebte Solidarität, z.B. die Partnerschaft mit einer armen Gemeinde, erleichtert den Aufbruch. Sie macht Umkehr möglich bzw. sie ist der erste Schritt zur Umkehr. Eine Partnerschaft ist eine praktische und praktikable Option für die Armen und mit den Armen. Sie ist Kirchen bildend, weil sie Einheit (mit den Ausgegrenzten) stiftet. Gemeinsam auf dem Weg sein, Brotteilen und miteinander an dem Mahl teilnehmen dürfen, zu dem Jesus eingeladen hat, ist konstitutiv für das Volk Gottes, sie ist das sichtbare Zeichen einer sonst nur abstrakt gedachten (nicht wirklich erlebten) Weltkirche: einer Gemeinschaft, in der Arme und Reiche an einem Tisch sitzen und gemeinsam das Brot des Lebens essen. 
 
9. Als Gegenbegriff bzw. als notwendige Ergänzung zu der Rede vom „globalen Dorf“ müssen der Begriff und das Verständnis von einer „globalen Gemeinde“ Raum gewinnen. Die Kirche, will sie katholische Kirche sein, muss der herrschenden Praxis und dem eindimensionalen neoliberalen Verständnis von Globalisierung die Vision und die Praxis einer globalen Gemeinde entgegensetzen, die von den Armen ausgeht und in der nicht nur die Armen untereinander, sondern auch Reiche und Arme die Chance haben, das Brot zu teilen, also Gemeinschaft der Jünger Jesu zu werden. Den Partnergemeinden kommt dabei eine Pilotfunktion zu. Die Arbeit der Partnergruppen kann als exemplarisch für eine Kirche bezeichnet werden, die immer mehr zur „Welt - Kirche“ wird. In ihrer Arbeit, der gegenseitigen Unterstützung und im gemeinsamen Brot brechen wird zeichenhaft deutlich, was Kirche sein kann.
 
10. Wer soll den Reichen von Gott erzählen und sie von ihrer Angst befreien, wenn nicht die Armen, inmitten derer er Mensch wurde? Daher sind für Christen in den reichen Ländern der  Kontakt, der Dialog und eine Wegegemeinschaft mit den Armen lebensnotwendig. Es ist die Aufgabe und die Chance von europäischer Theologie und Kirche, mit ihren Mitteln und ihren immer noch beträchtlichen Möglichkeiten, die Campesinos auf die Bühne zu stellen und ins Rampenlicht zu rücken. Die am Rande stehen müssen in die Mitte gestellt werden - um der Armen und der Botschaft Jesu willen. Dies ist auch um der Institution und der europäischen Kirche selbst willen zu geschehen, quasi zu deren eigenen „Heil und Rettung“. Denn wie könnte sie die Menschwerdung Gottes inmitten der „Indios dieser Welt“ leugnen, ohne sich selbst aufzugeben?
 

Zum Hintergrund/Kontext
 
Das biblische Gleichnis vom Sämann ist bei den Campesinos sehr populär, ebenso das Bild von dem Weizenkorn, das sterben muss, damit daraus Nahrung und Leben für eine menschliche Gemeinschaft entstehen kann. Diese biblische Sprache gleicht der alltäglichen Sprache der Campesinos und der Wahrheitsgehalt dieser Bilder erweist sich in ihren alltäglichen Erfahrungen - sei es direkt in der Natur oder im Leben jedes einzelnen Menschen.
 
So ist in der Diözese Cajamarca und noch mehr in Bambamarca heute die Rede von einem Sämann sehr verbreitet, der eine frohe Botschaft gebracht hat und dessen Saat sowohl auf fruchtbaren als auch auf steinigen Boden gefallen ist. In einen Topf guter Erde (? - z.B. die griechische Philosophie) wurden Samenkörner gelegt. Sie wurden gehegt und gepflegt und aus den Samenkörnern wurden Pflanzen, die eine reiche Ernte verhießen. War der Topf anfangs notwendig, um die Erde und den Samen zu schützen, so erwies er sich bald als zu klein und drohte, die schnell wachsenden und blühenden Pflanzen am weiteren Wachstum zu hindern. Ein Umpflanzen in einen weit größeren und durchlässigen Topf oder am besten ein Einpflanzen in die freie und weite Erde, hätte das Wachstum der Pflanzen und das Reifen der Früchte ermöglicht. Stattdessen droht Gefahr, dass viele der noch jungen Pflanzen und Blüten verwelken, bevor sie überhaupt zur Reife gelangen konnten. Es fehlen ihnen Luft und Wasser wegen der Enge des Topfes. Einige Pflanzen aber werden überleben und noch widerstandsfähiger sein als zuvor - vielleicht gerade deswegen, weil sie die Kraft hatten, die harte Schale des Topfes zu zerbrechen und Wurzeln schlagen konnten in der Erde, die als Mutter aller Menschen diese nährt und sie wachsen und gedeihen lässt. Denn dafür wurde sie von Gott geschaffen. Wird der Topf aber zum Selbstzweck oder gar zum absoluten Maßstab, dann ist man aus einer Angst heraus, der Topf könnte Schaden nehmen, schnell bereit, die Pflanzen herauszureißen, um den Topf zu retten. Ist dieser Topf auch noch mit lieblichen Blumenmustern und allerlei Schnörkeln versehen, dann besteht die Gefahr, die gekünstelte Dekoration mit dem Inhalt zu verwechseln bzw. diesen als gefährliche Konkurrenz zu deuten und dann auch entsprechend zu behandeln. Die gegenwärtigen Ereignisse in der in der Diözese Cajamarca lassen den Schluss zu, dass die beschriebene Gefahr (auch global) eingetreten ist und der Glaube der Armen als Unkraut definiert wird, das herausgerissen und verbrannt werden muss.
 
Zur Bedeutung der Kirche von Cajamarca
 
Die Diözese Cajamarca unter der Leitung ihres Bischof Dammert besaß internationales Ansehen. Die Arbeit der Diözese Cajamarca wurde international bekannt, Werke aus Cajamarca u.a. in Deutschland übersetzt (z.B. Vamos Caminando). Die Sozialpastoral und die Kirche in Cajamarca gelten zusammen mit der in Recife (Helder Camara) und Riobamba (Leonidas Proaño) als Modell einer einheimischen Kirche auf der Seite der Armen. Der peruanische Kirchenhistoriker J. Klaiber bezeichnet die sozialpastorale Arbeit in der Diözese Cajamarca als das beste Beispiel in Peru für die Umsetzung der Beschlüsse und vor allem des Geistes des Zweiten Vatikanischen Konzils. CEHILA (Zentrum für lateinamerikanische Kirchengeschichte) wählte für eine neue Dokumentation (Nueva Patrística de América Latina) Bischof Dammert und die Diözese Cajamarca als Beispiel gebend für den ganzen Kontinent aus. Als charakteristisches Merkmal der Erneuerungen des Konzils gilt in der Interpretation der Campesinos die Entdeckung der Kirche als das (unterdrückte) Volk Gottes, das sich im Kontext von Geschichte und Gegenwart auf dem Weg zu einer integralen Erlösung und Befreiung befindet - begleitet und geleitet von Jesus dem Christus, der inmitten der Armen „zur Welt kam“, unter ihnen lebt, leidet und aufersteht.
 
Daher sind Aussagen des Nuntius in Peru (März 2005), die ja im Zusammenhang mit der Praxis sowohl von Bischof Dammert als auch von Bischof Simón zu sehen sind, von exemplarischer Bedeutung. Es geht schlicht und einfach darum, welche Bedeutung dem Konzil und den nachfolgenden und Weg weisenden Beschlüssen der lateinamerikanischen Kirche seitens der römischen Administration (seit 1978) noch beigemessen wird. Bereits 1979 kam es im Zusammenhang mit "Vamos Caminando" zu einer heftigen Konfrontation zwischen der Diözese Cajamarca (Dammert) und Kardinal Ratzinger. Gerade auch deswegen ist das Beispiel Bambamarca von aktueller Bedeutung. Der Nuntius in Peru (wohl in Stellvertretung) nimmt die Ergebnisse einer erneuerten Kirche als Folge des Konzils nicht nur nicht wahr, sondern er dämonisiert sie ohne sie wirklich zu kennen. Er bringt den „Zerfall“ der Kirche von Cajamarca unter Dammert direkt mit den Erneuerungen des Konzils in Zusammenhang, als direkte Folge des Konzils. Er stellt sich mit seinen Aussagen daher gegen das Konzil und feiert einen Bischof (Simón Piorno), der mit dem expliziten Auftrag (eigene Aussage von Bischof Simón) nach Cajamarca geschickt wurde, in der Kirche von Cajamarca die - vorkonziliare - Ordnung wieder herzustellen. Die „neuen Priester von Bambamarca“, im Auftrag des neuen Bischofs: „Wir müssen alles ausreißen, was von Dammert gesät wurde“.
 
Stand moderner Theologie ist aber, dass das Konzil die höchste Autorität der Kirche ist, es quasi dogmatischen Charakter hat (in seinen Grundanliegen und Grundaussagen, besonders die dogmatischen Konstitutionen „Gaudium et Spes“ und „Lumen Gentium“) - und dies gilt für jeden Bischof und auch für den Bischof von Rom. Es scheint aber, dass Kardinal Josef Ratzinger das II. Vatikanum nicht wirklich verstanden hat. Nun will und kann er als Papst den Restaurationsprozess der katholischen Kirche abschließen, um das Werk seines Vorgängers zu vollenden (wie er es gerade selbst gesagt hat, Interview am 20. 10. 2005). Er hat nun die Mittel, seine rein persönliche Interpretation des Konzils gegen alle seine theologischen Widersacher (Bischöfe und Theologen, besonders in Deutschland) durchzusetzen. Dazu fühlt er sich von seinem Vorgänger direkt unterstützt, quasi direkt vom Himmel aus.