Das Projekt „Nachhaltig predigen“ (www.nachhaltig-predigen.de)

Das ökumenische Projekt "Nachhaltig predigen" bietet seit 2005 ökumenische Predigtanregungen und Impulse, um Bibeltexte der Sonntage (Lese- und Perikopenordnung) in den globalen Zusammenhang nachhaltigen Lebens und Handelns einzuordnen. Seit 2011 existiert ein von allen Projektpartnern gemeinsam finanziertes Internetportal. An dem Projekt beteiligt sind 15 evangelische Landeskirchen und 9 katholische Diözesen, dazu die beiden Zürcher Kantonalkirchen und zwei Diözesen der Anglikanischen Kirche.

Beispiel: "Wider die Habgier" (Lk 12, 13-21) 

In unserer Diözese sind seit 2011 durchschnittlich 5-6 Autor*innen mit je einem Beitrag pro Jahr beteiligt. Koordiniert werden die Beiträge von der HA XI. Dort gibt es einen kleinen Haushaltsposten als Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt des Internetportals, eines Projektbüros und des angestellten Projektleiters.   

In vielen Bibelstellen sind Bezüge zu Nachhaltigkeit (Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung) zu erkennen. Unter "Predigtanregungen" kann man nachlesen, welche Bezüge andere Theologinnen und Theologen erkannt haben. Die sonntäglichen Bibelstellen werden von Theolog*innen danach hinterfragt, was sie mit "Nachhaltiger Entwicklung" zu tun haben. Auch Winfried Kretschmann findet dies gut: „Ich finde ´nachhaltig predigen´ gut, weil die Bewahrung der Schöpfung zum Grundauftrag Gottes an den Menschen gehört. Im Umgang mit ihr stehen wir in Verantwortung vor Gott und den Menschen – unseren Kindern und Enkeln, denen wir die Grundlagen guten Lebens nicht entziehen dürfen.“

Aber was heißt „Nachhaltigkeit“? Nahezu jedes Produkt wird heute als „nachhaltig“ vermarktet. Daher empfiehlt das Projektteam für jedes Lesejahr ein konkretes Motto, so für 2017/18 das Motto „Bedrohte Freiheit“. Damit ist u.a. gemeint, dass der systembedingte Raubbau an der Natur (industrielle Landwirtschaft, Extraktivismus, Klimakatastrophe u.v.m.) die Lebensgrundlagen für immer mehr Menschen zu zerstören droht. Immer mehr Wachstum, immer mehr Konsum – auf wessen Kosten?  Es geht hier vor allem um eine Veränderung unseres Verhaltens, unserer Werte und Grundeinstellungen. So halten wir es wohl z.B. für ein angeborenes Grundrecht, dass wir täglich etwa 100 Mal mehr an Ressourcen (Rohstoffe, Energie, Wasser, etc.) durchschnittlich verbrauchen als Menschen in Afrika. Unsere imperiale Lebensweise ist das Gegenteil von nachhaltig. Steckt vielleicht hinter dem Sprechen von „bedrohter Freiheit“ die Angst, unsere Privilegien zu verlieren? Die Frohe Botschaft ist voller Hinweise auf eine befreiende Alternative: Brot teilen, Teilhabe an den Gütern der Erde, ein Leben in Würde für alle Kinder Gottes – vor allem für diejenigen, denen man all dies vorenthält oder sie gar beraubt. 

Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Dezember 2018 zehn Handlungsempfehlungen zum Thema „Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag“ herausgegeben. Die erste der Handlungsempfehlungen bezieht sich auf die Verkündigung. Die Initiative "nachhaltig predigen" wird darin explizit als ein gutes Beispiel genannt. Dies bedeutet eine besondere Anerkennung dieses Projekts. Hier die Präambel und die erste Handlungsempfehlung:                        

Präambel: „Der Schöpfungsglaube ist Kernbestand christlicher Überlieferung. Unsere Verantwortung für die Schöpfung und die ganzheitliche Entwicklung des Menschen erwächst aus dem Glauben an den dreieinigen Gott, der die Welt geschaffen und uns anvertraut hat. … Wir Bischöfe laden alle Gläubigen ein, gemeinsam mit allen Menschen guten Willens praktische Verantwortung für Gottes Schöpfung in ihrer ganzen Fülle zu übernehmen. Der Klimawandel, der steigende Verbrauch erschöpfbarer Ressourcen, die Umweltverschmutzung und der Rückgang der Artenvielfalt führen uns mit aller Deutlichkeit die Notwendigkeit zu handeln vor Augen. Die Kirche verortet sich dabei insbesondere an der Seite der Armen, Schwachen und Benachteiligten. … Unsere Gesellschaft muss sich von Denk- und Handlungsweisen, die auf der Ausbeutung von Menschen, Mitgeschöpfen und natürlichen Ressourcen beruhen, verabschieden.“

Handlungsempfehlung: „Schöpfungsverantwortung ist eine wesentliche Dimension des kirchlichen Lebens auch in der Pastoral. Sie sollte deshalb noch bewusster zu einem Gegenstand kirchlicher Verkündigung und Katechese gemacht und ihr sollte regelmäßig ein Platz in der Feier der Gottesdienste eingeräumt werden. Dies kann sich zum Beispiel ausdrücken in Predigten, dem Fürbittgebet, der Feier des Weltgebetstages für die Schöpfung am 1. September oder bei der Feier von Sakramenten und Gottesdiensten. Papst Franziskus ermutigt uns zu einem geistlichen Leben in ökologischer Spiritualität; sie hat die Kraft, das persönliche geistliche wie das gemeinschaftliche kirchliche Leben zu prägen. Anregungen für die Verkündigung bietet das ökumenische Projekt „nachhaltig predigen“; abrufbar unter: www.nachhaltig-predigen.de“.

Im Kirchenjahr 2018/19 wurde dann das Schwerpunktthema „Teilhabe“ behandelt – ein Thema, das von Armut in armen und reichen Ländern und von Bildung ebenso handelt wie von der Teilhabe an wirtschaftlicher Unterdrückung und an Verantwortung. Auch im neuen Kirchenjahr gibt es wieder Predigtanregungen zum Thema Nachhaltigkeit. Ergänzend zum Onlineangebot ist 2018 ein gedruckter Band mit beispielhaften Predigtanregungen mit dem Titel „Reden wir über Nachhaltigkeit“ erschienen. In diesem Band wurde auch mein neuester Beitrag „Wider die Habgier“ (Lk 12, 13-21), das Gleichnis vom reichen Kornbauern,  aufgenommen.

Als Beispiel ein Auszug aus diesem Predigtbeitrag: Drei zufällige Meldungen von heute (geschrieben am 21.06.18):   

  1. Zehn-Stunden-Schichten ohne Pause, ohne Wasser und Essen, schutzlos auf gespritzten Feldern - unter solchen Bedingungen müssen Arbeiterinnen weltweit für unsere Lebensmittel schuften. Vor allem deutsche Handelsketten schneiden laut einer Studie schlecht ab. Es gibt Arbeiterinnen, die auf Feldern und Plantagen das Essen für den Überfluss in unseren Supermärkten produzieren, aber selbst hungern müssen, weil ihre Löhne zum Leben nicht reichen.
  2. Die Griechenlandkrise hat Deutschland einen ordentlichen Gewinn beschert. Seit dem Jahr 2010 hat die Bundesrepublik insgesamt rund 2,9 Milliarden Euro an Zinsen erhalten – Reingewinne aus Ankäufen griechischer Staatsanleihen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor.
  3. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat Deutschland am Donnerstag wegen Verletzung von EU-Recht verurteilt, weil die Bundesregierung zu wenig gegen Nitrate im Grundwasser unternommen hat. Ein Übermaß an Nitraten, die meist aus Düngern der Landwirtschaft stammen, schadet der Umwelt und birgt Gesundheitsrisiken.

Wenn man das Gleichnis vom Kornbauern, wie alle Gleichnisse Jesu, nicht wie gewohnt individualistisch verstehen und deuten will, sondern als Erzählung über die Welt, so wie sie von Menschen gemacht worden ist, dann steht der reiche Kornbauer für ein bestimmtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Die drei genannten Beispiele bilden nur einen winzigen, aber repräsentativen Ausschnitt dieses Systems ab. Eine industrielle Landwirtschaft, hoch subventioniert von der Allgemeinheit, zerstört Lebenswelten und Artenvielfalt, vergiftet Böden, Wasser und quält Tiere. Sowohl in reichen als auch besonders in arm gemachten Gesellschaften schuften Heerscharen von Arbeitssklavinnen dafür, damit wir möglichst billig einkaufen und quasi alles haben können. Solche unmoralischen Geschäftsmodelle, die nur deswegen einen so hohen Profit abwerfen, weil meist noch nicht einmal - wenn überhaupt - Mindestlöhne bezahlt werden und Menschenrechte systematisch verletzt werden, sind die Regel und keine Ausnahmen. Und eine globale Finanzwirtschaft sorgt dafür, dass die „Finanzströme“ von den Armen in die Kassen (oder „Verstecke“) weniger Reichen fließen.

Was haben diese Meldungen mit den Gleichnissen und der Botschaft Jesu zu tun, gar mit dem, was die Bibel sein will: eine gute, weil befreiende Nachricht? Es sind Meldungen, die man in dieser oder ähnlichen Form täglich lesen und hören kann. Sie berichten von dem, wie „diese Welt“ funktioniert und welche Gesetze und Maßstäbe in ihr herrschen. Und so tickten die Menschen schon zur Zeit Jesu, die Welt war keine andere als die heutige und umgekehrt. Denn wenn nicht, dann wäre das Evangelium die Botschaft aus einer anderen Welt. Es ist aber eine aktuelle Botschaft für diese unsere Welt, für uns Menschen heute. Sie hilft uns, die Welt, unser Verhalten und unsere Werte zu analysieren, zu deuten und dann im Geiste Jesu zu verändern. Die Weisung Gottes steht der Habgier zentral entgegen: der Gier nach Macht und Herrschaft über andere Menschen und Völker, der Gier nach unendlichem Besitz, der Gier, sich die Erde zu unterwerfen. Gott weist die Richtung unserer Wege, die dem Pfad der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung folgen. Dann haben alle Menschen teil an den Gaben von Gottes Schöpfung. Denn Gottes Weisung führt zu einer Teilhabe, die Menschen das Leben in Fülle ermöglicht. 

Auch das Schwerpunktthema für 2019/20 von "nachhaltig-predigen", Vulnerabilität, käme aus biblischer Perspektive dann zur rechten Geltung, wenn die „Ausgegrenzten und Verdammten dieser Erde“ in den Mittelpunkt unseres Glaubens, das bedeutet auch unserer Wirtschaft und Politik, gestellt würden. Kein Geringerer als Jesus der Messias hat das getan und es uns aufgetragen.   

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Dr. theol. Willi Knecht, im Projektteam von „nachhaltig predigen“ und u.a. in den Diözesanausschüssen „Nachhaltige Entwicklung“ und „Eine Welt“. 

Zur Veröffentlichung in "Der geteilte Mantel", 2019, dem weltkirchlichen Magazin der Diözese Rottenburg-Stuttgart (erscheint am 1. Juli 2019)