Misereor – inhaltliche Schwerpunkte
Solidarisch in der Einen Welt - Gottesdienst zum 1. Advent am 3.12.2017 in der ev. Paulus-Gemeinde Ulm
Das Brotmuseum in Ulm (das einzige dieser Art in der Welt) organisiert vom 12.11.17 - 28.01.2018 die Ausstellung „FÜR EINE BESSERE WELT“ - Plakate und Projekte von Misereor und Brot für die Welt. Aus der Ankündigung: „Misereor und Brot für die Welt haben seit ihrer Gründung 1958 und 1959 mit ihren Plakaten und Strategien der Öffentlichkeitsarbeit Bilder geprägt, die sich in das kollektive Gedächtnis unserer Gesellschaft eingeschrieben haben: so etwa die schwarze Hungerhand von Brot für die Welt aus den 60er-Jahren. Immer wieder ist es gelungen, Menschen anzusprechen und zum Spenden zu animieren. Dabei waren die Themen und Diskussionen um Hunger und Welternährung in den letzten Jahrzehnten stark in Bewegung. Entsprechend haben sich die Ziele, Strategien und die Bildsprachen der Plakate verändert: Das Ziel, Mitleid und Empathie für die Hungernden im fernen Afrika zu erzeugen, verlagerte sich zu mehr Hilfe zur Selbsthilfe und schließlich in Richtung Appell an die Verantwortung unserer reichen Gesellschaft. Die Plakate illustrieren diese Veränderungen: Als verdichtete Psychogramme verdeutlichen sie, mit welchen Bildern und Texten - und den dazu gehörigen Kontexten - Menschen hierzulande für das Thema Welternährung zu bewegen waren und sind. Die Ausstellung zeigt schließlich eine Auswahl an historischen und aktuellen Projekten der beiden Organisationen.“
In Zusammenarbeit mit der ev. Kirche Ulm wurde die genannte Ausstellung zum Thema in einem Gottesdienst am 1. Adventssonntag (3.12.). Als Vertreter von Misereor war ich an der Vorbereitung und Gestaltung des Gottesdienstes beteiligt. Anhand des Misereor-Plakats von 1989 „Solidarisch in der Einen Welt“ habe ich einige Gedanken zum Thema (anstelle der Predigt) vorgetragen:
Dom Helder Camara: „Wenn ich an Hungernde Brot verteile, nennen sie mich einen Heiligen. Wenn ich aber frage, warum Menschen Hunger leider müssen, nennt man mich einen Kommunisten“ (1974). In diesem Sinne fragt auch Misereor - auf dem Wege eines langen Lernprozesses - immer mehr und deutlicher nach den Ursachen des Hungers und nach den Ursachen der weltweit zunehmenden Ungerechtigkeit (Kluft zwischen arm und reich) und der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Beispielhaft steht dafür u.a. das Plakat von Misereor „Solidarisch in der Einen Welt“ (zwei Hände - eine schwarze und weiße - brechen das Brot) aus dem Jahr 1989. Inhaltlich bedeutet dies heute:
Misereor – inhaltliche Schwerpunkte
- Kirchliche „Entwicklungshilfe“ bedeutet heute eher, auf der Seite der von ihrem Land Vertriebenen, der Rechtlosen und „Müllmenschen“ (Papst Franziskus) gegen die Allmacht der Weltkonzerne und ihrer Marionettenregierungen zu stehen und Widerstand zu leisten. (Gelegentlich geht es auch „nur“ darum, die schlimmsten Folgen der staatlichen Entwicklungspolitik (BMZ, GIZ, KfW) zu mildern.
- Aus der Perspektive derer, die unter die weltweit agierenden Räuber gefallen sind Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu analysieren, im Lichte der Bibel zu deuten und aktiv zu werden – hier bei uns. Ihr Schrei nach „Brot“ und Gerechtigkeit ist der Ruf Gottes an uns.
- „Wie im Westen so auf Erden?“ Statt unsere imperiale Lebensweise (früher: american way of life“) zu globalisieren, geht es um ein Leben in Würde, wie es Papst Franziskus u.a. im ersten Welttreffen der Volksbewegungen nannte: „Land“ (Landbesitz, Ernährungssouveränität), „Wohnraum“ (Elendsviertel, Vertreibung) und „Arbeit“ (informelle Beschäftigungen, etc.) – und dies im Rahmen der planetarischen Grenzen.
Eucharistiefeier der Campesinos von Bambamarca (1978, eigenes Foto), selbstverständlich mit einem vom Bischof beauftragten Katechet*in
Biblisch-theologische Begründung (zu Solidarität und Brotteilen)
Wir feiern zusammen das Abendmahl, die Eucharistie. Wir gedenken des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Wir sagen Dank dafür, dass Jesus uns durch seine Hingabe ein neues Leben ermöglicht und uns den Weg zeigt. Wir nehmen in dieser Feier die endgültige Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott vorweg. Das ist unser Ziel, unsere Berufung. Das biblische Bild dazu: Hochzeitsmahl, Tischgemeinschaft mit denen, denen ansonsten der Zugang zum Tisch und damit zum Brot des Lebens verwehrt wird. Kennzeichen dieser Tischgemeinschaft ist das Miteinanderteilen von Brot und Wein, d.h. all dessen, was wir zum Leben brauchen. Die Jünger*innen von Emmaus erkennen den auferweckten Christus erst dann, als er mit ihnen das Brot teilt. In einer Gemeinde, in der das geschieht, ist der lebendige Christus gegenwärtig, es ist Auferstehung spürbar, neues Leben.
Die Gemeinde Jesu Christi sind aber nicht nur wir, die wir hier versammelt sind. Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinschaft aller Menschen, die glauben, dass Jesus der Messias ist. Wir können hier nur Eucharistie feiern, wenn wir das im Namen der gesamten Kirche, der Gemeinschaft aller Gläubigen in aller Welt tun. Wir leben aber in einer Welt, in der 1/8 der Menschheit 7/8 aller irdischen Güter für sich allein verbraucht - ja diese sogar mit Gewalt an sich reißt. Wir leben gleichzeitig in einer Welt, in der alle Güter für alle Menschen bei weitem ausreichen würden.
Was heißt nun Eucharistie feiern, das Abendmahl, das Jesus feierte in Erinnerung an die Befreiung des Volkes Gottes aus der Sklaverei? Wie können wir uns gemeinsam mit denen an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrig bleiben, die von unserem überreich gedeckten Tisch fallen? Wir können nicht miteinander Eucharistie feiern, während oder falls wir gleichzeitig bemüht sind, unseren schon üppig gedeckten Tisch noch üppiger zu decken - und dafür in Kauf nehmen, dass immer mehr Menschen um ihr Leben gebracht werden. Christlicher Glaube zeigt sich darin, dass wir im Namen Gottes und in der Nachfolge Jesu das Brot, die Früchte unserer Mutter Erde, unser Leben miteinander teilen.
Eine wirkliche Umkehr und damit auch eine Erneuerung der Kirche wird es ohne eine vertiefte Spiritualität bzw. eine Vertiefung des Glaubens an Jesus den Christus nicht geben. Eine jesuanisch geprägte Spiritualität hat aber nichts zu tun mit der bei uns üblichen Suche nach Spiritualität, wo es oft zuerst um meine Seele und meinen Gott geht, um die eigentliche Befindlichkeit. Eine biblisch-jesuanische und somit eine unterscheidend christliche Spiritualität besteht darin, im gekreuzigten Nächsten das Antlitz des gekreuzigten Christus zu erkennen und an der Seite der Gekreuzigten darum zu kämpfen, dass immer weniger Menschen den global agierenden Räubern zum Opfer fallen. Im „Goldenen Käfig“ und innerhalb einer Gesellschaft, deren Wohlstand teilweise immer noch auf der Ausbeutung ganzer Völker beruht, wird es schwer sein, eine solche Spiritualität zu entwickeln, aber es ist nicht unmöglich, weil es nicht unmöglich ist auszubrechen und aufzustehen! Das Beispiel vieler Menschen, die in der Nachfolge Jesu bereit waren sogar ihr Leben dafür einzusetzen, kann uns Mut machen.*
Der Weg mit Jesus ist ein Weg zu und mit den Armen und Bedrängten aller Art. Wenn wir mit ihnen und unter uns das Brot brechen und teilen, dann werden wir zur wahren Gemeinde Jesu Christi, dann werden wir selbst - als Gemeinde und als jeder Einzelne - zum Brot des Lebens für andere. Möge uns dieses gemeinsame Feiern die Kraft geben, immer wieder aufzustehen, uns gegenseitig zu stützen und aufzubrechen.
Meine Fürbitte: Gott des Lebens, Du begegnest uns in denen, denen das Brot zum Leben fehlt und bist bei uns, wenn wir das Brot miteinander teilen. Stärke uns als deine Gemeinde, dass wir selbst Brot für andere werden und uns gegenseitig stärken, wo wir einander brauchen. Lass und Brot und Trost miteinander teilen, wie du selbst es uns gelehrt hast.
* Zwei Zitate von O. Romero: (siehe dazu auch: Oscar Romero beim Papst, 1979)
„Die Welt, der die Kirche dienen muss, ist die Welt der Armen und die Armen entscheiden, was es für die Kirche heißt, wirklich in dieser Welt zu leben. Die Kirche wird verfolgt, weil sie die Armen verteidigt. Was sie tut, ist nicht mehr und nicht weniger als das Unglück der Armen zu teilen. Die Armen sind der Körper Christi heute. Durch sie lebt er heute, in der Geschichte“.
„Mein Leben wurde schon mehrmals bedroht. Als Christ glaube ich nicht an den Tod ohne Auferstehung. Wenn sie mich töten, werde ich auferstehen im Volk von El Salvador. Als Hirte ist es meine Aufgabe, mein Leben zu geben für diejenigen, die ich liebe, für das ganze Volk von El Salvador, selbst für diejenigen, die mich töten wollen. Sollte Gott das Opfer meines Lebens annehmen, hoffe ich, dass mein Blut zum Samen der Freiheit wird und zum Zeichen, dass unsere Hoffnung bald verwirklicht wird. Mein Tod wird ein Beweis der Hoffnung für die Zukunft sein, und für mein Volk will ich sterben. Ein Bischof wird sterben, aber die Kirche Gottes, das ist die Kirche des Volkes, wird nie verschwinden“.