Natur und Umwelt in den Religionen
„Der Einsatz für die Belange der Natur ist ein gemeinsames Anliegen der Religionen. Aufgrund ihrer jeweiligen Traditionen, Schriften, Lehren und Moralvorstellungen haben diese je besondere Perspektiven und Motivationen“. (Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Stiftung Weltethos und DA „Nachhaltige Entwicklung“). Aus der Ankündigung "Religions to green" in der Kath. Akademie Hohenheim)
Vorbemerkungen:
Es wird meist als selbstverständlich vorausgesetzt, dass das Christentum eine europäische Religion sei. Dabei käme eine Untersuchung über die geglückte oder nicht geglückte Inkulturation des Evangeliums als Zeugnis einer vorderasiatischen Religion in Europa zu überraschenden Ergebnissen. Dabei könnte auch die Frage aufgeworfen werden, ob das Evangelium z.B. dem Verständnis der indianischen oder afrikanischen Völker nicht viel näher als den Völkern Europas ist und ob daher das Evangelium nicht auf dem „Umweg“ über die nichteuropäischen Völker den Europäern verständlich gemacht werden könnte, selbstverständlich unter Beachtung interkultureller Kriterien.
Da ich aufgrund meiner Mitarbeit in einer befreienden Sozialpastoral in Lateinamerika schon immer auch für wirtschaftlich-politisch-soziale Fragen und Lösungen hierzulande offen war, bekam ich oft die Frage zu hören: „Was hat denn die Kirche (bzw. Religion) damit … zu tun?“ Diese Frage ist gottlob etwas seltener geworden seit Papst Franziskus.
Ein Bündnisvon Gewerkschaften, Sozial-, Umwelt-, Verbraucher- und Verbändender Entwicklungszusammenarbeit bereitet für den 17. September eine bundesweite Großdemonstration gegen TTIP und CETA vor. Dabei kann man sich auf eine wachsende Zahl von regionalen Bündnissen stützen. Diese werden zunehmend auch von Kommunen unterstützt, geht es doch um allgemeine Fragen des Gemeinwohls und der Daseinsvorsorge. Die zentralen Kritikpunkte müssen hier nicht wiederholt werden, siehe dazu u.a. TTIP – Kampf um die letzten Ressourcen.
Ernährungssicherheit – aktuelle Gefährdungen am Beispiel Lateinamerika
Das Recht auf ausreichende und ausgewogene Ernährung (einschließlich sauberes Wasser) ist ein grundlegendes Menschenrecht. Es wird aber systematisch und gezielt verletzt. Diesem weltweiten Terror fallen nicht nur täglich immer noch Tausende Kinder zum Opfer, sondern er gefährdet auch die Zukunft der gesamten Menschheit.“
So lautet meine Programmankündigung für meinen Vortrag und den Workshop auf der Jahresversammlung von Oikocredit in Tübingen am 17. Mai 2014. Im Januar 2014 wurde ich als Vertreter der Kath. Kirche in den Vorstand von Oikocredit berufen.
1. Beispiel
Die Hazienda umfasst 120 km². Sie liegt in einem grünen Tal in den Anden, mit viel Wasser und fruchtbaren Weiden. Dort weiden Zuchtstiere und in tiefer gelegenen Gebieten lässt der Besitzer Kaffee anbauen. Die Randzonen gegen die Berge hin liegen brach, sie zu bewirtschaften lohnt sich nicht. Noch weiter, die steilen und steinigen Bergabhänge hinauf , wohnen etwa 3.000 Campesinos (Indios). Ihnen stehen pro Familie 1 ha zur Verfügung. Das reicht nicht zum Leben. Weil sie keinen Ausweg wissen, beschließen sie, auf einem Teil des brachliegenden Landes der Hazienda Kartoffeln anzupflanzen. Kurz vor der Ernte erfährt der Grundeigentümer davon. Er fordert eine Militäreinheit an, die sofort angreift. Sie eröffnet ohne Vorwarnung aus zwei Hubschraubern heraus das Feuer. 6 Menschen werden getötet, 21 schwer verletzt, zusätzlich werden auch die Kartoffelfelder zerstört. Der Bischof schaltet sich ein, will Anklage erheben, aber ohne Erfolg. Denn - so die Begründung - die Campesinos haben die Eigentumsrechte verletzt und der Staat hat die Pflicht, das Eigentum zu schützen. Und der Bischof und seine Mitarbeiter werden als Kommunisten bezeichnet, die sich mit Gesetzesbrechern solidarisieren. (So geschehen 1977 während meiner Arbeit als „agente pastoral“ in der Pfarrei Bambamarca, Diözese Cajamarca, Peru).
Ein Gleichnis unserer Welt, so wie sie ist?
Diese Strukturen wurden im Zuge der Eroberung Amerikas geschaffen und bestehen im Prinzip bis heute. Die vorkolonialen Kulturen Amerikas kannten kaum Hungersnöte. Sie hatten eine hoch entwickelte Landwirtschaft, die der Grundversorgung der eigenen Bevölkerung diente. Die koloniale Landwirtschaft dagegen dient zuerst den Interessen der Kolonialherren. Im Grundsatz hat sich bis heute nichts geändert. Denn warum nimmt der Hunger ausgerechnet in den ländlichen Gebieten der Welt in den letzten 3 Jahren wieder zu? Die fruchtbarsten Gebiete in Lateinamerika werden für den Anbau von Exportgütern, z.B. Soja und Mais für Viehfutter, genutzt. Überall in den armen Ländern, wo große Agro- und Chemiekonzerne tätig werden, wächst der Hunger, kleinbäuerliche Existenzen werden zerstört, Böden und Wasser werden vergiftet.
Generell existiert eine strukturelle Vernachlässigung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die eine Grundversorgung garantieren könnte. Fehlende medizinische Versorgung und Bildungsmöglichkeiten und eine sehr mangelhafte Infrastruktur sind die Folgen dieser Vernachlässigung. Stattdessen werden industrielle Landwirtschaft und Bergbau subventioniert und Kapital ins reiche Ausland transferiert. Besonders der Bergbau zerstört die kleinbäuerliche Landwirtschaft. In einigen Regionen der Anden sind bereits 80% des Landes für Bergbau konzessioniert. In Peru kam es in letzten 20 Jahren zu einer Verzehnfachung der Einfuhr von Grundnahrungsmitteln, 58% der Bewässerung gehen in den Anbau von Spargel und Baumwolle. 48% der Campesinos leiden an chronischer Unterernährung und die Hälfte aller Peruaner hat keinen Zugang zu ausgewogener Ernährung.
Die Rolle der armen Länder als Lieferanten von Rohstoffen (Agrarprodukte, Viehfutter, Rohstoffe) wird von den reichen Ländern festgeschrieben. Dies war auch die Botschaft von Kanzlerin Merkel (und Konsens aller staatstragenden Parteien) bei ihren Besuchen in Kolumbien, Bolivien und Peru: „Ihr müsst noch mehr exportieren. Das ist eure einzige Chance, auf dem Weltmarkt mitspielen zu dürfen und eure Schulden bezahlen zu können“. Teil dieser strukturellen Gewalt ist, dass als Reserven für reiche bzw. aufstrebende Länder riesige Landflächen „zur Verfügung gestellt“ werden.
Zu den Vertreibungen wegen Landraub nimmt besonders in den Staaten Zentralamerikas die Gewalt zu. U.a. auch in der Folge von langen Bürgerkriegen wurden viele Menschen vertrieben, allein in Kolumbien 4 Millionen in den letzten 30 Jahren. Zunehmende Drogenwirtschaft und Gesetzlosigkeit machen immer mehr Menschen heimatlos. In El Salvador haben 2 von 3 Menschen im arbeitsfähigen Alter „Arbeit“ im Ausland gefunden, täglich fliehen 700 Menschen, 20% von ihnen kommen nie an… Es ist eine immer wiederkehrende Erfahrung der indigenen Völker und der Armen in den Randzonen der Stadt, dass politische und wirtschaftliche Macht eine Einheit bilden und jede Veränderung mit Gewalt verhindert wird. Wird der Druck auf die Menschen zu stark, versuchen sie ihr Glück in der Abwanderung in die Zentren des „american way of life“.
2. Beispiel
Warum nimmt nachweislich der Hunger ausgerechnet in den ländlichen Gebieten der Welt (in den armen Ländern) in den letzten 3 Jahren wieder zu? Eine einfältige Politik und einfältige Politiker (freundlich ausgedrückt) lassen sich von den bunten Versprechungen einer einseitigen und eindimensionalen Wirtschaft an der Nase herum führen. Überall dort in den armen Ländern, wo große Nahrungsmittel – Agro- und Chemiekonzerne tätig werden, wächst der Hunger, Humuserde wird zerstört, Wasser wird verschmutzt und vergeudet, Grundnahrungsmittel werden knapp, Subsistenzwirtschaft (kleinbäuerliche Existenzen) wird zerstört … usw. Und in den letzten Jahren spielt hier der Einsatz von Gentechnik eine immer wichtiger werden Rolle. „Diese Wirtschaft tötet!“: Wenn Kinder verhungern, wo unweit von ihnen große Konzerne den Anbau von genmanipulierten Soja – oder Maispflanzen forcieren um billiges Viehfutter für die fetten Kühe in Europa und USA zu erhalten, wie soll man das denn nennen?
Ein einfaches Beispiel zeigt mehr als alle Statistiken und Wirtschaftstheorien, wie diese Wirtschaftsordnung wirklich funktioniert: Ich komme gerade aus Peru zurück, wo ich wieder verschiedene Projekte besuchen konnte. Am letzten Tag vor der Abreise wurde mir noch ein ganz neues Projekt gezeigt: Milchproduktion – Tausende von Kühen - eingeführt aus Neuseeland! – soweit man blicken kann; eigene Direktanbindung an den Hafen von Lima, wo der modernste und effektivste Futtermittelmix aus aller Welt per Schiff angeliefert wird – und das alles mitten in der Wüste! Kein Grashalm, kein Wasser etc. Die Betreiber haben einen exklusiven Vertrag mit Nestlé. Nestlé braucht diese Milch zur Herstellung von Jogurth – Produkten für den Weltmarkt.
Stolz wurde mir erklärt, dass das Viehfutter starke Anteile an gentechnisch bearbeiteten Pflanzen (vor allem Soja, Mais) habe. Da weiß man wenigstens, woran man ist, so hieß es. Man möchte ja das Beste für seine Kühe…. Einige km weiter kann man die riesigen Elendsviertel um Lima herum ausmachen. 5 Millionen von mindestens 10 Millionen Menschen in Lima leben in absoluter Armut. Sie und ihre Kinder werden dort nie Milch zu Gesicht bekommen, erst recht kein Fleisch, der Wassermangel in den Elendsvierteln nimmt dramatisch zu, während (weil) die Milchproduktion gleichzeitig enorme Wassermengen verbraucht - denn dafür ist genug Wasser da.
Mein erster Eindruck (und bei weiterem Nachdenken umso mehr): einfach pervers! Doch diese perverse Politik und Wirtschaft ist von uns so gewollt, sie wird staatlich gefördert, für solche Projekte fließen staatliche Subventionen – und auf die armen Länder wird immer mehr Druck ausgeübt, nur für den Export zu produzieren (auch zuletzt von Frau Merkel bei ihrem Besuch in Peru) – um die Zinsen der Auslandsschulden bezahlen zu können. Gentechnik als Kampf gegen Hunger – einfach lächerlich!!
Peru ist auch das Ursprungsland der Kartoffel. In Peru gab es ursprünglich etwa 4,000 - 5.000 verschiedene Kartoffelsorten mit je verschiedenen Eigenschaften. Die Quechua-campesinos von Peru verfügen (noch) über die weltgrößte Sammlung von Kartoffelsorten und könnten damit die Kartoffelbestände (bzw. deren Erbgut) der ganzen Welt retten. Wenn der Kartoffelanbau in verschiedenen Regionen der Erde versagen sollte, gibt es in Peru die Möglichkeit, eine oder mehrere dieser Kartoffelsorten zu holen und sie weiter zu züchten (dies gilt in gleicher Weise auch für Mais, Reis, Getreidearten etc., woanders.) Diese Vielfalt wird aber gezielt zerstört – in welchem Interesse – wer profitiert? Stattdessen werden „neue Produkte“ erfunden, neue Pflanzen, die stets neu gekauft werden müssen, und dies im „Paket“ mit Pestiziden etc. In Mexiko sprechen Bauernverbände und Indigena - Organisationen bereits von einer 2. Conquista: Den indigenen Völkern wird nun auch noch der letzte Wert geraubt: das Recht auf eigene Ernährung, d.h. das Recht auf ihre ureigenen Pflanzen (Mais hat neben dem Wert als Grundnahrungsmittel noch einen sehr hohen kulturellen-religiösen Wert und ist Teil ihrer Identität). Ihre Angst: Wenige Konzerne werden das weltweite Monopol auf Nutzpflanzen und Tiere haben und können so die ganze Weltbevölkerung kontrollieren. Diese Wirtschaft wird übrigens maßgeblich begünstigt von dem Freihandelsabkommen USA – Peru (u.a.), bzw. darin liegt ja der Sinn der sogenannten Freihandelsabkommen.
Diese „Grüne Gentechnik“ wird heute in Südamerika von Konzernen und Politikern als 2. Phase der "Grünen Revolution" gepriesen, als verbesserte Version, wo alle Mängel der 1. Phase mit Hilfe der Gentechnologie ausgemerzt werden können. In Peru die Kartoffel, in Mexiko Mais, Soja in Argentinien Brasilien und Paraguay. Selbst in den USA gibt es z.B. in Idaho nur noch 1 Kartoffelsorte. Auch hier ein nahtloser Übergang von „Grüner Revolution“ zu „Grüner Gentechnik“: Mit Einsatz der Gentechnik wird dieser Vermarktungsprozess noch kalkulierbarer, zielgenauer planbar und noch profitabler. Gentechnik soll nun die sichtbar aufgetretenen Nachteile u.a. der Monokulturen ausgleichen (z.B. Kartoffelnässe, Pilzbefall, Resistenzen). Möglicherweise gibt es kurzfristige Erfolge, aber langfristig die gleichen und zusätzliche Probleme in verschärfter Form.
Beispiele aus Peru: Grüne Täler mit Anbau von Grundnahrungsmitteln (Kleinbauern) werden überflutet (gestaut), z. B. für Spargelanbau an der Küste - oder für Baumwolle und Reis. Nur bestimmte Sorten für den Weltmarkt (Export) werden angebaut; durch „grüne Gentechnik“ wird dies forciert bzw. sie macht solche Projekte erst richtig rentabel. Initiativen zur Bewahrung der Vielfalt werden zerstört oder zumindest nicht unterstützt (ich kenne einige dieser Initiativen aus eigener Anschauung). Warum geschieht dies? Weil kleinbäuerliche Landwirtschaft, die auf die Sicherung der Grundernährung (Grundnahrungsmittel) angeblich dem Fortschritt im Wege steht, und aus der Sicht der Großvermarkter nicht mehr konkurrenzfähig ist. Der Staat fördert nur die industrielle Landwirtschaft, d.h. die Großunternehmer, meist ausländische Konzerne. Bisherige Kleinbauern werden zu Tagelöhnern (1 Euro am Tag) – entweder auf den neuen Monokulturen an der Küste oder 2. Tendenz: Agro-Händler aus Lima kaufen Campesinos billigst ihr Land ab oder pachten es, neue Sorten werden angebaut – bei rapid ansteigender Bedarf an Wasser, Pestiziden und Dünger (u.a. auch wegen zunehmender Klimaschwankungen). es gibt keinen Fruchtwechsel mehr, die Böden sind nach maximal 6 Ernten völlig ausgepowert und verwüstet, Agro-Händler ziehen weiter…
Die Agrochemie boomt und diktiert, welche Sorten nur noch akzeptiert werden. In Lima, dem größten Kartoffelmarkt der Welt, sind aktuell nur noch 3 Kartoffelsorten zugelassen, alle aus den USA „desingt“ und nur jeweils im Paket erhältlich. Es gibt nur noch 200 zugelassene Großhändler, die diktieren die Bedingungen. Es verdienen nur die Hersteller von Saatgut, Dünger etc. und der Großhändler. Gentechnisch hergestelltes Saatgut ist viermal teurer als herkömmliches Saatgut. Gleichzeitig: die absolute Armut in Peru nimmt in den letzten Jahren wieder zu (auch wegen Bergbau), Grundnahrungsmittel werden teurer, Elendsviertel größer, die Landzonen werden entvölkert und Indios immer noch mehr ausgegrenzt - und das bei 7,9% Wirtschaftswachstum in Peru.
Überall bzw. global: die Wirtschaftsstrukturen und Ideologien sind die gleichen: bereits in den 70-er Jahren, z.B. in Brasilien: 10% der Anbauflächen mit Soja für Benzinersatz, heute Biosprit. Und warum Soja z.B. heute in Paraguay? Es wird fast ausschließlich als Futtermittel für Hühner und Schweine nach Europa „benötigt“; 2% besitzen 70% der Anbauflächen, ¾ der Besitzer sind Ausländer. In Paraguay Zulassung der Genpflanzen, nachdem bereits sehr viel Land transgenetisch verseucht war (illegale, unkontrollierte Ausbreitung aus Argentinien, das einzige Land in LA, das zu vor 5-6 Jahren den Anbau großflächig erlaubte (im Zusammenhang mit damaligem Zusammenbruch Argentiniens zu sehen! ). Sehr verbreitet sind neue, bisher unbekannte Krankheiten etc.
Multis kaufen verstärkt im großen Ausmaß Landflächen in aller Welt als strategische Reserve zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung im eigenen Land. Deregulierung: parallel zur Entwicklung in den Finanzmärkten: gezielte Deregulierung und Privatisierung, um ungehemmt immer neue Produkte auf den Markt zu werfen. Immer neue Pflanzen sind deshalb notwendig, um eine neue Wachstumsbranche zu etablieren, mit der einige Wenige ungeheure Profite machen werden. Die Folgen sind in Bezug auf die industrielle Landwirtschaft, Monokulturen etc.:
Zerstören der natürlichen Grundlagen und der Artenvielfalt
Austrocknen bzw. Versalzen der Böden, Ausbreitung der Wüsten
Ansteigender Einsatz von Chemikalien, Pestizide, Dünger
Zunehmende Verschuldung
Austrocknen bzw. Versalzen der Böden, Ausbreitung der Wüsten; Einsatz von Chemikalien, Pestizide, Dünger
"Überschüsse" werden in reiche Länder exportiert
Grundnahrungsmittel werden rar, für Land und Leute bleibt nichts.
Industrielle Produktion (wenige Eigentümer) zu Lasten der der Subsistenzwirtschaft
Abwanderung in Elendsviertel der Städte, Entwurzelung, mehr Gewalt, Wertezerfall
Fazit
Die gegenwärtige Agrarwirtschaft, als Teil und angewendet im Rahmen der gegenwärtigen Strukturen und Interessen, verstärkt systembedingt die schon jetzt vorhandenen Absurditäten im Weltmarkt und bedroht die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln - besonders für die Habenichtse. Es geht definitiv nicht um eine bessere Versorgung für die Menschheit, sondern um kurzfristigen Profit („neue Produkte, immer mehr neue Pflanzen...!“) So ist z.B. jede gentechnisch veränderte Pflanze patentiert und damit Eigentum des Konzerns. Es darf kein Saatgut daraus gezogen werden. Dies führt zur Enteignung ganzer Völker und die lebenswichtige Grundversorgung für die Menschheit wird zum Spekulationsobjekt von Wenigen.
Wenn die bäuerliche Subsistenzwirtschaft erst einmal vernichtet ist, ist die Existenz von Millionen von Kleinbauern vernichtet, Millionen von Familien sind vom Hungertod bedroht. Monopole werden noch mehr als bisher die zum Überleben notwendige Artenvielfalt zerstören und die Erde (Wasser, Humus, Anbauflächen) bei vorerst noch wachsender Bevölkerung verwüsten – und dies im Kontext der jetzt schon wirksamen Klimaveränderung.
Das 1. Grundgesetz“ der Menschheit muss lauten: Ausreichende, abwechslungsreiche Ernährung für alle! Wir sind vielleicht die erste Generation, die mehr vernichtet als sie schafft (bezogen auf Agro -Kultur!). Das Erbe, die Errungenschaften von 10 - 12.000 Jahren Agrikultur und Entwicklung der Menschheit wird gerade vernichtet – im Namen des Fortschritts und der Freiheit für die Wenigen. Das Überleben großer Teile der Menschheit wird immer mehr von den wirtschaftlichen Interessen einer sehr kleinen Minderheit abhängen. Ganze Völker können in Geiselhaft genommen werden, falls was schief läuft - wie schon jetzt bei der so genannten Finanzkrise.
Man setzt also auf äußerst fahrlässige Weise (vorsichtig ausgedrückt) den Gen-Pool der gesamten Menschheit aufs Spiel. Wer hat daran ein Interesse – und welches Interesse? Was soll da das Gerede von neuen Arbeitsplätzen, vom Technologiestandort Deutschland, von der Freiheit der Forschung etc.? Stattdessen alle Mittel und unser gesamtes Wissen benutzen, um zukünftige Katastrophen eher meistern zu können - und das würde sogar Arbeitsplätze bei uns schaffen. Oberstes Ziel jeder Forschung und Politik muss sein: jeder Mensch soll in Würde leben dürfen!
Appell an alle, gerade hier in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt:
Die Frage der weltweiten Ernährungssicherheit (und der Menschenrechte) aus der Sicht der Kleinbauern, der Campesinos, der indigenen Völker, der Länder des Südens zu sehen. Sie sind die hauptsächlichen Opfer und gleichzeitig herrscht (noch) gerade in den ärmsten Ländern eine bisher teils noch gar nicht bekannte Vielfalt von Pflanzen zur besseren Ernährung, Medizin etc. für die ganze Menschheit. Gleichzeitig ist zu beachten, dass sich auch „bei uns“ die soziale Spaltung verschärft.
Der herrschende Kontext „Weltwirtschaft und Neoliberalismus“ darf nicht außer acht gelassen werden (eine europäische „Erfindung“!), denn nur innerhalb dieses Kontextes kann die gegenwärtige Perversität in der Weltwirtschaft (vor allem im Agrarmarkt) richtig gedeutet werden: Die „Dreifaltigkeit des Freien Marktes“, nämlich Privatisierung, Deregulierung und drastische Einschnitte bei Sozialausgaben, ist zu einem nicht mehr hinterfragbaren Glaubensinhalt geworden, zum Dogma, zu dem es keine Alternative gibt. Strukturen, die von Menschen gezielt so eingerichtet wurden, dass einige Wenige sich hemmungslos auf Kosten anderer bereichern können, werden zum Naturgesetz erklärt. Die Gier, die man über Jahrtausende hinweg versuchte, „in den Griff zu bekommen“ (> Zivilisation, Kultur) wird nun zur Grundlage allen Wirtschaftens gemacht. Und das System braucht immer neue Produkte, es ist auf „Teufel komm raus“ auf Wachstum angewiesen, sonst bricht alles zusammen. Und was wird aus der Schöpfung? Aus uns allen?
Die Anbetung der neuen Götter und Götzen, nämlich der Glaube an die unbegrenzte Macht des Kapitals und dessen stetiger Vermehrung, verspricht uns zwar alle Reichtümer dieser Welt, eine unbegrenzte Macht über Menschen und eine totale Verfügbarkeit über die Güter dieser Erde – eine gefährliche, schreckliche Versuchung! Dieser (Aber-) Glaube jedoch führt in den Abgrund – das zumindest ist die gemeinsame Überzeugung praktisch aller Religionen, Kulturen und Zivilisationen. Wir brauchen auch neue, alternative, vielfältige Formen des Wirtschaftens!
(Siehe dazu meine Arbeiten zu „Andine Kosmovision – Buen Vivir).
Die christliche Perspektive (als Alternative zum global herrsachenden Götzendienst):
Die christlichen Kirchen tragen eine große, sehr große Verantwortung. Zu lange, und bis heute, gibt es noch Kirchenführer und christliche Politiker, die den Glauben dafür benutzen (oder sich selbst benutzen lassen), um eine gotteslästerliche Wirtschaftsform und Politik zu rechtfertigen. Es ist Zeit aufzuwachen und aufzustehen.
Der Mensch ist Ebenbild Gottes; deswegen sind wir alle Kinder Gottes, Kinder dieser Erde. Daher hat jeder Mensch ein unbedingtes Recht auf ein Leben in Würde, auf ausreichende Nahrung und auf sauberes Wasser.
Die Erde ist nicht das Eigentum des Menschen, sie ist uns nur geliehen und anvertraut; und alle Kinder dieser Erde haben ein Recht auf einen gerechten Anteil an den Gütern dieser Erde – und wir haben eine Verpflichtung gegenüber den nachfolgenden Generationen.
Das Recht eines jeden Menschen auf ein Leben in Würde ist das Wertvollste auf der Welt. Der Tod eines Kindes, das heute verhungert, ist Mord - und es verhungern viele Kinder… Dies zu dulden, ja sogar davon zu profitieren, ist ein schlimmes Verbrechen.
Fluchtursachen in Lateinmerika
Die Hazienda umfasst 120 km². Sie liegt in einem grünen Tal in den Anden, mit viel Wasser und fruchtbaren Weiden. Dort weiden Zuchtstiere und in tiefer gelegenen Gebieten lässt der Besitzer Kaffee anbauen. Die Randzonen gegen die Berge hin liegen brach, sie zu bewirtschaften lohnt sich nicht. Noch weiter, die steilen und steinigen Bergabhänge hinauf , wohnen etwa 3.000 Campesinos (Indios). Ihnen stehen pro Familie 1 ha zur Verfügung. Das reicht nicht zum Leben. Weil sie keinen Ausweg wissen, beschließen sie, auf einem Teil des brachliegenden Landes der Hazienda Kartoffeln anzupflanzen. Kurz vor der Ernte erfährt der Grundeigentümer davon. Er fordert eine Militäreinheit an, die sofort angreift. Sie eröffnet ohne Vorwarnung aus zwei Hubschraubern heraus das Feuer. 6 Menschen werden getötet, 21 schwer verletzt, zusätzlich werden auch die Kartoffelfelder zerstört....
Der Bischof schaltet sich ein, will Anklage erheben, aber ohne Erfolg. Denn - so die Begründung - die Campesinos haben die Eigentumsrechte verletzt und der Staat hat die Pflicht, das Eigentum zu schützen. Und der Bischof und seine Mitarbeiter werden als Kommunisten bezeichnet, die sich mit Gesetzesbrechern solidarisieren. (So geschehen 1977 während meiner Arbeit als „agente pastoral“ in der Pfarrei Bambamarca, Diözese Cajamarca, Peru).
Ein Gleichnis unserer Welt, so wie sie ist?
Diese Strukturen wurden im Zuge der Eroberung Amerikas geschaffen und bestehen im Prinzip bis heute. Die vorkolonialen Kulturen Amerikas kannten kaum Hungersnöte. Sie hatten eine hoch entwickelte Landwirtschaft, die der Grundversorgung der eigenen Bevölkerung diente. Die koloniale Landwirtschaft dagegen dient zuerst den Interessen der Kolonialherren. Im Grundsatz hat sich bis heute nichts geändert. Denn warum nimmt der Hunger ausgerechnet in den ländlichen Gebieten der Welt in den letzten 3 Jahren wieder zu? Die fruchtbarsten Gebiete in Lateinamerika werden für den Anbau von Exportgütern, z.B. Soja und Mais für Viehfutter, genutzt. Überall in den armen Ländern, wo große Agro- und Chemiekonzerne tätig werden, wächst der Hunger, kleinbäuerliche Existenzen werden zerstört, Böden und Wasser werden vergiftet.
Generell existiert eine strukturelle Vernachlässigung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die eine Grundversorgung garantieren könnte. Fehlende medizinische Versorgung und Bildungsmöglichkeiten und eine sehr mangelhafte Infrastruktur sind die Folgen dieser Vernachlässigung. Stattdessen werden industrielle Landwirtschaft und Bergbau subventioniert und Kapital ins reiche Ausland transferiert. Besonders der Bergbau (Gold, Kupfer u.v.m.) zerstört die kleinbäuerliche Landwirtschaft. In einigen Regionen der Anden sind bereits 80% des Landes für Bergbau konzessioniert. In Peru kam es daher in den etzten 20 Jahren zu einer Verzehnfachung der Einfuhr von Grundnahrungsmitteln, 58% der Bewässerung gehen in den Anbau von Spargel und Baumwolle. 48 % der Campesinos leiden an chronischer Unterernährung und die Hälfte aller Peruaner hat keinen Zugang zu ausgewogener Ernährung.
Die Rolle der armen Länder als Lieferanten von Rohstoffen (Agrarprodukte, Viehfutter, Rohstoffe) wird von den reichen Ländern festgeschrieben. Dies war auch die Botschaft von Kanzlerin Merkel (und Konsens aller staatstragenden Parteien) bei ihren Besuchen in Kolumbien, Bolivien und Peru: „Ihr müsst noch mehr exportieren. Das ist eure einzige Chance, auf dem Weltmarkt mitspielen zu dürfen und eure Schulden bezahlen zu können“. Teil dieser strukturellen Gewalt ist, dass als Reserven für reiche bzw. aufstrebende Länder riesige Landflächen „zur Verfügung gestellt“ werden.
Zu den Vertreibungen wegen Landraub nimmt besonders in den Staaten Zentralamerikas die Gewalt zu. U.a. auch in der Folge von langen Bürgerkriegen wurden viele Menschen vertrieben, allein in Kolumbien 4 Millionen in den letzten 30 Jahren. Zunehmende Drogenwirtschaft und Gesetzlosigkeit machen immer mehr Menschen heimatlos. In El Salvador haben 2 von 3 Menschen im arbeitsfähigen Alter „Arbeit“ im Ausland gefunden, täglich fliehen 700 Menschen, 20% von ihnen kommen nie an…
Es ist eine immer wiederkehrende Erfahrung der indigenen Völker und der Armen in den Randzonen der Stadt, dass politische und wirtschaftliche Macht eine Einheit bilden und jede Veränderung mit Gewalt verhindert wird. Wird der Druck auf die Menschen zu stark, versuchen sie ihr Glück in der Abwanderung in die Zentren des „american way of life“. In „Vamos Caminando“ (Pfarrei Bambamarca: Glaube, Gefangenschaft und Befreiung in den peruanischen Anden) wird geschildert, wie ein junger Campesino sich voller Illusionen auf den Weg macht: „ … Dort gibt es alles. Bald hast du eine Arbeit und verdienst Geld! Ich werde Lima kennen lernen, die Riesenstadt, die Hauptstadt Perus. Der Lastwagenfahrer schaut den Jungen an und lächelt. Er weiß sehr gut, wie die Küste wirklich ist. Wie viel Leid erwartet doch den Bewohner der Anden, wenn er hinab fährt! Es gibt keine Arbeit, keine Organisation. Und an der Küste ohne Geld sein, das heißt noch erbärmlicher leben als zuvor“. Und als Kommentar wird der peruanische Schriftsteller José María Arguedas zitiert: „Ich kenne Lima: Ich habe die Kinder gesehen, die ganz kleinen, die den Abfall aßen zusammen mit den Schweinen in diesem Elendsviertel, das sie den Müllhaufen nennen. Diese Leute, mein Herr, leben trauriger als Würmer. An den kleinen Kindern klebt der Mist von Hühnern“.
Die Kirche der Armen sagt, dass dieser Weg in das Gelobte Land der abendländischen Zivilisation nicht der rechte Weg ist. Er führt für die meisten Menschen in noch größeres Elend, zu einem „Leben bei den Schweinen“. Sie glaubt daran, dass das Evangelium den wahren Weg zeigt, Jesus ist der Weg.
PS: 33,3 Millionen Kinder, Frauen und Männer waren laut UN-Angaben Ende 2013 sogenannte Binnenflüchtlinge - 4,5 Millionen mehr als 2012 und noch nie so viele seit dem 2. Weltkrieg. Beispiel: Im Oktober 2010 besuchte eine Delegation aus unserer Diözese im Rahmen einer Exposure-Reise Südbrasilien. In Porto Alegre konnten wir bei einem Besuch in einer großen Favela erfahren, dass die Bewohner vertrieben werden sollen, ohne zu wissen wohin. Ihr Viertel wird plattgemacht, weil in der Nähe des WM-Stadions den reichen Besuchern das sichtbare Elend nicht zugemutet werden kann.
Dr. Willi Knecht, agente pastoral und im Redaktionsteam drs.global (ehrenamtlich)
Der Artikel wurde geschrieben für drs.global, den Quartal-Newletter der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der an alle Kirchengemeinden, Verbände, Institutionen etc, der Diözese verschickt wird. Auflage 12.000. Er wird ab 01. Juli 2014 verschickt werden.
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