„Fratelli tutti“ - Die Brüder bleiben unter sich?
Schon vor der Veröffentlichung stand der Titel des Lehrschreibens, welches ein Originalzitat des hl. Franziskus aufnimmt, in der Kritik. So heißt es u.a. in „AGENDA - Forum katholische Theologinnen“: „Kaum ist das Lehrschreiben erschienen, gibt es bereits ein Männerbündnis, das gemeinsam dieses Schreiben kommentiert und es beweihräuchert als ´… sehr starker Rückenwind im Kampf für eine bessere Welt, und zwar mehr, als jeder zuvor geahnt hat´ (Alt; Kirschner; Vogt). Wieder einmal sind es Männer, die lehren und erklären, welche Bedeutung diese Lehre hat. Kann ernsthaft erwartet werden, dass ein Lehrschreiben, das sich explizit an alle Menschen richtet, im 21. Jahrhundert noch so exklusiv formuliert werden kann? Viele Theologinnen haben deshalb nicht mal mehr ein müdes Lächeln für dieses Schreiben übrig, das sie schon im Titel ausgrenzt. Wenn es doch Stimmen von Frauen dazu gibt, fällt das Urteil resignativ bis vernichtend aus. So wird z.B. auch angemahnt, dass in den fast 300 Fußnoten keine einzige Frau zitiert sei.“
Nun war der hl. Franziskus sicherlich kein Frauenfeind, ebenso wenig wie es Papst Franziskus ist. In der lateinischen Sprachfamilie sind mit der genannten Anrede immer alle Menschen gemeint. Dennoch: Sprache ist immer auch Ausdruck herrschender Machtverhältnisse und sie begründet und zementiert Macht. Die aktuelle Diskussion in Deutschland (u.a. Maria.2) gerade auch im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch zeigt die Notwendigkeit einer neuen Geschwisterlichkeit. Gudrun Sailer, Korrespondentin bei Vatican News schreibt: „Eines darf nun aber nicht passieren: Dass ´Fratelli tutti´ wegen seines Titels aus Trotz nicht gelesen wird. Die neue Sozialenzyklika von Franziskus möchte Wege weisen für eine gerechtere Welt nach Corona. Alles, was der Papst dazu zu sagen hat, scheint bitter nötig - für Brüder und Schwestern alle“.