Auf dem Weg zur „Kirche Jesu Christi“

Die Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus hat das Potential, einen Wendepunkt in der Kirchengeschichte festzuschreiben: Von einer europäischen (griech.- röm.) Kirche hin zu einer wahrhaft katholischen (allumfassenden) und evangelischen Kirche (das Evangelium als Fundament) - ausgehend von den Opfern der Geschichte und den Opfern der global herrschenden Wirtschaftsordnung.

Eine europäische Regionalkirche

Es wird meist als selbstverständlich vorausgesetzt, dass das Christentum eine europäische Religion sei. Dabei käme eine Untersuchung über die geglückte oder nicht geglückte Inkulturation des Evangeliums als Zeugnis einer vorderasiatischen Religion in Europa zu überraschenden Ergebnissen. Dabei könnte auch die Frage aufgeworfen werden, ob das Evangelium z.B. dem Verständnis der indianischen oder afrikanischen Völker nicht viel näher als den Völkern Europas ist und ob daher das Evangelium nicht auf dem „Umweg“ über die nichteuropäischen Völker den Europäern verständlich gemacht werden könnte, selbstverständlich unter Beachtung interkultureller Kriterien.

Wir sind es gewohnt, die Welt und alles was in ihr geschieht, von dem Kontext aus wahrzunehmen und zu deuten, in den wir hineingeboren und erzogen worden sind. Dies gilt nicht nur individuell für die Eltern-Kind-Situation, sondern auch viel allgemeiner für den geschichtlich-kulturellen Kontext, so wie er sich seit Jahrhunderten herausgebildet hat. Unsere europäische Kultur ist zweifelsfrei geprägt von christlichen Vorstellungen, unabhängig davon wie wir heute zu ihnen stehen. Moral, Sitten und Gebräuche bis hin zu Wertvorstellungen, Weltanschauungen und Ideologien bilden einen Rahmen, der uns vorgegeben ist, der aber auch natürlich für Veränderungen und Entwicklungen offen ist. Diesem Kontext gegenüber haben wir uns zu verhalten und dies geschieht in sehr individueller Weise. Diese Kontexte oder auch Kosmovisionen genannt und deren kulturellen und religiösen Inhalte und ethisch - philosophische Werte sind weltweit verschieden.

Unsere westlichen Werte - auch osteuropäische, also europäischen Werte, haben ihren Ursprung in  der griechisch-römischen Tradition. Römisch ist vor allem noch unser Rechtssystem mit seiner Betonung des im Gegensatz zu anderen Kulturen nahezu absoluten und individuellen Rechts auf Eigentum. Aber das christliche Abendland, selbst wenn es heute nicht mehr als überwiegend christlich wahrgenommen wird - hat es nicht seine Wurzeln in der Botschaft Jesu Christi, seinen Worten und Taten? Nun, spätestens im 4. Jh. wurden die Worte und Taten Jesu Christi, der seine Wurzeln im jüdischem Glauben hatte, uminterpretiert, übersetzt und implantiert in die Gedankenwelt und Terminologie der griechischen Philosophie, oder anders ausgedrückt: Nicht mehr die Worte und Taten des Jesus von Nazareth und der Propheten des AT standen im Mittelpunkt des Glaubens der Kirche, sondern die philosophischen Konstrukte und Definitionen der herrschenden griechischen Philosophie.

Seit ihrem Entstehen vor mehr als 2.500 Jahren begreift sich diese Weltanschauung aber als eine totalitäre Weltanschauung, denn sie bezeichnet andere Sichtweisen und Erfahrungen fremder Völker als „barbarisch“ und kann diese daher nicht als dialogfähig anerkennen. Der Andere wird in seiner Andersheit geleugnet und umgekehrt  ergibt sich daraus automatisch ein Anspruch auf universelle Gültigkeit, die dazu führt, den Anderen nicht nur nicht anzuerkennen, sondern ihn noch nicht einmal als solchen wahrnehmen zu können. Er ist schlichtweg entweder nicht existent, wird vereinnahmt und zwangsweise in die eigene Welt integriert oder ausgelöscht.

Diese Sichtweise wurde dann noch verstärkt, durch den Absolutheitsanspruch der nun herrschenden Kirche mit ihren unfehlbaren Dogmen und rigiden Moralvorstellungen. Die Kirche begründete ihren Absolutheitsanspruch auf der griechischen Philosophie und dann in der "Heiligen Allianz" von Thron und Altar. Seit Beginn der Neuzeit und der Kolonialisierung der Welt wurde dieser Anspruch globalisiert und weltweit durchgesetzt. Ist es noch relativ leicht nachzuweisen, dass die europäischen Eroberer z.B. den Indio, den Andersfarbigen* und Andersartigen nicht als gleichwertigen Menschen mit eigener Kultur, Würde und Identität wahrnehmen konnten, so fällt die Einsicht, dass dies sich bis heute möglicherweise nicht wesentlich geändert hat, viel schwerer. Philosophie und gerade auch deutscher Theologie fällt es nicht leicht, nichteuropäische Entwürfe als gleichwertig anzusehen oder gar von ihnen zu lernen. Da gleichzeitig der Faktor der wirtschaftlich-politischen Abhängigkeit bei Theologen weitgehend unberücksichtigt bleibt, kann man nur schwer erkennen, dass die von Europa ausgehende realpolitische und wirtschaftliche Eroberung der Welt als konsequente Weiterführung einer totalitären Weltanschauung gedeutet werden kann.

Die räumlich und zeitlich begrenzten Erfahrungen bestimmter Menschen in einer bestimmten Gegend dieser Welt können aber nicht für alle Welt verbindlich gemacht werden. So haben z.B. bestimmte Voraussetzungen der abendländischen Geistesgeschichte wie die Trennung von Geist und Materie, Subjekt und Objekt, Diesseits und Jenseits, heilig und profan etc. für die Menschen in anderen Kulturen keine Bedeutung oder erscheinen gar als unsinnig, weil sie den Jahrtausende alten Erfahrungen dieser Menschen widersprechen. Die europäischen Konzepte konnten nur mit Gewalt und im Gefolge der Sieger durchgesetzt werden, nicht durch Überzeugung. Erst die Anerkennung anderer Konzepte und Weltanschauungen als eigenständige und Sinn stiftende Kulturen ermöglicht einen echten Dialog und kann helfen, die Einschränkungen der eigenen Kosmovision zu erkennen. Es geht um eine Wiederbesinnung oder gar Umkehr hin zu den ursprünglich christlichen Werten, den Worten der Propheten (der Stimme Gottes) und vor allem der Worte und Taten Jesu Christi.

Die Globalisierung – weltlich und kirchlich

Die Europäer haben die „Welt entdeckt“ und sind bis an ihre Grenzen vorgestoßen. Zu Beginn der 80er Jahre hat sich die Durchdringung der Welt stark beschleunigt und die Werte der so verstandenen Globalisierung wurden bis in die letzten Winkel der Erde verbreitet und haben sich in den tiefsten Fasern unserer Seelen, Herzen und Köpfen eingenistet.

Eine von ihrem eigenen Anspruch her weltumspannende Bewegung gibt es aber schon seit 2000 Jahren: Die Botschaft Jesu Christi vom anbrechenden Reich Gottes in der allen Menschen ein Leben in Fülle verheißen wird – eine neue Erde und eine neue Menschheit, in der jeder Mensch in gleicher Weise als Kind und Ebenbild Gottes Anteil an den Gütern der Erde hat. Und Jesus fordert seine Jünger*innen auf, diese befreiende Botschaft bis an die Grenzen der Erde allen Menschen und Völkern zu verkünden. Aus einer „Stammesreligion“ (der Hebräer) sollte eine weltweite Bewegung werden, die Kirche Jesu Christi. Diese Kirche ist nicht nur die älteste, sondern auch die größte Bewegung („Globalplayer“) weltweit. Eine so verstandene Kirche bringt alle Voraussetzungen mit, ihrem Auftrag gerecht zu werden - inhaltlich von ihren Ursprungstexten her und strukturell als weltumspannende Gemeinschaft von „Brüdern und Schwestern“.

Nach mehr als 30 verlorenen Jahren (ausgerechnet – zufällig? – in der Zeit, in der die Entfesselung der Märkte und Finanzwirtschaft rasant beschleunigt wurde) wurde der Kirche ein Papst geschenkt, der wieder an die Aufbrüche der Kirche infolge des Konzils anknüpft und sie weiterführt. Auf der II. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz 1968 in Medellín sprachen die Bischöfe schon von „Strukturen der Sünde“, von einem „Elend das zum Himmel schreit“ und von einem „internationalen Finanzkapitalismus“ (auch Pius XI. in Quadragesimo Anno und Paul VI. in Populorum Progressio), von institutionalisierter Ausbeutung und Geldgier als Ursache des Elends der Menschen.

Den Ortskirchen in Lateinamerika gelang es, die Ursachen des Elends und der herrschenden Gewalt aufzudecken und eine befreiende Praxis zu entwickeln. Im Konzil war übrigens versprochen, dass dies in allen Kontinenten geschehen und die Kontinentalkirchen viel mehr Eigenständigkeit (auch in innerkirchlichen Themen) erhalten sollten. Papst Franziskus greift dies nun wieder auf. Er setzt sich einerseits für eine möglichst eigenständige lokale Kirche ein, die von den konkreten Bedürfnissen der Menschen vor Ort ausgeht. Andererseits ist es ihm ein großes Anliegen, die jeweiligen Besonderheiten einer Diözese in die Einheit der Weltkirche einzubringen. Erst die verschiedenen Glaubenserfahrungen der lokalen Kirchen bilden zusammen Katholische Kirche („katholikós“: allumfassend, das Ganze betreffend).

Die Weltkirche gleicht als Ganzes einem Mosaik, das erst dann seine volle Bedeutung erhält und als solches erkennbar wird, wenn alle Teile in ihm vorkommen. So ist die katholische Kirche nur dann auch wirklich katholisch, wenn „die ganze Welt“ in ihr vorkommt. Die lokalen Kirchen bilden zusammen die Weltkirche und in jeder lokalen Kirche ist stets die gesamte Kirche in allen ihren wesentlichen Eigenschaften präsent und verwirklicht.

Deuten der Situation im Lichte des Glaubens

Freie Fahrt den Tüchtigen, dem Kapital und den Konzernen! Wer arm ist, ist selbst schuld, denn jeder hat die gleichen Chancen! Der Markt hat immer Recht, er ist wertneutral und alternativlos Das sind die nicht hinterfragbaren Dogmen dieser Religion. Die Hohen Priester dieser global herrschenden Religion wollen ihre „Frohe Botschaft“ tief in die Hirne und Herzen der Menschen verpflanzen - und es scheint ihnen zu gelingen! Ihr Gott ist das Geld, und die Gier nach immer mehr Besitz und Macht ist das Erste Gebot. Die falschen Propheten des Unheils gilt es als solche zu entlarven, denn sie führen die Welt in den Abgrund. „Der Tanz um das Goldene Kalb wird zum Totentanz für Mensch und Natur“. (Aufruf des deutschen kath. Missionsrats, Januar 2011). Papst Franziskus benutzt dafür in seinen Ansprachen oft einen zentralen biblischen Begriff, der in unseren Ortskirchen aber kaum zu hören ist: Götzendienst!*

Die Geschichte des christlichen Abendlandes mit seiner weltweiten Dominanz bis hin zu in die letzten Winkeln der Erde vorgedrungenen Ideals des „american way of life“ ist an seine Grenzen gestoßen und ist nicht mehr tragbar, weder für die Menschen, noch für die Erde.

„Weltkirche werden“ bedeutet daher eben nicht, dass Kirche nach europäischen Maßstäben weltweit aufgebaut wird bzw. dass alle Welt wie Europa werden muss. Dies ist in den vergangenen Jahrhunderten aber geschehen und daher gab es eben keine lateinamerikanische oder afrikanische Kirche, sondern überall nur die immer gleichen Kopien einer europäischen, römischen Kirche, die letztlich eine weiße Kirche war, weil sie im Gefolge der Eroberung daherkam. Eine weltweite Kirche, die eine Alternative zur herrschenden Globalisierung werden will, muss dagegen von den Rändern her entstehen, aber nicht in ähnlich ausschließender Weise wie dies umgekehrt bisher vom Zentrum her geschah. Diese Ränder stellen sich in sehr unterschiedlicher Weise dar und sie sind farbig und sehr bunt.

Die katholische Kirche ist schon seit Beginn des Evangeliums als multikulturelle Kirche angelegt. Bei Paulus gibt es eine Pluralität von Kirchen, je nach ihren verschiedenen lokalen Gegebenheiten. Jede dieser verschiedenen Ortskirchen repräsentiert aber auf ihre je eigene Art die gesamte Kirche. In jeder Ortskirche ist die gesamte Kirche in allen ihren wesentlichen Eigenschaften präsent und verwirklicht. Paulus benutzt dafür das Bild vom Leib Christi, das sich sowohl auf die einzelnen Gemeinden bezieht, die sich aus den verschiedenen Mitgliedern zusammensetzt, als auch auf die Kirche als Ganzes, die sich von den einzelnen Gemeinden her konstituiert. Paulus spricht auch vom Tempel Gottes und meint damit sowohl die gesamte Kirche, als auch die einzelnen Gemeinden und schließlich jeden Menschen.

Perspektiven

„Kirche vor Ort ist selber Kirche und die Universalkirche ist immer Kirche, die an einem Ort existiert. Die globale Welt fordert inhaltlich die Katholizität heraus. Die katholische Kirche steht im Zeitalter der Globalisierung vor dem Problem ihrer Katholizität. Sie hat auf dem Zweiten Vatikanum die institutionellen Voraussetzungen für sie geschaffen; denn es sagt von der Kirche, dass sie eine Gemeinschaft der Gottes- und der Nächstenliebe ist, ein messianisches Volk, das Volk Gottes in Christus, das sich auf den Weg durch die Geschichte befindet und die Menschheit in eine Familie Gottes umgestalten will“. (Elmar Klinger, im Sammelband „Die Globale Verantwortung“, Echter 2001, Hg: Elmar Klinger, Willi Knecht, Ottmar Fuchs)

Die Mehrzahl der lokalen Kirchen innerhalb der Gesamtkirche sind arme Kirchen. Will die katholische Kirche ihrem eigenen Auftrag gerecht werden, dann ergibt sich daraus wie von selbst eine Option: Die Armen sind in einem ersten Schritt die ersten Adressaten der Botschaft Jesu und der Kirche und in einem zweiten Schritt werden die Armen selbst zu Subjekten der Verkündigung und zur Kirche Jesu Christi. Die Option für die Armen ist daher sowohl biblisch – christologisch, wie auch ekklesiologisch von zentraler Bedeutung. Die „armen Ortskirchen im Süden“ bringen ihre Leiden und  Hoffnungen mit in die Weltkirche ein und werden so zu einem Zeichen der Erneuerung und Hoffnung auch für die „reichen Kirchen in Deutschland“.

Die Armen - Diskriminierte und Ausgegrenzte, die „Wegwerfmenschen“ - stellen daher nicht nur eine quantitative soziologische Größe dar, sondern sie sind eine qualitative theologische Größe und mehr noch: sie werden zum entscheidenden Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Botschaft. Sie stehen im Zentrum der Botschaft Jesu und damit im Zentrum seiner Kirche. Daher ist von ihnen auszugehen, von ihrer Lebenswirklichkeit, ihren Leiden und Hoffnungen und ihrer Glaubenspraxis. Daher wird z.B. in den lateinamerikanischen Basisgemeinschaften mit Vorliebe die Nr. 9 der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanum zitiert, wo es von der Kirche heißt, dass sie „für das ganze  Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heiles“ ist. Basisgruppen sind diese Keimzelle vor Ort und daher auch selber eine universale, die Menschen und ihr Leben erneuernde und verändernde Kraft.

Jede Ortskirche findet ihre Mitte in der Feier der Eucharistie, die sie auch zugleich im Namen der gesamten Kirche feiert. Barmherzigkeit (Liebe, Hingabe), Friede und Gerechtigkeit sind die Grundlagen der Eucharistie. Denn diese ist zugleich Danksagung und Feier als auch zeichenhafte Vorwegnahme der Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit Gott. Die Einheit der Gemeinde hat ihr Fundament im alltäglichen Einsatz für Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Es ist dieses gemeinsame Fundament, das alle Gemeinden miteinander verbindet, die so zur Weltkirche werden. Wo auch real das Brot, d.h. all das, was wir zum Leben brauchen, geteilt wird, ereignet sich Kirche.

Eine so verstandene universelle Kirche kann man wie folgt definieren: als eine Kommunion verschiedener Ortskirchen, in der die Einheit auf der gemeinsamen Praxis der Barmherzigkeit beruht, die in der Eucharistie ihre Wurzeln hat. Dies bedeutet, dass sich in der gelebten Glaubenspraxis der christlichen Gemeinschaften Kirche konstituiert. Die Stärke und Selbstverantwortung einer lokalen Kirche steht nicht im Widerspruch zur Einheit der Kirche, sondern ist Voraussetzung für eine lebendige Kirche weltweit.

Als Gegenbegriff zu der Rede vom „globalen Dorf“ müssen der Begriff und das Verständnis von einer „globalen Gemeinde“ Raum gewinnen. Die Kirche muss der herrschenden Praxis und dem eindimensionalen neoliberalen Verständnis von Globalisierung die Vision und die Praxis einer globalen Gemeinde entgegensetzen, die von den Armen ausgeht und in der nicht nur die Armen untereinander, sondern auch Reiche und Arme die Chance haben, das Brot zu teilen, also Gemeinschaft der Jünger*innen Jesu Christi zu werden. Die Botschaft Jesu führt(e) zu einer befreienden Bewegung mit einem Alleinstellungsmerkmal - im Unterschied zu allen Religionen, Kulturen, Ideologien: Der absolute Maßstab ist der „nackte“, der gekreuzigte, vertriebene Mensch, das hungernde Kind – bzw. wie wir uns demgegenüber verhalten (Mt 25). Dies ist die Grundlage einer neuen, jesuanischen Spiritualität: Die Erschütterung, im gekreuzigten Gegenüber das Antlitz des gekreuzigten Gottes zu entdecken und sich bedingungslos mit ihm zu solidarisieren.

Dieses Alleinstellungsmerkmal der Kirche, vom Standort der Ausgegrenzten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu analysieren und zu deuten, Missstände anzuklagen und die befreiende Botschaft zu verkünden, ist ein Geschenk und ein Versprechen für die Zukunft.

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In „Laudato si“ (u.a.) weist Papst Franziskus auf die Zusammenhänge und Ursachen hin und erinnert an die ganzheitliche, biblische Perspektive: Angefangen von der Ursünde wie Gott sein zu wollen, dem Tanz um das Goldene Kalb, dem Turmbau zu Babel und der Botschaft der Propheten: Die in jedem Menschen innewohnende Versuchung, mehr sein und haben zu wollen als der andere, sich selbst und seine eigenen Interessen zum obersten Maßstab zu machen und selbstgeschaffene Götter anzubeten, führt zum Bruch der Menschen untereinander, mit der Schöpfung und mit Gott. Die satanische Versuchung, wie Gott sein zu wollen, ist in der bestehenden Weltordnung nun erstmals global installiert, sie ist „Fleisch geworden“. Strukturen, die von Menschen gezielt so eingerichtet wurden, dass einige Wenige sich hemmungslos auf Kosten anderer bereichern können, werden als nicht hinterfragbares Dogma verkündet. Die Anbetung der neuen Götter und Götzen verspricht uns alle Reichtümer dieser Welt, eine unbegrenzte Macht über Menschen und eine totale Verfügbarkeit über die Güter dieser Erde – eine gefährliche, schreckliche Versuchung! Dieser (Aber-) Glaube jedoch führt in den Abgrund.

„Erkennen wir, dass dieses System die Logik des Gewinns um jeden Preis durchgesetzt hat, ohne an die soziale Ausschließung oder die Zerstörung der Natur zu denken? Wenn es so ist, sagen wir es unerschrocken: Wir wollen eine Veränderung, eine wirkliche Veränderung, eine Veränderung der Strukturen. Dieses System ist nicht mehr hinzunehmen; die Campesinos ertragen es nicht, die Arbeiter ertragen es nicht, die Gemeinschaften ertragen es nicht, die Völker ertragen es nicht … Und ebenso wenig erträgt es »unsere Schwester, Mutter Erde«, wie der heilige Franziskus sagte.“ (Papst Franziskus, Ansprache auf dem 2. Welttreffen der Volksbewegungen in Bolivien, 9. Juli 2015)

Dr. theol. Willi Knecht, Artikel in: "Der geteilte Mantel", dem weltkirchlichen Magazin der Diözese Rottenburg-Stuttgart (1. Juli 2017) „Der Geteilte Mantel“. Jährliche Erscheinungsweise, wird verschickt an alle Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen,Verbände etc.