Predigt am Tag der Weltmission 24/25. 10. 1998 - Herzogenaurach

"Nicht umsonst ist diese Feier das zentrale Sakrament der Kirche, das Sakrament der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu. Kennzeichen dieser Gemeinschaft, dieser Tischgemeinschaft, ist das Miteinanderteilen von Brot und Wein, d.h. all dessen, was der Mensch zum Leben braucht. Die Jünger von Emmaus erkennen den auferweckten, den lebendigen Christus erst, als er mit ihnen das Brot teilt. Man erkennt eine christliche Gemeinde daran, ob, wann und mit wem sie das Brot teilt. In einer Gemeinde in der das geschieht, ist der auferweckte Christus gegenwärtig, wird Auferstehung spürbar, neues Leben."

Liebe Gemeinde!

Wir feiern nun zusammen die Eucharistie, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, vielleicht so selbstverständlich, daß ich einmal kurz daran erinnern möchte, was wir da tun. Es sind drei Punkte: Wir gedenken des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Wir sagen Dank dafür, daß Jesus uns durch seine Hingabe ein neues Leben ermöglicht und uns den Weg zeigt. Und wir nehmen in dieser Feier die endgültige Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott vorweg.

So lehrt es die Kirche und in der Bibel gibt es dafür schöne Bilder, die ausdrücken, was damit gemeint ist, wie z.B. Hochzeitsmahl und auch Tischgemeinschaft - vor allem mit denen, denen im realen Leben dieser realen Welt  der Zugang zum gedeckten Tisch verwehrt wird. Wir feiern diese Tischgemeinschaft, wir feiern dies auch nicht jeder für sich alleine, sondern in Gemeinschaft.

Nicht umsonst ist diese Feier das zentrale Sakrament der Kirche, das Sakrament der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu. Kennzeichen dieser Gemeinschaft, dieser Tischgemeinschaft, ist das Miteinanderteilen von Brot und Wein, d.h. all dessen, was der Mensch zum Leben braucht. Die Jünger von Emmaus erkennen den auferweckten, den lebendigen Christus erst, als er mit ihnen das Brot teilt. Man erkennt eine christliche Gemeinde daran, ob, wann und mit wem sie das Brot teilt. In einer Gemeinde in der das geschieht, ist der auferweckte Christus gegenwärtig, wird Auferstehung spürbar, neues Leben.

Wir feiern Eucharistie, Tischgemeinschaft, doch tun wir dies auch, was wir feiern? Die Gemeinde Jesu sind aber nicht nur wir hier, in Herzogenaurach oder in Ulm. Gemeinde Jesu ist die Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Christus, den Messias glauben. Alle Menschen sind zum Tisch des Herrn, zur Hochzeitsfeier geladen. Wir können hier nur Eucharistie feiern, wenn wir dies im Namen der gesamten Kirche - deswegen sprechen wir ja auch von katholischer Kirche - d.h. der Gemeinschaft aller Gläubigen in aller Welt tun. Doch in welcher Welt leben wir und was heißt dies, Brotteilen? Wir leben in einer Welt, in der 1/8 der gesamten Menschheit 7/8 aller Güter dieser Welt allein für sich verbrauchen.

Wir leben gleichzeitig in einer Welt, in der alle diese Güter für alle Menschen ausreichen würden. Was heißt nun Eucharistiefeier? Wie können wir uns mit denen gemeinsam an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrigbleiben, die von unserem reich gedeckten Tisch fallen? Mit aller Welt teilen? Das geht sicher nicht, wir sind ja auch nicht die gesamte Kirche, sondern nur eine Gemeinde unter vielen.

Aber gerade als diese eine Gemeinde brauchen wir nicht gleich die ganze Welt zu „retten“, sondern wir können mit einer ganz bestimmten armen Gemeinde Kontakt aufnehmen: Weder das eine Extrem, nämlich zu meinen, daß wir für alles und alle gleichzeitig verantwortlich sind, noch das andere Extrem, nämlich hier zu feiern und so tun, als ginge uns alles nichts an, beide Extreme führen zu nichts. Statt dessen können wir als ganz konkrete Gemeinde, immer im Rahmen unserer Möglichkeiten, Verantwortung für eine ganz konkrete, überschaubare, arme Gemeinde übernehmen.

Nun, Herzogenaurach hat ja eine Partnergemeinde, oder?  Seit 1981 bestehen Kontakte zur Pfarrei in Tembladera. Mitte der 80-er Jahre wurde Herzogenaurach dadurch sogar - zumindest bei Insidern - bundesweit bekannt. In einem beispielhaften Engagement gelang es, vielen Menschen in Tembladera, die durch den Bau eines Staudamms Land, Arbeit und damit ihre gesamte Lebensgrundlage verloren haben, zu helfen, neu anzusiedeln, neue Perspektiven zu ermöglichen. Sogar die deutsche Bundesregierung konnte zum Eingreifen bewegt werden. Herzogenaurach kann stolz sein auf das, was geleistet wurde.

Doch weiß man das noch heute und wie geht es weiter? Vor allem aber: war das damals nicht eher das Anliegen einer kleinen Gruppe, eher am Rande der Gemeinde? Unser heutiges Anliegen aber ist eine Einladung an die gesamte Gemeinde, eine Einladung, als Gemeinde mit einer anderen Gemeinde das Brot zu teilen, Eucharistie zu feiern, zum Brot für andere werden.

Wie Sie sicher wissen, kam es in diesem Jahr zu zwei Besuchen in Tembladera, über die sicher bereits berichtet wurde. Ich selbst war als Begleiter von Pfarrer Nüßlein und Prof. Klinger mit in Tembladera. Erlauben Sie mir als Außenstehendem einige Bemerkungen. Die Pfarrei macht einen lebendigen Eindruck. Es gibt etwa 13 verschiedene Gruppen. Pfarrer Victorino, der vor zwei Jahren hier zu Besuch war, arbeitet mit allen Gruppen zusammen. Ihm zur Seite stehen drei mexikanische Schwestern. Die Partnerschaft ist eine feste Größe. Dennoch gab es zwei entscheidende Defizite: die Organisation der Partnerschaft und das weitgehende Fehlen einer Landpastoral. Was ist damit gemeint?

In langen Gesprächen mit den Schwestern, dem Pfarrer und einigen weiteren Verantwortlichen wurde bald deutlich, daß die Partnerschaft besser organisiert werden muß. Bisher bekam jeder Besucher eine Menge Bitt- und Bettelbriefe in die Hand gedrückt, oft von Leuten, die gar nichts mit der Pfarrei zu tun haben. Niemand wußte, wer von wem für was Geld bekam. Das aber hat mit eigentlicher Partnerschaft gar nichts zu tun, außerdem führt es zu Neid, Verdächtigungen und Spaltung.

Doch nun ist es anders. In Absprache mit allen Gruppen und der Pfarrleitung wurde ein Komitee gebildet, das für die Partnerschaft verantwortlich ist. Dieses Komitee bündelt alle Bedürfnisse, Anregungen und Vorhaben und in Absprache mit allen werden die Prioritäten für die zukünftige Pastoralarbeit gesetzt. Diese Prioritäten, wenn möglich mit zu erwarteten Kosten, werden Herzogenaurach mitgeteilt und um Mithilfe gebeten. Herzogenaurach hilft dann im Rahmen seiner Möglichkeiten und das Komitee ist der alleinige Adressat und Ansprechpartner.

Es sind stets die Betroffenen vor Ort, die am besten wissen, was wichtig für sie ist. Nicht wir in Deutschland bestimmen, was die dort zu tun haben, aber wir haben ein Recht zu wissen, was getan wird und für wen. Das sind wir auch allen Spendern schuldig. Oberstes Gebot der Partnerschaft ist maximale Transparenz, auf beiden Seiten.

Das zweite Defizit ist nicht so einfach zu beheben. Tembladera gilt als Kleinstadt und die erwähnten Gruppen leben und arbeiten in der Stadt. Doch auf dem Lande leben weit mehr Menschen, die Campesinos. Das Verhältnis, grob gerechnet, beträgt etwa 1:5, d.h. etwa 6.000 in der Stadt, 30.000 auf dem Land. Auf dem Land ist das noch viel Elend größer - in jeder Hinsicht. Und wer kümmert sich um diese Menschen? Sowohl Padre Victorino als auch die Schwestern sehen das Problem. Sie haben auch den Willen, öfter aufs Land zu gehen, Konzepte zu entwickeln etc. Und mit unserer Hilfe können sie es schaffen!

Es gibt hervorragende Beispiele von Landpastoral in der Diözese Cajamarca, die zeigen, was es für die Campesinos bedeutet, wenn sie die Frohe Botschaft kennenlernen und lernen, ihr Leben im Lichte der Bibel zu deuten und zu verändern. Die Campesinos glaubten an einen Gott, vor dem sie Angst hatten, einen mächtigen Gott der Weißen, der sie für ihre Sünden bestraft und ihre Kinder deswegen verhungern läßt.

Nun aber lernen sie einen Gott kennen, der auf ihrer Seite steht, auf der Seite der Schwachen und Elenden. Sie entdecken sich als Kinder Gottes, ausgestattet mit einer unantastbaren Würde und mit unveräußerlichen Rechten. Wenn man um die Verachtung und Rechtlosigkeit weiß, die sie auch heute noch täglich erleiden müssen - ich selbst habe mit eigenen Augen gesehen, wie man Campesinos wie Hunde aus der Stadt hinaus geprügelt hat - dann kann man erahnen, was es für sie bedeutet, Kinder Gottes zu sein.

Es ist also nicht Gottes Wille, daß die Weißen reich und allmächtig, sie selbst aber völlig verarmt sind. Wenn sie nun aber doch im Elend leben, ausgeschlossen von jeder Möglichkeit, je ein menschenwürdiges Leben zu leben, warum ist das so? Weil es von Menschen so gemacht wurde. Sie erleben Hunger und Elend als Ergebnis einer gottlosen Situation, geschaffen von Menschen, denen Besitz und Macht wichtiger sind als Gott und das Leben seiner Kinder. Sie entdecken, daß Jesus selbst gelebt hat wie sie, daß er wie ihre Kinder auf dem Lehmboden im Stall zur Welt kam, daß er wie sie von den Mächtigen seiner Zeit ausgestoßen und schließlich gefoltert und gekreuzigt wurde.

Sie übertragen die Bibel direkt auf ihr Leben und erfahren so, daß Gott mitten unter ihnen ist, mit ihnen lebt und leidet. Und weil das so ist, machen sie sich nun auf den Weg und machen schon jetzt die Erfahrung von Auferstehung, denn es beginnt für sie ein neues Leben. Sie schließen sich zusammen, lesen immer wieder die Bibel, gehen in viele Kurse und entdecken von neuem solche Werte wie Solidarität, Gemeinschaft, Miteinanderteilen.

Auch kirchlich gesehen nehmen sie ihr Schicksal in die eigenen Hände. Sie sind Kirche!.  In entstehenden Basisgemeinschaften feiern sie diesen Neubeginn. Sie sagen Dank, feiern die Gegenwart Gottes unter ihnen, teilen miteinander ihre Sorgen und ihr Brot. Diese Gemeinden sind Insel des Lebens inmitten des Todes. Sie haben erfahren, daß Jesus der Schlüssel zum Leben ist, Fundament ihres Lebens, Brot des Lebens.

Und wir? Wer ist Jesus für uns? Ist Jesus wirklich das Fundament, die Mitte und das Ziel unseres Lebens, Brot des Lebens, ohne das wir verhungern? Immer wenn ich vom Besuch solcher christlichen Gemeinschaften wieder nach Deutschland zurückkomme, erlebe ich einen Schock. Ich sehe - im Vergleich zu den Campesinos viel mehr Ängste,Bedenken, Gezeter und Geschwätz. Und Hoffnung? Sicher auch, doch auf was hoffen wir? Vielleicht daß unserer Gemeinde noch möglichst lange zwei Priester erhalten bleiben? Oder daß die Orgel noch lange hält?

Und nun haben wir das Glück, als Gemeinde mit solch lebendigen christlichen Gemeinschaften in Kontakt zu treten bzw. mit ihnen zusammen einen Neuanfang zu wagen. Was könnte uns besseres passieren? Überlegen Sie, Sie haben die Chance dabei mitzuwirken, wie eine ganze Region, Tausende von Menschen, erstmals die Frohe Botschaft hören und das tun, was ich gerade beschrieben habe. Und wenn wir uns nun erzählen lassen oder sogar selbst miterleben dürfen, wie bisher verachtete Menschen mit Jesus Christus in diese neue Zeit aufbrechen, dann haben auch wir die Chance, den Weg zu Gott und in die neue Zeit zu finden.

Wenn Gott den Armen besonders nahe steht und umgekehrt, ist echte Partnerschaft mit diesen Armen ein Geschenk Gottes an uns, denn dann können auch wir Gottes Nähe konkret erfahren. Weil zudem die Armen einen direkteren Zugang zur Botschaft Jesu haben und das Evangelium so viel unmittelbarer erfahren, können wir von ihnen lernen, was das Evangelium auch für uns heute bedeuten kann. Heerscharen von Theologen, Religionslehrern und die geballte Macht kirchlicher Verkündigung von oben, scheinen dies nicht (mehr) leisten zu können.

Eine Partnerschaft ist so auch die Chance für einen neuen Aufbruch bei uns. Die unterdrückten und verachteten Campesinos wissen um den Ursprung und das Ziel ihres Aufbruchs. Sich mit ihnen auf den Weg machen heißt, den Kern der Botschaft Jesu, ja Jesus selbst als Christus und Heiland neu zu entdecken.

Es heißt besonders auch lernen zu hören. Könnte es nicht sein, daß Gott heute vorrangig erfahrbar wird im Hinhören auf die, denen die Fülle des Lebens vorenthalten wird? Ist vielleicht ihr Schrei nach Brot und Gerechtigkeit das Wort Gottes an uns? Die Pfarrei St. Magdalena bzw. der bisherige Freundeskreis Cajamarca, hat stets betont, genau wie viele andere Partnergemeinden aus Deutschland, daß sie eine Partnerschaft mit den wirklich Bedürftigsten wollen. Das sind eindeutig die Campesinos und die Armen, die es aber auch in den Städten gibt. Sie sind die eigentlichen Partner. In Übereinstimmung mit den Partnern und deren Pfarrleitung (Komitee) möchte der Freundeskreis, hoffentlich die Gemeinde als ganzes, in Zukunft ihren Schwerpunkt auf die Förderung der Landpastoral legen.

Natürlich sprechen für eine Partnerschaft neben den theologischen und kirchlichen Gründen noch eine Reihe praktischer Gründe: Man weiß, wohin das Geld kommt und für wen und was es bestimmt ist. Man kann sehen, was wirklich mit dem Geld gemacht wird (kontrollierbar). Man kann einer überschaubaren Gruppe helfen, und Fortschritte feststellen. Damit kann man auch mehr Gruppen in der Gemeinde aktivieren und für eine konkrete, zeitlich begrenzte Mitarbeit (Aktion) gewinnen.

Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und sich effektiv zu verhalten, wird gestärkt. Durch Dialog, Austausch und gegenseitiges Kennenlernen wird die Gemeinde missionarischer und lebendiger. Vielen wird durch eine Partnerschaft immer mehr bewußt, warum wir so reich sind und warum unsere Partner so arm sind. Vielen Jugendlichen, Außenstehenden, von der Kirche Enttäuschten usw. wird durch eine Gemeinde, die sich als Anwalt der Armen versteht, ein neuer Zugang zur Kirche ermöglicht.

Partnerschaft heißt für uns nicht nur, möglichst viel Geld zu sammeln und nach Peru zu schicken - das sicher auch. Aber es geht um mehr: es geht letztlich um uns selbst und um unseren gemeinsamen Glauben. Wenn die Armen in Peru fragen, wie es möglich ist, daß Gott angesichts eines erschreckenden Elends und himmelschreiender Ungerechtigkeit als ein Gott der Liebe und Gerechtigkeit erfahren werden kann, so müssen wir uns fragen, wie wir Gott erfahren können, wie wir Hunger haben können nach Gott inmitten einer scheinbaren oder tatsächlichen Welt des Überflusses.

Und auch: wie kann ich in dieser meiner Umwelt den christlichen Glauben leben und im Alltag bezeugen, was bedeutet mir Jesus Christus letztlich? So verschieden die Situation hier und in Tembladera ist, es sind die gleichen Fragen nach dem gleichen Gott und zusammen fällt es uns leichter, eine Antwort zu finden.

Wir feiern jetzt zusammen die Eucharistie. Ich bitte Sie, diese Eucharistiefeier nicht an den Kirchenmauern enden zu lassen. Ich bitte Sie, sich auf das Wagnis eines gemeinsamen Weges mit einer armen Campesinogemeinde einzulassen. Gehen wir gemeinsam den Weg der Hoffnung. Gott wird uns begleiten und führen! 

So sei es, Amen